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„Morbus Bosporus“: Sprachbarrieren beim Arztbesuch

Morbus BosporusViele Ausländer fühlen sich unverstanden, wenn sie zum Arzt gehen. Qualifizierte Dolmetscher gibt es kaum.

Die UN-Charta der Menschenrechte sagt es ganz klar: Jeder Mensch hat unabhängig von seinem Aufenthaltsort ein Recht auf Gesundheit. Die Realität sieht allerdings anders aus. Verschiedene Studien zeigen, dass der Gesundheitszustand von Ausländern in vielen Bereichen schlechter ist als der von Einheimischen. So leiden etwa Migranten überdurchschnittlich häufig an Verschleißerkrankungen des Bewegungsapparates oder an psychosomatischen Störungen. Die sogenannte „Manager-Krankheit” mit Bluthochdruck und Herzproblemen tritt unter Ausländern drei Mal so häufig auf wie bei Inländern, die tatsächlich als Manager arbeiten. Besonders der Gesundheitszustand der Frauen und Kinder ist problematisch. So hat sich etwa in Wien gezeigt, dass in Bezirken mit hohem Ausländeranteil die Mutter-Kind-Untersuchungen viel seltener in Anspruch genommen werden als in anderen Bezirken.

Sprach- und Kulturbarrieren

Oft fehlen einfach die richtigen Informationen. Sprach- und Kommunikationsprobleme erschweren Ausländern den Zugang zu unserem Gesundheitssystem. Eine im Wiener AKh durchgeführte Studie zeigt, dass sich viele Familien aus der Türkei oder Ex-Jugoslawien in Österreich nicht richtig behandelt fühlen. Deshalb konsultiert man mehrere Ärzte („doctor-hopping”) und nimmt die vorgeschlagenen Behandlungen oft gar nicht oder erst sehr spät an. So suchten 58 Prozent der türkischen Familien zunächst Hilfe bei einem Hodscha (= mohammedanischer Lehrer, Geistlicher). Nicht einmal ein Drittel hoffte allein auf die Hilfe eines Arztes. Sprachbarrieren sind allerdings nur der zweitwichtigste Grund für das Nichtannehmen von Betreuung durch österreichisches Fachpersonal. Der wichtigste Grund ist die Kulturbarriere. So haben etwa Türken häufig eine Vorstellung von Krankheit – man ist entweder ganz gesund oder ganz krank – mit der österreichische Ärzte nur schwer zurechtkommen. Unklare Diagnosen bis hin zu „Morbus Bosporus” sind die Folge.

Wo gibt es Dolmetscher?

In Österreich gibt es wie in vielen anderen europäischen Staaten keine gesetzlichen Bestimmungen für das Dolmetschen im Krankheitsfall. Die Landeskrankenhäuser sind in der Regel auf das Improvisationstalent ihrer Mitarbeiter angewiesen. Professionelle Dolmetscher werden meist nur in wirklich heiklen Situationen, etwa dann, wenn es um das Einverständnis für eine Operation geht, eingesetzt.

Oft springt das Reinigungspersonal ein, wenn es Verständigungsprobleme gibt. Auch Kinder übersetzen häufig für ihre Eltern. Kein optimaler Zustand, so Experten. Missverständnisse, Verletzungen des Datenschutzes und peinliche Situationen sind vorprogrammiert. Unter Umständen kann sich die Behandlung sogar verzögern. Das Linzer Integrationsbüro etwa weiß von Ausländern, die vom Krankenhaus mit der Aufforderung „Nehmen Sie einen Dolmetscher mit!” wieder nach Hause geschickt wurden. Wien mit seinem besonders hohen Anteil an Zuwanderern geht seit einigen Jahren einen anderen Weg: Hier gibt es für sechs städtische Krankenhäuser insgesamt sieben muttersprachliche Dolmetscher. Da diese jedoch nur einen kleinen Teil des Bedarfs abdecken können, werden jetzt zweisprachige Mitarbeiter des Krankenhauses – die meisten von ihnen Krankenschwestern – rekrutiert und als qualifizierte Dolmetscher ausgebildet.

Auf Ausbildung setzt auch der Grazer Verein ZEBRA: In mehreren Kursreihen wurden und werden hier erfolgreich ehrenamtliche Gesundheitsberater geschult. Die Teilnehmer sind deutschsprechende Migranten, die in ihrem Umfeld gezielt Gesundheitsaufklärung betreiben und ihre Landsleute beim Arztbesuch als Dolmetscher unterstützen.

Dr. Regina Sailer
Februar 2013

Foto: Bilderbox, privat

Kommentar

Kommentarbild: Morbus Bosporus„Je diffiziler das Krankheitsbild ist, desto wichtiger ist es, einen nicht Deutsch sprechenden Patienten durch einen qualifizierten muttersprachlichen Dolmetscher zu unterstützen. Das kann den gesamten Heilungsverlauf beeinflussen. Wenn die Kommunikation gut funktioniert, verbessert sich die Mitarbeit des Patienten oder der Patientin oft enorm.”
Safile Akbal
Em. Koordinatorin für Gesundheitsbelange von Zuwanderern Büro der Frauengesundheitsbeauftragten für die Stadt Wien

Zuletzt aktualisiert am 11. Mai 2020