Sie ist häufiger als Krebs und sie ist tödlicher als Krebs – die Herzinsuffizienz, also die krankhaft verminderte Leistungsfähigkeit des Herzens, ist eine Volkskrankheit. Dass die dafür verantwortliche Schwächung des Herzmuskels schleichend und oft unbemerkt eintritt, macht die Sache nicht besser. Denn die Heilungschancen sind besser, je früher die Krankheit entdeckt wird.
Das menschliche Herz ist ein Hohlmuskel, der beim Erwachsenen zwischen 300 und 350 Gramm wiegt und im Normalfall pro Minute rund fünf Liter Blut in den Körper pumpt. Von einer Herzinsuffizienz spricht man dann, wenn die Pumpleistung des Herzens nicht mehr ausreicht, den Körper mit genug Sauerstoff zu versorgen. Das kann die verschiedensten Ursachen haben. Zu einer plötzlichen und akuten Herzschwäche können beispielsweise Herzrhythmusstörungen genauso führen wie ein Einriss einer Herzklappe oder eine Lungenembolie – und natürlich auch ein Herzinfarkt. Wenn die Symptome plötzlich auftreten, wird das zugrunde liegende Problem meist rasch erkannt und kann behandelt werden.
Wassersucht
Bei einer chronischen Herzinsuffizienz kann der Fall anders liegen. Univ.-Prof. Dr. Richard Pacher, Leiter der Herzinsuffizienz-Ambulanz an der Wiener Uni-Klinik: „Da die meisten Patienten im vorgerückten Alter sind, werden die oft sehr unspezifischen Symptome auf das Alter geschoben und deshalb nicht ernst genommen.“ Ein besonders wichtiger Hinweis auf eine Herzschwäche sind Schwellungen aufgrund von Flüssigkeitseinlagerungen aus dem Gefäßsystem – im Volksmund Wassersucht genannt. Professor Pacher: „Wenn sich diese Ödeme, die vor allem an den Beinen, aber auch im Bauchraum auftreten können, über Nacht nicht mehr zurückbilden, muss dringend ein Arzt aufgesucht werden.“
Ein weiteres wichtiges Symptom sind zunehmende Atemnot, Müdigkeit, eine deutliche Abnahme der Leistungsfähigkeit sowie ständiges Kältegefühl und kalte Haut. Typisch ist auch ein durch Wasserrückstau in der Lunge ausgelöster trockener Husten, der sich im Liegen eher verschlechtert. Letzteres ist übrigens ein Zeichen für eine sogenannte Linksherzinsuffizienz. Dabei kann die linke Herzkammer wegen einer Schwächung des Muskels zu wenig sauerstoffreiches Blut in den Körper pumpen. In der Lunge staut sich deshalb Blut und es kommt in ihr in der Folge zu einer Wasseransammlung. Bei einer Rechtsherzinsuffizienz ist der Rückfluss des Blutes aus dem Körper gehemmt. Es kommt zu Flüssigkeitsansammlungen in den Beinen und im Bauchraum, auch in der Leber. Wenn beide Arten der Herzinsuffizienz gleichzeitig auftreten, spricht man von einer globalen Herzinsuffizienz.
Eine chronische Herzschwäche entwickelt sich schleichend über Jahre. Univ.-Prof. Richard Pacher: „Die Krankheit liegt bei Personen unter 75 Jahren noch im Promillebereich, bis 85 sind etwa ein Prozent der Menschen betroffen und ab 85 sind es dann mindestens zwei Prozent.“ Die Entwicklung der Krankheit wird von einem Mechanismus angetrieben, der den Körper eigentlich schützen sollte. Um kurzfristige Leistungsspitzen abdecken und die Versorgung der Organe mit sauerstoffreichem Blut sichern zu können, setzt der Körper fein abgestimmte Kompensationsmechanismen in Gang: Hormone wie Adrenalin und Noradrenalin sorgen dafür, dass das Herz in einer höheren Frequenz schlägt. Gleichzeitig wird die Blutmenge erhöht und die Blutgefäße ziehen sich zusammen. Mit genau dieser Strategie setzt sich der Körper gegen die verknappte Sauerstoffzufuhr zur Wehr, die durch die Herzschwäche ausgelöst wurde. Durch die ständige Überbelastung vergrößert und verdickt sich der Herzmuskel, wird steifer, unbeweglicher und büßt damit Kontraktionsfähigkeit ein. Kardiologe Richard Pacher: „Diese fehlgeleitete Kompensation führt zu einem Teufelskreis, durch den der Herzmuskel immer mehr geschädigt wird. Deshalb ist es sehr wichtig, dass eine Herzinsuffizienz so früh wie möglich entdeckt und behandelt wird.“
Je früher die Therapie angesetzt werden kann, desto größer sind die Chancen, dass sich das Herz wieder ganz erholt. Richard Pacher: „Bei frühzeitiger Diagnose kann etwa eine von zehn Herzinsuffizienzen ganz geheilt werden. In den meisten anderen früh entdeckten Fällen gelingt es zumindest, den Zustand zu stabilisieren.“
Haupttäter Blutdruck
Was setzt die Spirale in Gang, an deren Ende ein kaputter Herzmuskel steht? – Der Hauptauslöser für eine chronische Herzinsuffizienz ist ein zu hoher Blutdruck. Das Herz muss ständig gegen den höheren Druck anarbeiten und damit enorme Mehrarbeit leisten. Das kann auf Dauer die linke Herzkammer und den Herzmuskel vergrößern und zum Kompensationskreislauf führen. Die Therapie einer Herzinsuffizienz beinhaltet daher fast immer eine Senkung des Blutdrucks. Die erste Schädigung des Herzmuskels kann aber auch von einem Herzinfarkt herrühren. Professor Pacher: „Ein Herzinfarkt führt dazu, dass ein Teil des Herzens nicht mehr arbeitet. Das führt über die Jahre zu einer Herzschwäche.“ Auch eine Herzmuskelentzündung, wie sie etwa nach einer verschleppten Grippe möglich ist, kann so viel Schaden anrichten, dass sich daraus eine Insuffizienz entwickelt. Aus den Hauptursachen lassen sich unschwer die Risikogruppen für Herzinsuffizienz ableiten: Menschen mit Bluthochdruck, Patienten nach einem Herzinfarkt und generell ältere Menschen. Das Risiko ist für Männer rund eineinhalb mal so hoch wie für Frauen.
Einfache Diagnose
Das gängige Diagnoseinstrument zur Feststellung einer Herzinsuffizienz ist die sogenannte Echokardiografie. Mit Hilfe von Ultraschallwellen werden Bilder des arbeitenden Herzens gewonnen. Darauf können die Größe des Organs und die Ejektionsfraktion gemessen werden. Diese gibt an, wie groß der Anteil des Blutes ist, der bei einem Herzschlag aus dem Hohlmuskel gepumpt wird. Beim gesunden Menschen beträgt die Ejaktionsfraktion zwischen 50 und 65 Prozent. Bei einer Herzinsuffizienz beträgt die Pumpleistung des Herzens weniger als 40 Prozent. Seit einigen Jahren lässt sich die Herzschwäche auch mit einem Laborwert ganz einfach bestimmen. Eine erhöhte Konzentration der Botenstoffe BNP beziehungsweise NT-proBNP weist auf eine Herzinsuffizienz hin. BNP (Brain Natriuretric Peptide) wird nämlich von den Zellen des Herzmuskels dann gebildet und ins Blut abgegeben, wenn er über einen längeren Zeitraum stark gedehnt wird. Univ.-Prof. Dr. Richard Pacher: „Mit diesem Test lässt sich Herzinsuffizienz auf einfache Weise, aber mit großer Sicherheit ausschließen.“
Wird eine Herzinsuffizienz diagnostiziert, setzt die Therapie vor allem bei den fehlgeleiteten Kompensationsmechanismen und bei der Hauptursache hoher Blutdruck an. Sogenannte ACE-Hemmer verhindern, dass sich die Blutgefäße verengen, während kardioselektive – also nur auf das Herz wirkende – Betablocker einer erhöhten Herzfrequenz entgegenwirken. Dazu kommen Entwässerungsmittel, die nicht nur gegen die Flüssigkeitseinlagerungen im Gewebe wirken, sondern zusätzlich auch noch den Blutdruck senken. Kardiologe Richard Pacher: „Die Kombinationstherapie hat sich ausgezeichnet bewährt. Ein Problem ist aber, dass viele Patienten die Medikamente aus Angst vor Nebenwirkungen absetzen.“ In besonders schweren Fällen kann dem Herzen auch mit einem eigens für die Insuffizienz konzipierten Schrittmacher oder einem ebenfalls unter die Haut implantierten Mini-Defibrillator geholfen werden. Ganz am Ende der Möglichkeiten steht ein Kunst- oder Spenderherz.
Mit dem Lebensstil hat man es bis zu einem gewissen Grad selbst in der Hand, dass es dazu nicht kommt. Univ.-Prof. Pacher: „Übergewicht und Rauchen sind eine große Belastung für das Herz, während Bewegung unbedingt zu empfehlen ist.“ Auch bei fortgeschrittener Insuffizienz: „Im Gegensatz zu früher rät man nun zu so viel Bewegung, wie eben möglich ist.“
Heinz Macher
Mai 2013
Foto: Bilderbox, mauritius, privat
Kommentar
„Die fehlgeleitete Kompensation führt zu einem Teufelskreis, durch den der Herzmuskel immer mehr geschädigt wird. Deshalb ist es sehr wichtig, dass eine Herzinsuffizienz so früh wie möglich entdeckt und behandelt wird.“
Univ.-Prof. Dr. Richard Pacher
Leiter der Herzinsuffizienz-Ambulanz, Universitätsklinik für Innere Medizin II, Wien