Fehler oder Erkrankungen der Herzklappen bleiben lange unentdeckt. Durchschnittlich 86.400-mal pro Tag schlägt das Herz — zweieinhalb Milliarden Mal in 70 Jahren. Bei jedem Pulsschlag pumpt es circa 100 Milliliter Blut. Gesunde Herzklappen behindern den normalen Blutfluss nicht und verhindern gleichzeitig durch perfektes Schließen den Rückstrom in die falsche Richtung. Ihr zartes Bindegewebe ist aber anfällig für krankhafte Veränderungen.
Zu den angeborenen Fehlbildungen zählen Verengungen und mangelnde Ausformungen der Taschen beziehungsweise Segel. Die meisten Klappenfehler entstehen im Laufe des Lebens. Bakterielle Infektionen von erkrankten Zähnen, Harnwegs- oder Atemwegsinfektionen, aber auch Piercing sind häufig Ursache, warnt Dr. Rudolf Mair von der Abteilung für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie am AKH Linz. Die Bakterien werden über den Blutweg ins Herz verschleppt, können dort zu Entzündungen führen und die Herzklappen mehr oder weniger schleichend beschädigen. Ein Herzinfarkt kann die Mitralklappe akut undicht machen. Altersbedingt setzen den Ventilen degenerative Gewebsschwäche, Bluthochdruck und Verkalkungen zu. Bei den Fehlfunktionen unterscheidet man Stenosen, also Verengungen, oder die Insuffizienz, bei der die Herzklappen undicht sind.
Sisyphusarbeit fürs Herz
Bei der Stenose der Aortenklappe besteht in der betroffenen linken Herzkammer ein viel höherer Blutdruck als im übrigen Körper. Der systolische Druckunterschied zwischen Herzkammer und Aorta ist Gradmesser für die Schwere der Verengung. Bei der Klappeninsuffizienz kämpft das Herz ständig gegen eine vermehrte, oft sogar doppelte Blutmenge an, weil bereits gepumptes Blut nochmals in die Herzhöhle zurückströmt. Mit einem Mehr an Muskel und Volumen versucht das Herz, die abnorme Druck- und Pumpbelastung aufzufangen. Die Symptome eines Herzklappenfehlers wie Atemnot, Rhythmusstörungen, Schwindelattacken, Ohnmachtsanfälle sowie Ödeme in Beinen, Bauch und Lunge tauchen erst auf, wenn das Herz sich den Grenzen seiner Leistungsfähigkeit genähert hat. Anfangs machen sie sich nur bei Anstrengung, später auch in Ruhe bemerkbar, können aber auch über Jahre stabil sein. Deshalb bleiben Herzklappenfehler oft lange unentdeckt. In den überdehnten Herzhöhlen lauert aber die Gefahr von Blutgerinnseln und damit eines Schlaganfalls. Das starke Wachstum des Herzmuskels kann zur Mangeldurchblutung der Herzkranzgefäße und so bei scheinbar gesunden Menschen ohne Vorwarnung zu plötzlichem Herzversagen führen.
Routineeingriff
Jede erkrankte Herzklappe erzeugt beim Abhören charakteristische Nebengeräusche – Grund genug für weitere Untersuchungen. Die Echokardiografie von außen gibt per Ultraschall erste Aufschlüsse. Eine Echokardiografie über die Speiseröhre, kurz TEE, sowie Herzkatheter, Computer- und Kernspintomografie werden erst bei speziellen Fragestellungen angewendet. Das Ja zur Operation und die Wahl des richtigen Zeitpunkts sind nicht leicht. Das Operationsrisiko selbst, die Folgen einer eventuell lebenslangen Behandlung mit Blutgerinnungshemmern – ein Dilemma etwa für Frauen mit Kinderwunsch –, aber auch das aktuelle Erkrankungsrisiko sind abzuwägen. Oft lässt sich ein Eingriff durchaus noch auf Jahre hinausschieben. Eine Herzklappenoperation – vor 60 Jahren noch undenkbar – ist heute ein Routineeingriff, der mit Hilfe der Herz-Lungen-Maschine durchgeführt wird. Sie übernimmt Sauerstoffversorgung und Blutkreislauf, sodass der Chirurg das stillgelegte Herz operieren kann.
Neueste Entwicklungen
„Stentless“-Bioprothesen vom Schwein ohne Gerüst und Nahtring versprechen längere Haltbarkeit und seit kurzem wird der Einschub von Prothesen mittels Katheter über die Beinarterie oder über einen kleinen Schnitt direkt in die Herzspitze praktiziert. Die Klappe entfaltet sich am Bestimmungsort von selbst. Das erspart einem unter Umständen die Eröffnung des Brustraums, ist aber nur in bestimmten Fällen möglich. Klappen aus Gewebszüchtungen — dem tissue engineering — sind hingegen über das Versuchsstadium noch nicht weit hinausgekommen.
Für den Langzeiterfolg einer Herzklappenoperation ist die Vorbeugung gegen die Endokarditis, die Entzündung des Herzinneren, unerlässlich. Der Herzklappenausweis, den jeder Patient besitzt, ist eine wichtige Information beispielsweise für Zahnarzt und Notfallmediziner, um schon die kleinste Infektionsgefahr mit Antibiotika zu bannen.
Klaus Stecher
Dezember 2008
Foto: deSign of Life, privat
Kommentar
OA Dr. Rudolf Mair
Abteilung für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie, AKH Linz