Am 22.10.2011 ist der 14. Welttag des Stotterns. Viele berühmte Persönlichkeiten der Geschichte haben gestottert, zum Beispiel Charles Darwin, Isaac Newton oder Winston Churchill. Doch diese Tatsache ist wohl nur ein geringer Trost für die Betroffenen – denn wenn man unter einer Störung des Redeflusses leidet, werden alltägliche Situationen wie Telefonieren oder Einkaufen zum Spießrutenlauf.
Ungewollte Wiederholungen und Pausen
Als Stottern bezeichnet man eine Störung des Redeflusses, die durch häufige Wiederholungen von Lauten oder Wortteilen oder durch Unterbrechungen und Pausen gekennzeichnet ist. Überwiegen die Blockierungen, spricht man vom tonischen, bei vermehrten Lautwiederholungen vom klonischen Subtyp. Häufig sind auch beide Störungen miteinander kombiniert. Manche Patienten keuchen, kneifen die Augen zu oder stampfen mit dem Fuß. Dies stellt meist einen Versuch dar, das Stottern zu überwinden. Es gibt aber auch so genannte innere Symptome. Dazu gehören die Gefühle und Reaktionen des Stotternden selbst, wie zum Beispiel Wut, Scham oder Frustration.
Männer sind häufiger betroffen
Rund ein Prozent der erwachsenen Bevölkerung in jedem Land ist betroffen. In Österreich schätzt man die Anzahl auf rund 80 000. Männer stottern vier bis fünf mal so häufig wie Frauen, wobei die Ursache für die ungleiche Verteilung nicht restlos geklärt ist. Häufiger tritt die Störung bei Epileptikern oder Menschen mit anderen neurologischen Grunderkrankungen auf. Sie beginnt immer vor dem zwölften Lebensjahr und in 90Prozent der Fälle vor dem sechsten Lebensjahr.
Viele Kinder (ca. 5 Prozent) stottern vorübergehend in ihrer Entwicklung, bei ca. 20 Prozent bleibt die Störung bestehen.
Poltern und Stottern
Nicht jede Störung des Redeflusses bezeichnet man als Stottern. Wichtig ist die Unterscheidung zum so genannten Poltern: Dabei werden durch zu schnelles und überstürztes Sprechen Laute verschluckt und dadurch die Aussprache undeutlich. Das Störungsbewusstsein ist bei Stotterern sehr viel ausgeprägter.
Ursache ist nicht geklärt
Es gibt viele Theorien über die Ursache des Stotterns, doch keine davon ist restlos erwiesen. Als gesichert gilt, dass Stottern familiär gehäuft auftritt, bisher konnte jedoch kein Erbgang nachgewiesen werden. Nicht das Stottern an sich, sondern die Veranlagung dazu wird vererbt. Es gibt aber auch nicht-genetische Einflüsse. Intelligenz oder das soziale Umfeld stehen in keinem Zusammenhang mit der Ursache.
„Bei entwickeltem Stottern spielt allerdings der psychische Hintergrund eine große Rolle: er kann beispielsweise den Grad der Scham und des Vermeidungsverhaltens in hohem Maße beeinflussen“, stellt Dr. Ulrich Natke, ehemals Grundlagenforscher an der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf, nun Therapeut und Verlagsinhaber, fest.
Sprechen erfordert Koordination
Einige Psychoanalytiker bezeichnen Stottern als ein neurotisches Syndrom, also eine Zwangserkrankung. Andere sehen als Ursache eine körperliche Fehlfunktion in der Rückmeldung und Verarbeitung von Nervensignalen für das Sprechen. Tatsache ist, dass beim Sprechen über 100 Muskeln koordiniert werden müssen und dies eine hohe Anforderung an unser Gehirn darstellt.
„In neuen Untersuchungen, in denen die Gehirnaktivität stotternder und nicht stotternder Personen miteinander verglichen wurde, wurden Unterschiede in der Verarbeitung dieser Nervensignale gefunden. Die Ergebnisse erlauben aber noch keinen Rückschluss auf die Ursache oder auf Behandlungsmöglichkeiten des Stotterns“, so Natke.
Verbesserung möglich - Heilung fraglich
Eine vollständige Heilung ist im Erwachsenenalter kaum oder nur sehr schwierig erreichbar. Es gibt jedoch verschiedene Ansätze, um das Sprechen deutlich zu verbessern und den Betroffenen die Situation zu erleichtern. Eine Möglichkeit stellt die Verhaltenstherapie dar. Dabei soll der Patient lernen, die Anspannung beim Stottern abzubauen und die Symptome auf diese Art zu verflüssigen. Voraussetzung hierfür ist die Überwindung der inneren Symptome. Ein anderer Ansatz sieht vor, eine völlig neue Sprechtechnik zu erlernen. Dabei macht man sich die Beobachtung zunutze, dass die meisten Stotternden keine Probleme beim Singen haben. Die anfangs künstlich klingende Sprechweise wird dann nach und nach dem normalen Sprechen angeglichen.
Vorsicht vor unseriösen Therapien
Der oftmals hohe Leidensdruck der Betroffenen wird leider manchmal ausgenutzt. Versprechen, eine schnelle und vollständige Heilung durch irgendwelche – oft kostspielige – Therapien zu erzielen, sind meistens unseriös und sollten kritisch betrachtet werden. Eine schnelle Besserung kann oft durch Rhythmisierungsübungen erzielt werden, doch ist diese nur selten von Dauer. Jeder Therapieansatz sollte immer auch hinsichtlich seiner Langzeiterfolge beurteilt werden und diese sind leider oftmals nur spärlich vorhanden.
„Eine schnelle Besserung bedeutet oft auch einen schnellen Rückfall. Rückfälle sind in der Stottertherapie eher die Regel als die Ausnahme. Deswegen sollten seriöse Therapieangebote eine ausgedehnte Nachsorgephase beinhalten“, gibt Natke zu bedenken.
Selbsthilfegruppen sinnvoll
Versuche, Stottern durch eine medikamentöse Therapie zu heilen, haben bisher keine guten Langzeitergebnisse hervorgebracht. Auch alternative Verfahren, wie Bioresonanz, Hypnose oder Akupunktur, entbehren einer wissenschaftlich fundierten Grundlage. Dennoch muss man sagen, dass es kaum eine Therapieform gibt, die nicht irgendwann irgendwem geholfen hat.
Eine sinnvolle Möglichkeit, sich mit der Erkrankung auseinanderzusetzen, sind Selbsthilfegruppen.
Frühzeitig zum Fachmann
Der Zeitpunkt, wann man bei Kindern mit einer Therapie beginnen soll, wird kontroversiell diskutiert. Dabei spielt auch die Angst, durch eine zu frühe Therapie ein erhöhtes Störungsbewusstsein hervorzurufen, eine Rolle. Inzwischen ist man sich jedoch einig, dass bereits Kinder frühzeitig behandelt werden sollen. Einerseits ist es bei kleinen Kindern noch leichter, die Sprachentwicklung zu beeinflussen, andererseits kann die Tabuisierung von Stottern Angst und Schamgefühle des Kindes verstärken. Auf alle Fälle sollte man frühzeitig einen Spezialisten für Sprachstörungen aufsuchen. Dort können Behandlungsmöglichkeiten, der optimale Zeitpunkt für eine Therapie und mögliche weitere Hilfestellungen besprochen werden.
Weiterführende Internetadressen:
www.oesis.at
www.stottermodifikation.de
www.stotternwiki.de
www.natke-verlag.de
Dr. Ulli Stegbuchner
August 2011
Foto: Bilderbox