Etwa 50 Prozent aller chronisch kranken Patienten nehmen Medikamente nicht vorschriftsgemäß ein oder beenden die Therapie selbständig. Am Beispiel Diabetes zeigt sich, dass die Therapietreue (Compliance) sehr wichtig ist. Fehlt sie, hat das oft negative Auswirkungen auf den Behandlungserfolg.
600.000 bis 700.000 Diabetes-Kranke gibt es in Österreich. Damit einher geht ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle. Am Ende kann sogar eine Beinamputation oder Erblindung stehen. Darüber hinaus sind 35 Prozent der Dialyse-Patienten Diabetiker. „Zahlen, die nur durch eine adäquat durchgeführte Therapie verbessert werden können“, sagt Dr. Johann Loipl, Arzt für Innere Medizin und Diabetologe am Landeskrankenhaus Rohrbach. Patienteninformation, Schulung und vorbeugende Programme tragen zum Behandlungserfolg bei.
Therapietreue
Prinzipiell definiert man Therapietreue (Compliance genannt) als das Verhalten eines Patienten auf die vorgegebene Therapie. Etwa, ob er einen Ernährungsplan befolgt oder seine Lebensweise gemäß den Empfehlungen des Arztes verändert. Die entscheidende Frage ist, ob und inwieweit der Patient bereit ist, die Vorschläge anzunehmen.
Diabetes beeinflusst Lebensqualität
Beim Diabetes handelt es sich um eine chronische Erkrankung, die für den Betroffenen meist einen großen Einschnitt ins Leben bedeutet. Für eine gute Compliance muss daher die Lebensqualität des Patienten in den Vordergrund gerückt werden. Diese wird aber leider nach dem Beginn einer Therapie oft als schlechter empfunden als vorher. Der Patient muss regelmäßig Blutzucker messen und er soll Diät halten. Der Patient ist daher verleitet, die Therapie abzubrechen oder nur sporadisch umzusetzen.
Positive und negative Faktoren
„Ein gutes Arzt-Patienten-Verhältnis ist die beste Basis für eine erfolgreiche Therapie“, sagt Loipl. Das wird gefördert, wenn sich der Patient gut betreut fühlt und sich der Arzt Zeit für ihn nimmt. Am ehesten ist die Therapietreue bei einem zufriedenen Patienten gewährleistet, der akzeptiert hat, dass die Behandlung ein Leben lang notwendig ist.
Von Seiten des Patienten wirkt sich eine gute Familienstruktur bzw. ein gutes soziales Umfeld, aber auch eine höhere Bildung positiv auf die Compliance aus. Negativ wirkt, wenn der Patient nicht versteht, warum er eine bestimmte Therapie machen soll, oder wenn er unter den Nebenwirkungen von Medikamenten leidet, wie zum Beispiel Durchfall oder Übelkeit. Schlecht für die Therapietreue ist auch, wenn die Erwartungen an den Arzt bzw. an die Therapie nicht erfüllt werden, oder wenn eine neue Therapie begonnen wird, ohne dass sie ihm richtig erklärt wird.
Therapie ist ein fließender Prozess
Die Einstellung des Patienten zu seiner Therapie ändert sich im Laufe der Behandlung. Sie ist kein fixer Zustand, sondern ein kontinuierlicher, fließender Prozess, der die Mitarbeit des Patienten und den Gedankenaustausch mit dem Arzt erfordert. Es entstehen „Therapiekooperationen“, im Zuge derer die Therapie auf die Lebensbedingungen des Patienten abgestimmt wird. „Compliance muss also nicht nur vom Patienten, sondern auch vom Arzt eingefordert werden“, so Loipl. Der Patient soll das Gefühl haben, dass der Arzt immer auf dem letzten Stand des Wissens ist und wirklich man von einem Spezialisten behandelt wird. Fremdwörter sollten tunlichst vermieden werden, aber auch nicht soweit reduziert werden, dass der Patient das Gefühl hat, der Arzt versteht nichts von seinem Fach. Eine verständliche und klare Ausdrucksweise fördert die Zusammenarbeit.
Therapieverweigerung
Ganze oder teilweise Therapieverweigerung, auch als „Non-Compliance“ bezeichnet, kann mehrere Gründe haben. Eine absolute Therapieverweigerung kann es etwa aus religiösen Gründen geben (z. B. Bluttransfusionen). Patienten führen aber auch eigenmächtige Veränderungen am Therapieplan durch, stellen die Zeiten der Medikamenteneinnahme um, oder lassen absichtlich oder unabsichtlich die Medikation entfallen. Dann bedarf es gesonderter Aufklärungsgespräche bzw. Schulungen mit dem Patienten.
Der Patient als Manager
Am Anfang einer Erkrankung ist der Leidensdruck noch nicht groß, der Diabetes verursacht keine Schmerzen. Fehlende Motivation verhindert oft die Durchführung vorbeugender Maßnahmen. Der Leidensdruck wird umso größer, je mehr Folgeerkrankungen auftreten, und der Patient ist dann eher bereit, diese Maßnahmen durchzuführen. „Manchmal liegt auch die Schuld beim Arzt, wenn er es nicht schafft, den Sachverhalt richtig zu erklären“, sagt Loipl. Letztlich soll der Patient auf einen so hohen Wissensstand gebracht werden, dass er selbst sein eigener Manager wird. Dann wird er gerne sein Gewicht reduzieren und seine Lebensweise ändern, weil klar wird, dass er sich damit etwas Gutes tut.
Idealerweise gibt es eine Zusammenarbeit zwischen dem niedergelassenen Arzt und einer Spezialambulanz (duales Prinzip), was die Patienten-Compliance eindeutig verbessert. Im Spitalsbereich werden strukturierte Schulungen für schwierige bzw. insulinpflichtige Patienten angeboten. Im niedergelassenen Bereich existiert ein Schulungsprogramm in Zusammenarbeit mit der Gebietskrankenkasse.
Therapietreue messen
Direkte Methoden sind das Messen von Biomarkern, bei Diabetes ist das vor allem der Blutzucker (HbA1c-Wert). Zu den indirekten Methoden gehören die Patientenbefragung, die Auswertung von Tagebüchern, oder die Kontrolle des Arzneimittelverbrauchs beim Apotheker. Natürlich hat jede Methode ihre Vor- und Nachteile, und ein einzelner Faktor sagt noch wenig über die Therapietreue aus.
„Die Compliance kann man auch bei sehr schwierigen Patenten verbessern, weswegen man einen Patienten nie aufgeben soll. Man kann zu jedem Patienten einen Zugang finden, wenn man will“, sagt Loipl. Weder ein hohes Gewicht noch ein hohes Alter dürfen ein Hindernis darstellen, um dem Patienten eine adäquate Therapie zukommen zu lassen. „Durch die Zusammenarbeit zwischen niedergelassenem Arzt und der Spitalsambulanz fallen bei uns keine Patienten durch den Rost“, so der Arzt.
Bewusstseinsbildung statt Resignation
Die Zahl der Diabetiker wird in den nächsten Jahren voraussichtlich noch weiter ansteigen, was aber kein Anlass zur Resignation sein muss. „Der Arzt muss um jeden Patienten ringen und ihm erklären, um was es geht. Ich bin überzeugt davon, dass in Zukunft auch das Bewusstsein der Bevölkerung für diese Erkrankung geschärft werden wird. Darin sehe ich die große Chance“, sagt Loipl. Das Wichtigste bleibt das gute Verhältnis zwischen Arzt und Patient. Hoch motivierte Patienten sind oft sehr personenfixiert, etwa auf eine Krankenschwester oder einen Arzt, zu dem sie großes Vertrauen haben. Letztlich wird durch eine gute Compliance nicht nur der Patient, sondern auch der Arzt gestärkt.
Unterstützung durch Sozialversicherung
Mit „Therapie Aktiv – Diabetes im Griff“ bieten die Sozialversicherungen für Diabetes Typ 2 Patienten Unterstützung im Behandlungsprozess an. Gemeinsam mit dem behandelnden Arzt vereinbaren die Patienten individuelle Behandlungsziele. Regelmäßige Untersuchungen von Blutwerten und Blutdruck, Augen, Beinen und Harn stellen sicher, dass die gefährlichen Folgeerkrankungen frühzeitig erkannt und wirksamer behandelt werden können. Eine ausführliche Patientenschulung und –beratung hilft den persönlichen Lebensstil anzupassen.
Voraussetzungen für die Teilnahme an Therapie Aktiv sind eine eindeutige Diagnose von Diabetes Mellitus Typ 2 und die Bereitschaft, aktiv am Programm mitzuwirken. Die Teilnahme an Therapie Aktiv ist für Patienten freiwillig und kostenlos. Mehr Informationen dazu unter http://diabetes.therapie-aktiv.at.
Dr. Thomas Hartl
Juli 2013
Foto: Bilderbox