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Darmentzündung: Gute Keime, böse Keime

Darmentzündung: Gute Keime, böse KeimeSuperorganismus Mensch: Mikroorganismen wie Viren, Bakterien oder Pilze können den Menschen krank machen. Sie tragen aber auch viel zu seiner Gesundheit bei.

Der Mensch ist nicht alleine – das gilt insbesondere für seinen Körper, der innen und außen von vielen Lebewesen besiedelt ist. Als Teil des Ökosystems ist unser Organismus ein wahrer Tummelplatz für kleinste Lebewesen aller Art. Neue Erkenntnisse über diese vielfältigen Mikroorganismen haben in den letzten Jahren das Bild des Menschen verändert – zumindest aus der Sicht der Wissenschaft. „Der Mensch wird immer stärker als eine Art Superorganismus wahrgenommen. Als etwas, das nicht nur aus Knochen, Haut und Muskeln besteht, sondern auch an eine Vielzahl von Mikroorganismen gekoppelt ist“, erklärt der Mikrobiologe Dr. Alexander Loy vom Department für Mikrobielle Ökologie der Universität Wien. In der Medizin hat dadurch ein massiver Richtungswechsel stattgefunden: Man fängt an zu begreifen, dass der Mensch nicht losgelöst von seinen Mikroorganismen betrachtet werden kann.
 

Mikroorganismen notwendig

Dies ist vor allem deshalb wichtig, weil viele der kleinen „Mitbewohner“ nützlich oder sogar lebensnotwendig sind. Bakterien etwa sind weit besser als ihr Ruf. Der Mensch braucht manche von ihnen, um gesund zu bleiben. Im Darm leben zum Beispiel Billionen von Bakterien. „Diese Mikroorganismen helfen uns beim Verdauen und Verwerten der Nahrung“, erklärt Alexander Loy, „sie versorgen uns mit Vitaminen und stimulieren unser Immunsystem.“ Für diese Unterstützung steht eine regelrechte Armee von einigen tausend Bakterienarten bereit. Sie fallen entsprechend ins Gewicht und machen etwa ein bis zwei Kilogramm des Körpergewichts eines erwachsenen Menschen aus.

Wie wichtig die Darmflora, die auch als Mikrobiota bezeichnet wird, ist, merkt man dann, wenn sie geschwächt wird. Denn die Darmbakterien schützen auch vor Krankheitskeimen. Diese Mikroorganismen haben aber auch in anderen Körperregionen wichtige Funktionen. Sogenannte Döderlein-Bakterien besiedeln zum Beispiel die Scheide von Frauen im gebärfähigen Alter. Sie produzieren Milchsäure und sorgen so für ein saures Milieu, eine Art Schutzbarriere vor Infektionen. 

Bakterien auf der Haut

Auch auf dem dünnen Schweißfilm auf unserer Haut leben Bakterien, und zwar reichlich: Auf trockenen Hautstellen tummeln sich pro Quadratzentimeter an die 1.000 dieser Kleinstlebewesen. In fettigen Bereichen wie etwa auf der Stirn können es auch mehrere Millionen pro Quadratzentimeter Haut sein.

Der „Artenreichtum“ von Hautbakterien ist beeindruckend. Forscher der Universität New York entdeckten allein auf den Unterarmen gesunder Menschen 182 verschiedene Bakterienarten. Sie fanden auch heraus, dass jeder Mensch einen ganz individuellen Bakterienzoo beheimatet – abhängig von Ernährung, Geschlecht, Hygiene und Klima. Viele davon sind den Wissenschaftern noch gar nicht bekannt.

Hautbakterien sind normal und sogar gesund, denn diese „guten“ Bakterien arbeiten sozusagen als Müllabfuhr für Hautschuppen und Talgreste, die „bösen“ Bakterien wie etwa Eitererregern einen Nährboden bieten können. Daher sollte man die Haut auch nicht übermäßig waschen und damit alle guten Bakterien „wegschruppen“. Übertriebene Hygiene kann nach hinten losgehen und die Ausbreitung von Krankheitserregern sogar fördern. Bakterien leben nicht nur auf der Haut, im Darm und in der Scheide. Auch in den Atemwegen einschließlich Mund und Nase existieren viele dieser Mikroorganismen. Allein in der Mundhöhle tummeln sich mindestens 1.000 verschiedene Bakterienarten. Schier unvorstellbar ist die Zahl der Keime auf einem ungeputzten Zahn – etwa eine Milliarde Bakterien haben hier Platz. Auf einem geputzten Zahn sind es immer noch 1.000 bis 100.000 Stück. 

Wenn Keime krank machen

Viele Bakterien nützen dem menschlichen Körper. Dabei kommt es zu einem gegenseitigen Nehmen und Geben, von dem Mensch und Keim gleichermaßen profitieren. Der Darm zum Beispiel bietet den Mikroorganismen reichlich Nahrung. Der Mensch wiederum profitiert von den Stoffwechselprodukten der kleinen Mitbewohner. Sie liefern etwa das wichtige Vitamin B12 oder das Vitamin K. Und sie sorgen für ein saures Milieu, das Krankheitserregern wenig behagt.

Viele Mikroorganismen sind einfach da, ohne dass sie etwa auf der Haut oder im Darm dem menschlichen Körper etwas Gutes tun. Sie sind weder nützlich noch schädlich. Das gilt selbst für potenziell gefährliche Kandidaten wie etwa Pneumokokken in den Atemwegen oder Bakterien in der Blase, die auch in einem gesunden Körper vorhanden sind. Erst dann, wenn sie sich massenhaft vermehren und das Immunsystem nicht mehr damit fertig wird, wirken sie sich negativ aus. Im Fall der Pneumokokken kann etwa eine Lungenentzündung entstehen.

Mikroben richten vor allem dann Schaden an, wenn sie in Bereiche vordringen, in denen sie nichts verloren haben. Denn im gesunden Körper sind abgesehen vom Verdauungstrakt alle inneren Organe und auch das Blut bakterienfrei. Besonders im Blut sind diese Kleinstlebewesen gefährlich. Wenn sie sich dort einnisten, entsteht eine Blutvergiftung. Bakterien können zudem schwere Erkrankungen wie Diphtherie, Pest, Tuberkulose, Lepra oder Cholera verursachen. Zum Glück gibt es inzwischen für fast alle diese gefahrbringenden Mitglieder der Bakterien- „Sippe“ wirksame Behandlungsmöglichkeiten und Schutzimpfungen. Antibiotika etwa stören den Stoffwechsel von Bakterien und machen damit ihrem Treiben ein Ende.

Was die Schädlichkeit von Mikroorganismen angeht, sind die Mediziner gerade dabei, sich von der Vorstellung zu verabschieden, dass nur jeweils eine Bakterienart Bakterienart krank mache. Man spricht heute eher von polymikrobiellen Krankheiten, die durch das Zusammenwirken mehrerer Mikroben entstehen. Hier steht die Forschung allerdings erst ganz am Anfang. 

Warum Viren gefährlich sind

Weit schlechter als bei Bakterien sind die Behandlungsmöglichkeiten für die viel schwerer kontrollierbaren Viren. Auch diese Mikroorganismen suchen sich gerne Menschen als unfreiwillige Gastgeber aus. Doch im Gegensatz zu den Bakterien, die weit besser sind als ihr durch Pest und Cholera beschädigter Ruf, lassen sich Viren viel schwerer bekämpfen. Der Grund liegt darin, dass sie keinen eigenen Stoffwechsel besitzen, den man von außen angreifen kann.

Die einzige Abwehrwaffe ist das Immunsystem des Menschen, das den Viren mit sogenannten Antikörpern zu Leibe rückt. Diese Arbeit lässt sich durch die Impfung mit abgeschwächten oder toten Viren unterstützen. So kann sich das Immunsystem schon mal auf einen möglichen Angriff der Krankheitserreger vorbereiten. Leider sind Viren sehr anpassungsfähig. Sie ändern sich schnell. Bei der Grippeimpfung muss daher jedes Jahr gegen einen anderen Typus geimpft werden. 

Pilze mögen Menschen

Im Gegensatz zu den veränderungsfreudigen Viren sind Pilze recht behäbige Kleinstlebewesen. Auch sie bevölkern den Menschen und lassen sich gerne im Verdauungstrakt nieder. Auf der Haut ernähren sich diese Mikroorganismen ebenso wie Bakterien von abgestorbenen Hautschuppen. Sie erfüllen also eine wichtige Funktion als „Müllabfuhr“.

Nur wenige der vielen bekannten Pilze sind für den Menschen schädlich. In unseren Breiten werden fast alle daraus entstehenden Infektionen von weniger als einem Dutzend Pilzarten verursacht. Die wichtigsten Schädlinge sind Hautpilze, Hefe- und Schimmelpilze. Hautpilzen schmeckt das Keratin, das ist der Hauptbestandteil von Haut und Haaren, besonders gut. Hefepilze sind an und für sich harmlos und wichtiger Bestandteil der Nahrung – etwa als Bäcker- oder Bierhefe. Andere Hefepilze, wie der relativ bekannte Candida albicans, können allerdings Krankheiten auslösen.

Schimmelpilze gibt es zuhauf in der Umgebung des Menschen. Aber nur wenige der vielen Unterarten sind gefährlich und greifen Haut und Schleimhaut an. Hautpilze können zwar lästig, aber niemals lebensbedrohlich sein. 

Training für das Immunsystem

Mikroben machen vor allem dann krank, wenn der Körper geschwächt ist und sich die kleinen Mitbewohner daher zu stark entwickeln können. Ein Übermaß an Viren, Pilzen und Bakterien ist für den Menschen ungesund, doch in wohldosierten Mengen sind diese Mikroorganismen auch für unser Immunsystem wichtig. Sie trainieren es, halten es auf Trab und sorgen dafür, dass es sofort auf dem Posten ist, wenn es einmal wirklich gefährlich wird.

Dr. Regina Sailer

September 2009

Foto: Shutterstock, privat

Was sind Bakterien, Viren und Pilze?

Viren sind die kleinsten Bewohner des Mikrokosmos Mensch. Sie bestehen lediglich aus Erbmaterial, das von einer Eiweißhülle umgeben ist. Sie haben keinen eigenen Stoffwechsel und können sich daher nicht selbständig vermehren. Dazu brauchen sie einen Wirt, der das unfreiwillig für sie erledigt. Viren sind Parasiten, die in Zellen eindringen, diese „umprogrammieren“ und so veranlassen, weitere Viren zu erzeugen. Sie sind sozusagen Vorformen des Lebens, während Bakterien Lebewesen mit einem eigenen Stoffwechsel sind. Diese bestehen im Gegensatz zu Viren aus einer Zelle und können sich daher selbständig vermehren, indem sie sich teilen. Manche Bakterien können sich aktiv fortbewegen, während Viren nur passiv übertragen werden.

Auch Pilze bestehen aus einer Zelle. Sie besitzen im Gegensatz zu Bakterien aber mehr als ein Chromosom, in denen die Erbanlagen festgeschrieben sind. Diese schon etwas höher entwickelten Kleinstlebewesen vermehren sich besonders gut in einer feuchtwarmen Umgebung und bilden Fäden, die sich zu einem Geflecht verbinden. Pilzinfektionen, die auch Mykosen genannt werden, entstehen vor allem auf der Haut, im Verdauungstrakt und auf den Genitalien. Ein intaktes Immunsystem kann diese Erkrankungen verhindern.
 

Auf der Spur von Darmentzündungen und Krebs

100 Billionen Mikroorganismen gibt es im menschlichen Darm! Dieser Kosmos ist in vielen Bereichen noch unentdecktes Land. Erst seit kurzem wird er von der Wissenschaft intensiv erforscht. Möglich wurde das durch neue Untersuchungstechniken der Mikrobiologie, die erstmals einen tiefergehenden Blick auf das vielfältige Leben in unserem Darm erlauben. Dadurch weiß man etwa seit kurzem, dass von den unzähligen verschiedenen Mikrobenarten im Darm nur sehr wenige wirklich häufig sind. Viele Arten kommen nur in sehr geringer Zahl vor. Sie dürften eine Art Reservoir sein, das sich erst bei veränderten Lebensbedingungen stark vermehrt und so dem Menschen hilft, besser mit seiner Umgebung zurechtzukommen.

Neue Methoden

Eines der Institute, die weltweit den kleinen Darmbewohnern auf der Spur sind, befindet sich in Österreich. Das Department für Mikrobielle Ökologie der Universität Wien untersucht seit neuestem, wie die kleinen Darmbewohner tatsächlich leben und wie sie den Menschen beeinflussen. beeinflussen. Die Wissenschafter des Departments arbeiten in einem Bereich, der für die Wissenschaft generell noch viel Neuland birgt: „Wir fangen erst an, zu begreifen, wie die Darm-Mikrobiota zusammengesetzt ist und welche Funktion die einzelnen Mitglieder haben“, erklärt Dr. Loy, der maßgeblich neue Untersuchungsmethoden für die Identifizierung von Bakterien mitentwickelt hat. An seinem Institut ist soeben ein Projekt mit der Bezeichnung „InflammoBiota“ angelaufen, das vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung gefördert wird und im Rahmen der Genomforschung für Österreich (GEN-AU) erfolgt. Dabei wird untersucht, wie sich das Vorhandensein bestimmter Darmbakterien auf die Entwicklung entzündlicher Darmerkrankungen auswirkt. Ausgangspunkt war die Feststellung, dass Patienten, die an Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn leiden, eine komplett andere Darm-Mikrobiota haben als gesunde Menschen. Nun wollen Dr. Loy und seine Forscherkollegen herausfinden, ob das Ursache oder Folge ihrer Erkrankung ist. Dabei bedienen sie sich neuer, unter anderem an ihrem Institut entwickelter Forschungsmethoden, bei denen die Bakterien durch Isotope markiert werden. Auf diese Weise wollen sie klären, wie diese Mikroorganismen im Darm leben und ob beziehungsweise wie ihre Lebensweise zu Entzündungen führen kann.
 

Machen Bakterien dick?

Die weltweiten intensiven Forschungen rund um die Mikrobiota des Darms könnten auch in anderen medizinischen Bereichen bahnbrechende Erkenntnisse bringen: „Wir wissen heute zum Beispiel, dass bestimmte Darmbewohner bei fettleibigen Mäusen gehäuft vorkommen“, erklärt Dr. Loy. Man könne daher davon ausgehen, dass diese besonderen Darmbewohner die Fettleibigkeit beim Menschen mitbestimmen. Ein Indiz dafür ist, dass dicke und dünne Menschen tatsächlich eine unterschiedliche Darm-Mikrobiota haben. Auch auf die Entstehung von Krebserkrankungen dürften die kleinen Darmbewohner einen Einfluss haben. Welche Art von Darmflora welche Krebsart begünstigt, ist derzeit noch völlig unklar und wird weltweit intensiv erforscht.
 

Kommentar

Darmentzüngung: Gute Keime, böse Keime„Bakterien werden in der Bevölkerung vorwiegend negativ wahrgenommen. Das hängt auch damit zusammen, dass vorwiegend Mikroorganismen untersucht werden, die Krankheiten auslösen, und nicht solche, die Gutes tun.“
Dr. Alexander Loy
Gruppenleiter am Department für Mikrobielle Ökologie der Universität Wien

Zuletzt aktualisiert am 11. Mai 2020