Die Zahl der chronisch schmerzkranken Menschen in Österreich wird auf mehr als 300.000 geschätzt, Tendenz steigend. Wie eine österreichweite Befragung von Schmerzpatienten ergab, ist deren Situation alles andere als zufriedenstellend.
Die Aktion wurde anlässlich der achten Schmerzwochen der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG) zwischen April und August 2008 durchgeführt. Beteiligt waren die Selbsthilfegruppe „Schmerz“ in Zusammenarbeit mit der ÖSG und dem Bundesministerium für Gesundheit, Familie und Jugend. Die Befragung ergab, dass sich die Patienten nicht ernst genommen und schlecht informiert fühlen und sich eine Verbesserung der Versorgungssituation wünschen.
Die zentralen Ergebnisse der Befragung:
- 90 Prozent der Befragten halten eine Verbesserung der Information über Diagnosen und Therapien für sehr wichtig.
- Rund 50 Prozent leiden bereits seit 20 bis 30 Jahren unter Schmerzen.
- 75 Prozent der Befragten haben ständig Schmerzen, obwohl fast alle regelmäßig in Behandlung sind und auch Schmerzmedikamente einnehmen.
- 70 Prozent gaben an, dass es ihnen zum Zeitpunkt der Befragung schlecht bis sehr schlecht gegangen sei.
- 40 Prozent der Befragten haben bereits mehr als zehn Ärzte wegen ihrer Schmerzen konsultiert, wobei 73 Prozent schlechte Erfahrungen dabei machen mussten. Mit den Schmerzambulanzen in den öffentlichen Krankenhäusern waren 65 Prozent der Befragten unzufrieden.
Mehr Information gefordert
Die meisten Befragten fordern mehr Information über ihre Erkrankung und über mögliche Therapien. „Und das, obwohl diese Patienten in Behandlung sind und auch relativ gut aufgeklärt wurden, nicht zuletzt deshalb, weil sie sich Selbsthilfegruppen angeschlossen haben. Wenn man das berücksichtigt, kann man sich vorstellen, wie schlecht es erst den Menschen gehen muss, die nicht in Behandlung sind und still ihr Leid ertragen“ sagt Susanne Fiala von der Wiener Selbsthilfegruppe „Schmerz“.
Schmerz senkt Lebensstandard
Wie hoch die Beeinträchtigung durch die Schmerzen im täglichen Leben ist, zeigt die Befragung: Ausnahmslos alle Befragten sagen, dass die Schmerzen großen Einfluss auf ihre Lebenssituation nehmen. Chronischer Schmerz hat Auswirkungen auf alle Bereiche des Lebens. Nicht nur auf die eigene Befindlichkeit, sondern natürlich auch auf die Partnerschaft, das Familienleben und nicht zuletzt die Arbeitsfähigkeit. „Die zuständigen Stellen sollten sehr dringend handeln. Man muss diesen Menschen helfen, sich wieder in den Arbeitsprozess und in das soziale Leben eingliedern zu können“, fordert Fiala.
Die Krankenstandstage wegen Schmerzen – vor allem Wirbelsäulenbeschwerden – nehmen immer mehr, so Fiala: „Wenn nicht rasch etwas geschieht, wird das in den nachfolgenden Generationen ein noch größeres Problem werden. Dass die Prophylaxe wichtiger denn je ist, steht daher außer Zweifel.“
Schmerz macht ohnmächtig
Chronischer Schmerz macht hilflos und vermittelt auf Dauer das Gefühl, dem unsichtbaren Gegner ohnmächtig gegenüber zu stehen. Die Frustration aufgrund langer Leidenswege ist enorm hoch. 57 Prozent der Befragten haben keine „Vorstellungen darüber, wie ihnen persönlich geholfen werden kann“. Diese Aussage verwundert wenig, wenn man sich den Umstand vor Augen hält, dass rund 50 Prozent bereits seit 20 bis 30 Jahren unter ständigen Schmerzen leiden.
Schmerzen ernst nehmen
Die Patienten wünschen sich, dass ihre Schmerzen ernst genommen werden. Sie vermissen oft das Verständnis der behandelnden Ärzte. Nicht selten werden sie mit der Aussage „damit müssen Sie leben“, abgefertigt. Die Kommunikation zwischen Arzt und Patient ist oft aus vielerlei Gründen nicht zufrieden stellend und unzureichend. Laut der Befragung geben rund 35 Prozent an, dass sie von ihrem Arzt weder über Ursachen ihrer Schmerzen, noch über optimale Therapien oder Medikamente beziehungsweise deren Nebenwirkungen aufgeklärt wurden. 45 Prozent gaben an, nicht zu wissen, welche Medikamente gegen ihre Schmerzen wirksam sind. „Diese fehlende Kommunikation führt dazu, dass 31 Prozent selbständig die Dosis ihres Medikaments nach Eigenempfinden erhöhen, 23 Prozent sie reduzieren und 28 Prozent ihre Medikation selbständig ohne Rücksprache mit ihrem Arzt absetzen“, so Fiala.
Schmerz ist teuer
Die Häufigkeit von Spitalsaufenthalten ist in der Gruppe der chronischen Schmerzpatienten enorm hoch: 85 Prozent der Befragten waren in den vergangenen fünf Jahren ein- bis fünf Mal in stationärer Behandlung. Zehn Prozent fünf bis zehn Mal, und fünf Prozent sogar mehr als zehn Mal. „Der letztgenannte Punkt zeigt sehr deutlich, dass die jetzige Situation in Österreich unbefriedigend ist, weil stationäre Aufenthalte sehr teuer sind. Projekte aus anderen Ländern zeigen, dass durch Schaffung interdisziplinärer Versorgungsstrukturen und Netzwerken die Zahl der stationären Aufenthalte bzw. Aufenthaltsdauer pro Aufnahme signifikant gesenkt werden kann“, sagt Fiala.
Aus Sicht der Selbsthilfegruppen leiten sich daraus einige Forderungen ab:
- Mehr Informationen darüber, dass es Möglichkeiten gibt, Schmerzen zu behandeln und man sie nicht als „Schicksal“ hinnehmen muss. Chronischer Schmerz ist häufig zu verhindern! Nicht zuletzt kommt hier auch den Medien eine wichtige Multiplikatorenrolle zu.
- Appell an die Ärzte, Patienten ernst zu nehmen und die Schmerzen nicht zu bagatellisieren, sondern zu behandeln! Ein alarmierendes Signal der Patientenbefragung: Nur zehn Prozent fühlen sich gut therapiert.
- Aufforderung an die Sozialversicherungsträger, die Kosten für eine adäquate Schmerztherapie zu übernehmen, um damit höhere Kosten, die die Langzeittherapien und Krankenstände verursachen, zu verhindern. Auch Schmerzambulanzen in öffentlichen Krankenhäusern mit entsprechend ausgebildeten Ärzten beziehungsweise interdisziplinärer Einrichtungen sind in größerer Anzahl notwendig.
Der Wunsch nach mehr Spezialisten mit Kassenvertrag, da die meisten Schmerzmediziner nur privat ordinieren, zählt zu einem großen Anliegen der Betroffenen, so das Ergebnis der Patientenumfrage. Auch psychologische Unterstützung wäre für die Schmerzpatienten dringend nötig, aber 76 Prozent bekommen laut Befragung dafür keine Bewilligung ihrer Krankenkasse.
Gesundheitspolitik gefordert
Schmerzspezialist Dr. Michael Bach vom LKH Steyr erhofft sich von bereits in die Wege geleiteten Maßnahmen Verbesserungen, die in den nächsten Jahren greifen sollen. Dazu zählen etwa die Berücksichtigung schmerzmedizinischer Grundlagen während des Medizinstudiums und fachspezifische schmerzmedizinische Ausbildung während der Ausbildung zum Facharzt. Freilich bleibt noch viel zu tun. „Ein nächster wichtiger Schritt in der Optimierung der Versorgung der chronischen Schmerzpatienten wäre ein abgestuftes und flächendeckendes Versorgungsangebot, das vom niedergelassenen Allgemeinmediziner über Fachärzte, einen Praxisverbund, Schmerzambulanzen bis hin zu interdisziplinären Tageskliniken und Schmerzzentren reicht“, sagt Bach. Vor allem interdisziplinäre Einrichtungen sollen einen Fortschritt bringen. „Interdisziplinär bedeutet, dass mehrere Fachbereiche konkret zusammen arbeiten. Dabei wird ein Patient von mehreren Seiten gleichzeitig behandelt, je nach Bedarf. Die einzelnen Fachbereiche können, müssen aber nicht unter einem Dach sitzen. Der Unterschied zur Gegenwart ist die bessere Vernetzung, Kooperation und Finanzierung“, so Bach.
Dr. Thomas Hartl
Jänner 2009
Foto: Bilderbox