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Medikamententests: Der Patient als Pionier

Der Patient als PionierKlinische Studien unterliegen strengen Standards. Um ein neues Medikament auf den Markt zu bringen, ist nicht nur jahrelange Arbeit von Wissenschaftern nötig – sondern auch die Bereitschaft von Patienten, sich für Tests zur Verfügung zu stellen.

Gegen jedes Leiden ist ein Kräutlein gewachsen. Der Spruch, mit dem sich unsere Vorfahren trösteten, ist zwar aktuell, allerdings dauert es heute jahre-, manchmal sogar jahrzehntelang, bis ein neues Medikament auf den Markt kommen kann, nicht zuletzt wegen der steigenden Anzahl der nötigen klinischen Tests. Zunächst müssen ausreichende Labor- und Tierversuche vorliegen, doch irgendwann kommt man nicht darum herum, ein neues Präparat am Menschen zu testen, mit ihm Pionierarbeit zu leisten. Diese Vorgang ist – zum Schutze der Patienten – strengen Regeln unterworfen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Entsetzen groß, als bekannt wurde, wie „Ärzte“ in Konzentrationslagern mit Menschen experimentierten und dabei deren Tod in Kauf nahmen. Die Grundregeln über den Umgang mit Patienten bei medizinischen Studien wurden 1947 im sogenannten „Nürnberger Kodex“ definiert. 1964 folgte die „Deklaration von Helsinki“ des Weltärztebundes. Sie wurde im Jahr 2000 erweitert und bildet weltweit die Grundlage für klinische Studien. „Medizinische Forschung unterliegt ethischen Standards, die die Achtung vor den Menschen fördern und ihre Gesundheit und Rechte schützen“, heißt es darin. Dazu kommen noch nationale und internationale Richtlinien, die bei der Durchführung einer Studie zu beachten sind. Im österreichischen Arzneimittelgesetz ist unter anderem festgelegt, dass klinische Prüfungen von Medikamenten nur dann durchgeführt werden dürfen, „wenn eine Verbesserung der bestehenden Möglichkeiten zu erwarten ist". Und weiter: „Die gesundheitlichen Risken und Belastungen (sind) für die Person, an der die klinische Prüfung durchgeführt wird, so gering wie möglich zu halten.“ Alle in Österreich durchgeführten Studien müssen dem Gesundheitsministerium gemeldet werden – im Jahr sind das zwischen tausend und 1.100.

Sind die Voraussetzungen für eine klinische Studie erfüllt, müssen Patienten gefunden werden, die bereit sind, an den Tests teilzunehmen. „Diese suchen wir zum Teil über Inserate, wir haben aber auch eine sehr umfangreiche Kartei“, erklärt Univ.-Prof.Dr. Markus Müller vom Institut für Klinische Pharmakologie der Universität Wien. Die Teilnahme an einer Studie darf nur freiwillig erfolgen, die Teilnehmer müssen dies mit ihrer Unterschrift versichern. „Die Patienten müssen hundertprozentig aufgeklärt werden“, sagt Müller. „Chancen und Risiken der Studie werden ihnen schriftlich und mündlich mitgeteilt.“ Eine Ausnahme bilden sogenannte Doppelblind-Studien, bei denen zwei Gruppen von Patienten miteinander verglichen werden. Die eine Gruppe erhält das Medikament, die andere Placebo. Da bei vielen Menschen schon alleine der Glaube an ein heilendes Mittel zu bestimmten Wirkungen führen kann (Placebo-Effekt), werden die Patienten nicht informiert, ob sie nun das Scheinmedikament oder den tatsächlichen Wirkstoff bekommen – um die Studienergebnisse nicht zu verzerren. Um jede Beeinflussung auszuschließen, weiß auch der Arzt nicht, wer was erhält. Müller: „Auch alle Patienten, die an Doppelblind-Studien teilnehmen, werden über alle Chancen und Risiken aufgeklärt. Sie werden aber auch darauf aufmerksam gemacht, dass ihre Chance, einen Wirkstoff zu bekommen, nur 50 zu 50 steht.“ Wer trotz aller Vorsichtsmaßnahmen im Verlauf der Studie unsicher wird, muss nicht gegen seine Überzeugung durchhalten: Eine einmal gegebene Zustimmung kann die Versuchsperson, die im übrigen auch versichert wird, jederzeit widerrufen. Dann scheidet sie aus dem Testverfahren aus. Der ordnungsgemäße Ablauf einer Studie wird von einer Ethikkommission überwacht. Befürchtungen, dass Menschen bei klinischen Studien zum willenlosen Versuchskaninchen degradiert zu werden, zerstreut das Koordinierungszentrum für Klinische Studien an der Johannes Gutenberg-Universität, Mainz: „Patienten, die an einer Studie teilnehmen, erhalten Sie die beste zur Zeit bekannte Therapie“ und „werden mit modernsten Methoden über die Routine hinausgehend besonders intensiv betreut und regelmäßig untersucht.“

Birgit Baumann
April 2010


Foto: Bilderbox, privat

Kommentar:

Kommentarbild von Univ.-Prof. Dr. Markus Müller zum Printartikel „Wer an einer klinischen Studie teilnimmt, braucht keine Angst zu haben, da die Regularien sehr streng sind und Risiken sofort aufgedeckt werden können. Wir sollten nicht vergessen, dass wir viele guten Medikamente von heute den Menschen verdanken, die früher bereit waren, an Studien teilzunehmen. Ich denke, es gibt auch eine Verpflichtung für unsere Generation, Fortschritt zu ermöglichen "
Univ.-Prof. Dr. Markus Müller
Institut für Klinische Pharmakologie der Universität Wien.

Zuletzt aktualisiert am 13. November 2020