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Schmerzen im Alter

Schmerzen im AlterAlte Menschen leiden häufig an Schmerzen. Krankheiten wie Demenz und die mit dem Alter abnehmende Fähigkeit, seine Schmerzen mitzuteilen, führen häufig zu einer Unterversorgung mit Schmerzmitteln. Manche Versorgungslücken erschweren zudem die optimale Versorgung mit Schmerzmitteln.

Schmerzwahrnehmung im Alter

Im hohen Alter nimmt man Schmerzen nicht weniger wahr als in jüngerem Alter. Im Gegenteil ist es so, dass sich Schmerzustände häufig festsetzen, sie chronifizieren. Häufig reicht eine geringe Ursache aus, um Schmerzen zu aktivieren, oft sind sie stets präsent. Viele Betroffene entwickeln zwangsläufig Strategien im Umgang mit ihren Schmerzen. Manche sprechen sehr häufig über ihr Leiden, andere wiederum verstummen, da ihnen mit den Jahren ohnehin niemand mehr zuhört oder sie niemanden „auf die Nerven gehen“ wollen, manche sehen die Schmerzen als Schicksal an, das sie zu erdulden haben.
Die Situation alter Menschen wird in Hinsicht auf ihre Schmerzen und mangelnde Versorgung mit Schmerzmedizin mitunter dramatisch geschildert. MR Dr. Wolfgang Wiesmayr, Arzt für Allgemeinmedizin aus Vöcklabruck, bestätigt zwar Verbesserungsbedarf bei der Versorgung alter Menschen mit Schmerzmittel, relativiert aber mediale Aussagen, wonach 80 Prozent aller alten Menschen an starken Schmerzen leiden würden und chronisch unterversorgt seien. „Es stimmt zwar, dass die meisten alten Menschen an irgendeiner Form von Schmerzen leiden, wenn man aber genau nachfragt, dann handelt es sich häufig aber um leichte oder mittlere Schmerzen.“

Schmerzen nicht hinnehmen

Manche Krankheiten bringen im Alter in der Regel Schmerzen mit sich. Häufig aber deshalb, weil man in jüngeren Jahren nichts gegen sie unternommen hat und die Schmerzen dadurch chronifiziert sind. Sie haben sich verselbstständigt und sind zu einer eigenen Erkrankung geworden. Man sollte daher möglichst frühzeitig zum Arzt gehen, denn unterlassene Schmerzbehandlungen rächen sich im Alter, da es mit der Zeit immer schwieriger wird, den Schmerzlevel zu senken oder gar schmerzfrei zu werden.

Schmerzen ausdrücken

Unbestritten ist, dass man die vorhandenen Schmerzen ernst nehmen muss. Um sie angemessen behandeln zu können, müssen sie von den Ärzten und Pflegern erkannt werden. Das gelingt in der Regel durch die Beschreibung der Schmerzen. Dieses notwendige Ausdrücken der Schmerzen ist bei alten Menschen aber nicht immer möglich. Da die kognitiven Fähigkeiten mit zunehmendem Lebensalter abnehmen, sind Sprache und auch Mimik und Körpersprache reduziert. Das erschwert eine korrekte Diagnose und führt dazu, dass alte Menschen oft nicht angemessen mit Schmerzmittel therapiert werden. Manche Patienten könnten sich zwar ausdrücken, tun es aber nicht, weil sie vor dem Arzt nicht „jammern“ möchten. In all diesen Fällen kommt der Zusammenarbeit mit Angehörigen und Pflegepersonal bei der Schmerzbeurteilung große Bedeutung zu.

Demenz & Schmerz

Ein besonderes Problem besteht bei Menschen mit Demenz. „Diese sind mit Schmerzmitteln häufig unterversorgt. Patienten ohne kognitive Schwäche erhalten dreimal mehr Analgetika als Patienten mit Demenz“, sagt Schmerz- und Palliativmediziner Wiesmayr. Demente Personen können ihre Schmerzen nicht kommunizieren, sie können nicht sagen, wie stark die Schmerzen aktuell sind und wo es schmerzt. „Sie setzen durch ihre körperliche Motorik zwar Zeichen, das heißt, sie sind fahrig und unruhig, doch diese Zeichen werden von der Umwelt entweder nicht wahrgenommen oder nicht richtig gedeutet. Schaut man genau hin und erkennt die Schmerzen, hilft in vielen Fällen ein starkes, aber niedrig dosiertes Schmerzmittel“, so Wiesmayr. Bekommt der Schmerzleidende keine ausreichenden Analgetika, setzt dies einen Teufelskreis in Gang, da unkontrollierter Schmerz wiederum die Kognition des Dementen verschlechtert.
Warum demente Menschen häufig mit Schmerzmittel unterversorgt sind, erklärt sich auch anhand der Placebowirkung. „Mindestens 30 Prozent der Wirkung von Schmerzmitteln ergibt sich aus dem Placeboeffekt. Dieser fällt bei Dementen jedoch weg, weil sie gar nicht wissen, dass sie ein Schmerzmittel bekommen und der Glaube an die Wirksamkeit eben Teil der Wirkung ist. Man müsste bei diesen Personen also um ein Drittel höher dosieren als bei Nicht-Dementen“, so Wiesmayr.

Versorgungslücken schließen

In der Versorgung von Patienten mit Bedarf an stark wirksamen Schmerzmitteln liegen institutionelle Mängel vor:

Situation in Alten- und Pflegeheimen
So dürfen in Alten- und Pflegeheimen stark wirksamen Analgetika nur von einem Teil des Pflegepersonals verabreicht werden. „Es scheitert oft an den einfachen Dingen. In der Praxis ist vor allem problematisch, dass im Gegensatz zu diplomierten Krankenschwestern- und Pflegern die Altenfachbetreuer keine Spritzen verabreichen dürfen. Das führt dazu, dass vor allem in der Nacht Schmerzleidende nicht angemessen versorgt werden können. Ein zweites Problem ist, dass stark wirksame Analgetika, wie zum Beispiel Opiate, dem Personal oft nicht zugänglich sind, weil es ohne Arzt nicht verabreicht werden darf. Und Ärzte sind in Alten- und Pflegeheimen nur tagsüber zu erreichen. Braucht jemand in der Nacht eine Infusion, gibt das oft Probleme, denn häufig findet sich niemand, der diese legen darf“, beschreibt Wiesmayr die Situation in österreichischen Alten- und Pflegeheimen.
Ein Problem wird auch in der korrekten Wahl von Schmerzmittel geortet. „Manchmal werden zu schwache Medikamente verabreicht, häufig aber werden aber zu starke eingesetzt. Das betrifft vor allem die Schmerzpflaster auf Morphin-Basis. Bei Menschen mit alter und demnach trockener Haut, wirken diese oft zu stark und es kann zu Vergiftungserscheinungen kommen“, so der Mediziner.

Situation in Spitälern
Seitens alter Patienten wird an der Schmerztherapie in Spitälern häufig kritisiert, dass über Symptome und Nebenwirkungen kaum gesprochen und aufgeklärt würde. „Befragt man Patienten nach ihrer Entlassung, sagen sie, dass niemand mit ihnen geredet hat. Es findet aber sehr wohl Aufklärung statt, der falsche Eindruck entsteht vor allem dadurch, dass die Patienten in dieser Ausnahmesituation kaum aufnahmefähig sind, viel vergessen und aufgeregt sind. Manche nicken bei der Aufklärung nur, obwohl sie nicht verstanden haben, was ihnen der Arzt zu erklären versucht hat“, so Wiesmayr. Um eine befriedigende Situation herzustellen, wären wiederholte Gespräche und mehrfache Aufklärung nötig. Das sei in den gegebenen Rahmenbedingungen aber nicht möglich. „Die Aufenthalte in den Spitälern werden immer kürzer, nachhaltige Aufklärung bräuchte Zeit und die ist im System nicht vorgesehen. Mehr Zeit für Aufklärung wäre jedoch eine gute Investition, da Doppel- und Mehrfachuntersuchungen und Klinikaufenthalte eingespart werden könnten“, sagt der Mediziner.

Dr. Thomas Hartl
November 2013


Foto: Bilderbox

Zuletzt aktualisiert am 11. Mai 2020