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Übersäuerung: Sauertopf Mensch

Sauertopf Mensch - GrafikSodbrennen, Ablagerung von Schlacken oder seltenes Krankheitsbild? Wenn Laien, Alternativheiler und Schulmediziner von Übersäuerung reden, meint jeder was anderes. Die Sache mit dem Säure-Basen-Haushalt ist eben nicht so einfach. Aber auch nicht so kompliziert.

Sie sind sauer. Und zwar jeden Tag. Denn ohne Säuren würde Ihr Körper nicht funktionieren. Genauso wenig wie ohne Basen. Beide spielen im Stoffwechsel unseres Körpers eine wichtige Rolle. Ihr Verhältnis zueinander schwankt in einem nur sehr geringen Ausmaß. Dafür, dass das so bleibt, sorgen Puffersysteme des Körpers, unter anderem die Leber und die Lunge. Mit der ausgeatmeten Luft und dem Urin werden Säuren ausgeschieden. Eine "Übersäuerung" des Körpers im medizinischen Sinne ist unter normalen Umständen so gut wie unmöglich. Hier liegt der Hund begraben. Denn dort, wo Hausmedizin und Alternativheilpraktiken zusammentreffen, wird genau das Gegenteil behauptet.

Dichtung und Wahrheit

"Im paramedizinischen Bereich existiert der Irrglaube, dass es im Körper zur Ablagerung und Anreicherung von Säuren kommt", sagt Dr. Michael Häfner, Ernährungsbeirat der Österreichischen Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie. Die Verantwortlichen sind schnell gefunden: Fleisch, Wurst, Eier, Käse, Süßigkeiten, Weißbrot, Alkohol und Kaffee – kurz, jede Art von "saurer" Ernährung.

Basisch sollen dagegen etwa Blattsalat, Gemüse, Obst oder Erdäpfel sein. Schlussfolgerung: Wer säurebildende Lebensmittel meidet und basenbildende zu sich nimmt, kann eine Übersäuerung des Körpers bekämpfen. Bloß, das stimmt so nicht. Als Maßstab für die säure- oder basenbildende Wirkung von Lebensmitteln wird nämlich der pH-Wert des Urins herangezogen. Der schwankt aber mit der Tageszeit und tendiert grundsätzlich ins Saure.

pH-Wert des Bluts entscheidet

Entscheidend ist nicht der ph-Wert des Harns, sondern jener des Blutes. Erst wenn der ins Saure kippt, wird es kritisch. Dann spricht man von einer Azidose. Nur Extremes macht sauer. "Akutereignisse wie ein Schock, Sepsis oder ein Herz-Kreislaufversagen könnenden Säure-Basen-Haushalt aus dem Gleichgewicht bringen", so Dr. Häfer. Unbehandelt führt das zu lebensbedrohlichen Stoffwechselstörungen. "Deshalb ist speziell in der Intensivmedizin die Überwachung des Säure-Basen-Status im Blut enorm wichtig. Auch chronische Leiden etwa der Nieren oder Diabetes mellitus können eine latente Azidose, also ein permanente Verschiebung des Blut-pH-Wertes zum leicht Sauren hin, nach sich ziehen. Das kann unter anderem Schäden in der Knochenstruktur verursachen. Eine Übersäuerung durch Nahrungszufuhr gibt es aber nicht", betont Dr. Häfer. Um die Kapazität der Nieren in Sachen Säureausscheidung zu überfordern, müsste man satte 2,5 Kilo rohen Fleisches verdauen. Dennoch: Wer im Internet nach dem Stichwort "Säure-Basen-Haushalt" sucht, muss meinen, kurz vor der endgültigen Versauerung zu stehen. Nach Ansicht vieler Heilpraktiker ist die Übersäuerung durch falsche Ernährung schuld an so ziemlich allem zwischen Akne und Zipperlein: Osteoporose, Rheuma, Gicht, Neurodermitis, Infektionen aller Art, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krampfadern und Cholesterin und und und.

Übersäuerung oder Sodbrennen?

Leider alles nur Halbwahrheiten. Zwar verursacht unsere oft zu fette, zuckerhaltige und fleischlastige Ernährung Zivilisationskrankheiten aller Art, eine Übersäuerung des Körpers ist als Krankheitsursache aber eher auszuschließen. "Die Patienten sprechen oft von Übersäuerung und meinen eigentlich Sodbrennen", sagt Dr. Michael Häfer. Das hat aber nichts mit einer Übersäuerung zu tun, sondern mit dem Reflux, also dem Aufsteigen von Magensäure in die Speiseröhre. Wer sich dadurch subjektiv "sauer" fühlt, greift schnell zu den tausendfach angepriesenen und sündteuren Diäten, Therapien und basischen Pulverchen. "Basenpulver binden beziehungsweise neutralisieren die Magensäure und das Sodbrennen verschwindet. Aber ein Glas Milch leistet das auch", so Dr. Häfer. Was der Mediziner von Kuren hält, die auf basenreicher Kost aufbauen? "Nichts, denn nur eine ausgeglichene Ernährung mit Ballaststoffen, Vitaminen, Proteinen, Kohlehydraten und natürlich auch Fetten ist wirklich gesund."

Keine Panik!

Fazit: Bis auf wenige akute und chronische Krankheitsbilder kann der Mensch so gut wie nicht übersäuern, selbst wenn uns zahllose Ratgeber das Gegenteil weismachen wollen. Selbst bei einer extrem einseitigen Ernährung hat der Körper keine Probleme, einen eventuellen Säureüberschuss auszuscheiden. Dennoch sind die volksmedizinischen und alternativen Ratschläge keineswegs verkehrt: Viel Gemüse und Obst, weniger Fleisch, Zucker und Fett essen, auf Alkohol und Zigaretten verzichten, dazu regelmäßige Bewegung und weniger Stress sind immer gut.


Fritz Kalteis

Juli 2006


Foto: deSign of Life, privat

Kommentar

Kommentarbild von Dr. Michael Häfner zum Printartikel "Keine Panik vor einer Übersäuerung. Sodbrennen können sie reduzieren, indem Sie keine zu großen Mahlzeiten zu sich nehmen und nicht spätabends essen. Fett und Zucker produzieren zudem mehr Magensäure, die im Liegen in die Speiseröhre aufsteigen kann."
 Dr. Michael Häfner
Ernährungsbeirat der Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie, Wien

Zuletzt aktualisiert am 13. November 2020