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Spontanheilung: Oh Wunder

Oh Wunder: SpontanheilungDas Phänomen der Spontanheilung gibt es – aber die Chancen stehen 1:100.000. Wenn keine Hoffnung bleibt, bleibt die Hoffnung auf ein Wunder. Tatsächlich gibt es sie – die medizinischen Wunder. Sehr selten zwar, aber es gibt sie. Mittlerweile hat sich die Wissenschaft um das Phänomen angenommen. Aus der Erforschung von Spontanremissionen – so der medizinische Begriff für unerklärliche Heilungen – soll vor allem die Krebs-Therapie profitieren.

 

Aus der Presse sind spektakuläre Fälle von Wunderheilungen bekannt: Eine 44-jährige Sekretärin wird mit der Diagnose Nierenkrebs im fortgeschrittenen Stadium konfrontiert. Die Ärzte klären die Frau über ihre düstere Prognose auf. Der Tumor sei weit fortgeschritten und habe bereits umfangreiche Metastasen gebildet. Man könne es zwar mit Chemo-Therapie versuchen, aber... Die Frau akzeptiert ihre Krebs-Erkrankung, nicht aber die Todesprophezeiungen der Mediziner. Sie beginnt sich für gesunde Ernährung zu interessieren und ordnet ihr Privatleben. Intensiv setzt sie sich mit ihrer Krankheit auseinander, arbeitet in einer Selbsthilfegruppe mit und beginnt sich künstlerisch zu betätigen. Zwei Jahre später ist die Frau — ohne wesentliches Zutun der Medizin — geheilt. Das alles ist auf Röntgen- und MR-Bildern lückenlos dokumentiert — Irrtum ausgeschlossen. Solche in der internationalen Literatur als remarkable recovery (unerwartete Genesung) bezeichneten Krankheitsverläufe gibt es. Allerdings leider nur sehr, sehr selten. Wie selten sich solche medizinischen Wunder tatsächlich ereignen, versuchte eine Arbeit des deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg herauszufinden.

 

Der ernüchternde Befund: Zwischen den Jahren 1990 und 1996 wurden in den USA ganze 23 Fälle dokumentiert, was gerade 0,031 Prozent der Krebsfälle ausmacht. In Japan mit sechs Fällen und 0,07 Prozent, England mit sieben Fällen (0,04 Prozent) sowie Deutschland mit dokumentierten drei Fällen und somit ebenfalls nur 0,04 Prozent Spontanremissionen lag die „Wunderquote” ähnlich niedrig.

 

Aktuelle Schätzungen gehen — bei aller Vorsicht — davon aus, dass es allenfalls bei einem von 60.000 bis 100.000 Krebsfällen zu einer wissenschaftlich nicht erklärbaren Rückbildung kommt. Aus der Literatur kann man schließen, dass es Krebsarten gibt, die „anfälliger” sind für eine spontane Rückbildung. Dazu zählen vor allem das Maligne Melanom, Nierenzellenkarzinome, maligne Lymphome und kindliche Neuroblastome. Bei den viel häufigeren Karzinomen der Lunge, des Magens, der Brust, oder akuter Leukämie sind hingegen kaum Fälle von Spontanremissionen dokumentiert. Das nährt den Verdacht der Fachleute, dass es bei der Spontanheilung neben psychologischen Effekten auch biologische Wirkmechanismen geben muss, die bei manchen Krebsarten eher angreifen als bei anderen. Welche Kräfte es sind, die eine tödliche Krankheit in die Flucht schlagen können, lässt sich derzeit nur vermuten. Die amerikanische Biochemikerin Caryle Hirshberg, die sich intensiv mit dem Phänomen der unerwarteten Genesung auseinander gesetzt hat: „Wir alle wissen, dass eine Heilung nur möglich ist, wenn körpereigene Kräfte mitspielen. Das gilt für die Hochdosis-Chemotherapie genauso wie für eine unerwartete Genesung.” Es gibt viele Denk-Ansätze, die um das Thema kreisen: So könnten etwa entzündliche Prozesse zur Apoptose, zum „programmierten Zelltod” im Tumor führen.

 

Kämpfer, Gläubige und Transformierte

Die Hälfte seiner Gesprächspartner charakterisierte er als Kämpfertypen. Sie hatten die Krankheit als fremden Eindringling gesehen, der mit allen Mitteln vertrieben werden musste. Den Sieg gegen den Krebs sahen sie als eine erfolgreiche Verteidigung ihres vertrauten Selbstkonzeptes. Ein Viertel der Interviewten wurden von Dr. Oda als Gläubige charakterisiert. Sie sahen in der Heilung eine Gottesgnade, die durch eine deutliche Hinwendung zu Gott erreicht worden war. Die dritte Gruppe, die ebenfalls rund ein Viertel ausmachte, beschreibt Hiroshi Oda als Transformationstypen. Sie hatten nach der Erkrankung ihr Leben radikal geändert. Die Spontanheilung wurde als Nebenprodukt des persönlichen Erweiterungsprozesses gesehen.

 

 

Der deutsche Krebsspezialist Professor Herbert Kappauf warnt davor, Spontanremissionen mit bestimmten psychischen Mustern oder Charaktereigenschaften zu verknüpfen: „So wie es keine Krebs-Persönlichkeit gibt, gibt es auch keine für Spontanremissionen.” Leider sei es so, dass immer wieder auch außergewöhnliche und besonders willensstarke Menschen an Krebs sterben müssten. Der deutsche Onkologe Prof. Walter Gallmeier kommentiert in die selbe Richtung: „Nach dem derzeitigen Stand des Wissens ist es für Arzt und Patient zur Zeit unmöglich, Spontanremissionen bewusst und gezielt herbeizuführen.” Krebs-Patienten sei deshalb dringend davon abgeraten auf ein Wunder zu hoffen oder deshalb sogar Therapien abzubrechen.

 

Heinz Macher

September 2008


Foto: Bilderbox, privat

Kommentar

Kommentarbild von Univ.-Prof. Dr. Gerhard Michlmayr zum Printartikel „Das Phänomen der Spontanremission hat einen gewissen Wert für die Wissenschaft, um Vorgänge bei Krebserkrankungen besser verstehen zu können. Für den einzelnen Kranken kann es aber fatal sein, auf ein medizinisches Wunder zu hoffen und auf andere Therapien zu verzichten.”
Univ.-Prof. Dr. Gerhard Michlmayr
Leiter der 1. internen Abteilung am KH der Barmherzigen Schwestern, Linz

Zuletzt aktualisiert am 13. November 2020