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Cochrane Collaboration: Eröffnung der Österreichischen Zweigstelle in Krems

Cochrane Collaboration: Eröffnung der Österreichischen Zweigstelle in KremsDie Cochrane Collaboration stellt Informationen und fundierte Bewertungen zu medizinischen Therapien zur Verfügung. Unter dem Motto „Optimale Entscheidungen brauchen Wissen“ vernetzt sie seit 1970 weltweit mehr als 15.000 Ärzte und Wissenschaftler. Das „Flaggschiff“ der evidenzbasierten Medizin erhält nun auch in Österreich eine Zweigstelle. Heimischen Ärzten soll der Zugang zum Netzwerk erleichtert und die wissenschaftliche Fundierung von Therapieentscheidungen in Österreich gestärkt werden. Die Cochrane Zweigstelle wurde am 14. Dezember 2010 an der Donau-Universität Krems eröffnet.

Wer krank wird und medizinische Hilfe sucht, will die bestmögliche Behandlung. Doch welche Therapie wirkt am besten, welche Arznei wirkt, welche Nebenwirkungen können auftreten? Und aus Sicht der Patienten: Wem kann ich glauben? Die extrem schnellen Fortschritte in der Medizin, die große Zahl an Studien und die Komplexität klinischer Fragestellungen machen es für Ärzte und Patienten oft gleichermaßen schwierig, die beste Entscheidung für eine Therapie zu treffen. Hier setzt die Arbeit der Cochrane Collaboration an.

Nicht alle Studien veröffentlicht

Klinische Studien sind das Verfahren, mit denen Erkenntnisse über die Wirksamkeit von Medikamenten und anderen Behandlungsformen gewonnen werden. Derzeit gibt es geschätzte 400.000 bis 1.000.000 Studien zu medizinischen Behandlungsformen. Studien werden zum größten Teil von der Pharmaindustrie durchgeführt, um staatliche Zulassungen für Heilmittel und dadurch eine Kostenerstattung des Medikaments durch Krankenversicherungen zu erlangen. Sie werden in wissenschaftlichen Fachzeitschriften publiziert. Wenn die Ergebnisse allerdings nicht für das untersuchte Medikament oder eine Behandlungsmethode sprachen, unterbleibt die Veröffentlichung vielfach. Die Ratio zwischen veröffentlichten und nicht veröffentlichten Studien schätzt Sir Iain Chalmers, Mitbegründer der Cochrane Collaboration und Koordinator der britischen James Lind Initiative, auf 50:50.

Prof. Archibald Cochrane

Der schottische Epidemiologe Prof. Archibald Cochrane kritisierte um 1970, dass Erkenntnisse aus Studien zwar vorhanden, allerdings kaum oder schwer zugänglich, nicht nach Themen geordnet und damit für die Gesundheitsversorgung kaum verwertbar sind. Tatsächlich hätten Studien bereits Nicht-Wirksamkeit oder sogar Schädlichkeit von Medikamenten nachgewiesen, die trotzdem noch immer flächendeckend verschrieben wurden.
Der Grund dafür lag seiner Meinung nach in der langsamen Umsetzung neuer Forschungserkenntnisse in die Praxis bei gleichzeitiger Wissensakkumulierung durch die rasch fortschreitende Forschung – somit die rapide Alterung vorhandenen Wissens.

Unüberschaubare Informationsflut

Cochrane und Kollegen führten diesen Missstand auf mehrere Ursachen zurück: Die verbesserungswürdigen Methoden in Durchführung und Veröffentlichung klinischer Studien sowie Schwierigkeiten, diese Veröffentlichungen aufzufinden. Darüber hinaus führt die große und ständig steigende Zahl publizierter Studien zu einer Informationsflut, die praktizierende Mediziner zeitlich nicht mehr überblicken können.

Die Cochrane Collaboration

Um dem abzuhelfen, knüpften Ärzte, Wissenschaftler und andere Mitarbeiter des Gesundheitswesens 1992 ein weltweites Netzwerk, das sie nach Archibald Cochrane „The Cochrane Collaboration“ (i.S.v. „Zusammenarbeit“) nannten. Das Ziel war hoch gesteckt: Medizinisch relevante Forschungsergebnisse sollten geordnet, zusammengefasst und ausgewertet werden. Dann könnten diese Ergebnisse in leicht zugänglicher Form allen Nutzern von Gesundheitsinformationen zur Verfügung gestellt werden.
Seit 1992 erarbeiten die Mitglieder der Cochrane Collaboration Systematische Übersichtsarbeiten. Das sind Texte, in denen möglichst alle Studien zu einem Thema zusammengefasst werden, zum Beispiel zur Wirksamkeit von Echinacea bei Erkältungen. Die Studien werden ausgewertet und die statistischen Daten zusammengefasst. So kann die Wirksamkeit einer Behandlungsform auf einer breiteren Datenbasis eingeschätzt und beurteilt werden. Die Übersichtsarbeiten werden in einer elektronischen Bibliothek, der „Cochrane Library“ im Internet oder auf CD-ROM veröffentlicht. Mittlerweile sind 2.500 solcher Texte entstanden, weitere 2.000 sind angemeldet, das heißt im Bearbeitungs-Stadium. Die Cochrane Library ist kostenpflichtig, jedoch gibt es Kurzzusammenfassungen für professionelle Nutzer mit medizinischem Hintergrund (Abstracts) und für Laien (Plain Language Summaries), die kostenlos unter www.thecochranelibrary.com einsehbar sind.

Die Cochrane Collaboration für Laien und Patienten

Für die Cochrane Collaboration war es von Beginn an unerlässlich, dass Laien und Patienten in ihr Konzept eingebunden sind. Das soll das angeschlossene Forum "Cochrane Consumer Network“ sicher stellen, in dem sich Laien und Betroffene in die Arbeit der Collaboration einbringen können. Darüber hinaus haben sie die Möglichkeit, sich aktiv an der Erstellung einer Systematischen Übersichtsarbeit zu beteiligen.
Für sie stehen außerdem die Ergebnisse der Systematischen Übersichtsarbeiten in einer laienverständlichen Zusammenfassung (Plain Language Summary) kostenlos im Internet zur Verfügung. Allerdings liegen die Ergebnisse auf Grund der Entstehungsgeschichte des Netzwerks nur in englischer Sprache vor. Das Deutsche Cochrane Zentrum arbeitet derzeit an der Bereitstellung der Zusammenfassungen auf Deutsch.

Kein Interessenskonflikt durch eigene Finanzierung

Jeder Autor einer Cochrane-Übersichtsarbeit, jede Review-Gruppe und jedes Zentrum muss sich um eigene Finanzierung bemühen, die nicht aus kommerziellen Quellen stammen darf. Dadurch wird die Neutralität der Collaboration sowie die Vermeidung von Interessenkonflikten gewährleistet. Die Mitarbeit bei der Non-Profit-Organisation ist freiwillig. die Rechte an den erstellten Arbeiten bleiben bei den Autoren.

Als Basis für ein objektives Bild einer Diagnostik oder Therapie dienen alle weltweit verfügbaren Daten zu einer Fragestellung – nach Möglichkeit aus randomisierten Studien. Die Reviews werden in Gruppen problemorientiert (zum Beispiel Mamma-Karzinom), interventionsbasiert (etwa Ernährung) oder an Bereichen der medizinischen Versorgung (zum Beispiel Primärversorgung) orientiert verfasst. Die Mitarbeit in einer Review-Gruppe ist unabhängig von lokalen Verhältnissen, allerdings ist eine internationale Zusammensetzung gewünscht. Die Gruppen werden von einem Redaktionsteam betreut, das für Begutachtung und Veröffentlichung der Übersichtsarbeiten in der Cochrane-Datenbank verantwortlich ist. Die weltweiten Cochrane-Zentren koordinieren und organisieren die Arbeit der Review-Gruppen. Sie stellen darüber hinaus sicher, dass nur korrekt durchgeführte, qualitativ hochwertige Übersichtsarbeiten Eingang in die Cochrane-Datenbank finden. Cochrane-Zentren in Europa existieren bisher in Amsterdam, Barcelona, Freiburg, Kopenhagen, Lyon, Mailand, Oxford – seit 14. Dezember 2010 auch in Krems.
„Österreich braucht die Welt, aber die Welt braucht auch Österreich“, so Sir Iain Chalmers bei der Eröffnung der Cochrane Collaboration-Zweigstelle in Krems.

Erste und einzige Cochrane Zweigstelle in Österreich

In Österreich war die Cochrane Collaboration bisher nicht mit einer Zweigstelle vertreten. Um evidenzbasierte Medizin in Österreich zu stärken, etabliert das Department für Evidenzbasierte Medizin und Klinische Epidemiologie an der Donau-Universität Krems nun eine Cochrane Zweigstelle. Diese soll österreichische Wissenschafter dabei unterstützen, wissenschaftlich fundierte und unabhängige Informationen zu erstellen, und Grundlagen für evidenzbasierte Entscheidungen im österreichischen Gesundheitssystem liefern. „Der Aufbau der österreichischen Cochrane Zweigstelle ist eine enorm wichtige Investition in die Zukunft und in die Qualität der österreichischen Gesundheitsversorgung“, betont Prof. Dr. Gerald Gartlehner, Leiter des Departments an der Donau-Uni Krems. „Jeder Patient, jede Patientin hat ein Recht darauf, nach bestem verfügbarem Wissen behandelt zu werden. Ein modernes Gesundheitssystem muss Ärztinnen und Ärzten daher Zugang zu diesem Wissen bieten.“
Die Österreichische Cochrane Zweigstelle (ÖCZ) wird zwei wesentliche Aufgaben übernehmen:

  • Sie unterstützt österreichische Wissenschafter dabei, wissenschaftlich fundierte und unabhängige Informationen zu erstellen.
  • Sie liefert Grundlagen für evidenzbasierte Entscheidungen im Gesundheitssystem.

Der Rektor der Donau-Universität Krems, Univ.-Prof. Dr. Jürgen Willer ist überzeugt, dass die Österreichische Cochrane Zweigstelle an der Donau-Universität Krems in der Zukunft eine wichtige Rolle im Gesundheitssystem spielen wird. „Und dies heißt vor allem: Praktizierende österreichische Ärztinnen und Ärzte werden internationale, aktuelle, unabhängige medizinische Informationen zum Nutzen ihrer Patientinnen und Patienten schnell und unbürokratisch zur Verfügung haben.“
Die Zweigstelle wurde am 14. Dezember 2010 mit einem öffentlichen Symposium unter dem Titel „Optimale Entscheidungen brauchen Wissen“ eröffnet. Die Präsentationen der Referenten werden ab Mitte Jänner 2011 auf der Homepage der Donau-Uni Krems zur Verfügung stehen.

LINKS ZUM THEMA
http://www.donau-uni.ac.at/de/department/evidenzbasiertemedizin/cochrane/index.php
http://cfgd.cochrane.org/de/cochrane-collaboration
http://www.cochrane.de/de/patienteninformationen


Mag. Christian Boukal
Jänner 2011


Foto: Screenshot Homepage der deutschen Zweigstelle der Cochrane Collaboration

Zuletzt aktualisiert am 11. Mai 2020