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Multiple Sklerose: Rauchstopp verbessert die Prognose

Multiple Sklerose: Rauchstopp verbessert die PrognoseMultiple Sklerose (MS) nimmt bei Rauchern einen schwereren Verlauf als bei Nichtrauchern und beschleunigt die Erkrankung. Ein Rauchstopp zahlt sich in jedem Stadium der Erkrankung aus.

Multiple Sklerose ist eine entzündliche, chronische Erkrankung des zentralen Nervensystems, die schleichend oder in Schüben fortschreitet. Sie kann das Gehirn, das Rückenmark sowie die Sehnerven befallen. Die Erkrankung muss nicht zwangsläufig schwer verlaufen, ein Leben im Rollstuhl ist eher die Ausnahme als der Regelfall. Typische Folgen sind Minderung der Sehschärfe, krampfhafte Erhöhung der Muskelspannung (Spastik), Gefühlsstörungen, Missempfindungen in den Gliedmaßen, manchmal auch Lähmungen.
Frauen erkranken doppelt so häufig wie Männer. Bei den meisten Betroffenen zeigt sich die Krankheit erstmals im Erwachsenenalter zwischen 20 und 40 Jahren. Selten tritt MS im Kindesalter oder erst im späten Erwachsenenalter auf.

Entzündungen im Nervensystem

Die Auslöser der MS sind weitgehend unklar. Es wird vermutet, dass eine „Neigung" vererbt wird, es handelt sich aber um keine klassische Erbkrankheit, die von den Eltern auf die Kinder weitergegeben wird. Auch Infektionen im Kindesalter werden als ein mitbeteiligter Faktor vermutet.
Klar ist lediglich, dass das Abwehrsystem des Körpers eine zentrale Rolle spielt. Bei der MS funktioniert ein Teil dieses Systems falsch. Das Immunsystem „verwechselt“ körpereigenes Gewebe (hier die Hüllschicht um die Nervenfasern) mit Krankheitserregern und greift es an.
Der neurologische Vorgang: Das Gehirn sendet oder empfängt Signale, die über das Rückenmark in die Peripherie gehen oder von dort kommen. Diese Signale werden von Nervenfasern geleitet. Sie sind - ähnlich wie elektrische Kabel - von einer Schutz- bzw. Isolierschicht (Myelin) umgeben. Als Ursache der MS wird eine Autoimmunreaktion in diesem Bereich angenommen. Dadurch entsteht ein Entzündungsherd und die Signale werden fehlerhaft oder nicht ausreichend an das Gehirn übertragen. Die entsprechenden körperlichen Störungen werden Schub genannt. Ein Schub entwickelt sich innerhalb von Stunden oder Tagen und klingt nach einiger Zeit wieder ab.

Rauchen verstärkt Entzündungen

Rauchen hat Einfluss auf das Immunsystem, sodass die Reaktion auf die Myelinschicht heftiger ausfällt. Dadurch werden Krankheitssymptome wie Gangunsicherheit, Schwindelgefühle und Koordinationsverlust verstärkt. Zudem schwächt der Tabakkonsum das Immunsystem und neue Schübe werden provoziert. „Dass Rauchen auf die Weise auch bei anderen Autoimmunerkrankungen verstärkend wirkt, erscheint als wahrscheinlich, ist aber wissenschaftlich noch nicht erwiesen“, sagt Primar Dr. Joachim von Oertzen, Leiter der Abteilung für Neurologie an der Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg.

Rauchstopp verbessert den Krankheitsverlauf

Welchen Einfluss das Rauchen auf den Verlauf der Krankheit hat, war bisher wenig untersucht. Nun hat eine groß angelegte britische Studie Beweise über den Zusammenhang von Rauchen und dem Krankheitsverlauf geliefert. (Quelle: Manouchehrinia A et al. Tobacco smoking and disability progression in multiple sclerosis: United Kingdom cohort study. Brain. 2013 Jul;136(Pt 7):2298-304.)
In dieser Untersuchung wurden Daten von 895 Patienten ausgewertet. Sie litten im Durchschnitt bereits seit 17 Jahren an der Erkrankung. Zum Zeitpunkt der Diagnose waren fast die Hälfte regelmäßige Raucher gewesen. Als die Ärzte diese Gruppe mit Patienten verglichen, die niemals geraucht hatten, zeigte sich, dass die Krankheit bei den Rauchern eindeutig stärker ausgeprägt war.
Laut dieser Studie profitierten Patienten, die bereits vor Ausbruch der MS mit dem Rauchen aufgehört hatten, von ihrem Rauchstopp. Ihr Verzicht auf Tabak bewirkte, dass ihr Krankheitsverlauf dem von Nichtrauchern entsprach. „Das gilt auch für Menschen, die erst kurze Zeit vor dem Ausbruch ihrer Erkrankung Nichtraucher wurden. Es ist demnach nicht entscheidend, wie lange jemand geraucht hat, sondern dass er zu Rauchen aufgehört hat“, so von Oertzen.

Auch später Rauchstopp hilft

Die erfreuliche Nachricht für erkrankte Raucher: Laut Studie profitierten auch denjenigen von einem Rauchstopp, die erst im Erkrankungsstadium auf Zigaretten verzichteten. Denn auch in dieser Gruppe sank das Risiko, einen EDSS-Wert (das ist die Skala, die den Schweregrad der Behinderung erfasst) von 4 oder 6 zu erreichen, um etwa ein Drittel im Vergleich zu Patienten, die weiterhin rauchten. Raucher hatten ein um 68 Prozent höheres Risiko, den Schweregrad 4 zu erreichen, bei dem man nicht mehr voll gehfähig ist. Das Risiko, den höchsten Schweregrad 6 zu erreichen - hier kann man ohne Unterstützung nicht weiter als 100 Meter gehen - war für Raucher um 49 Prozent erhöht.
Ein Rauchstopp zahlt sich demnach zu jedem Zeitpunkt aus, es verlangsamt das Fortschreiten der Erkrankung. Bereits frühere Studien zeigten, dass sich die Ergebnisse von ehemaligen Rauchern nicht wesentlich von denen von Nichtrauchern unterschieden. „Betroffene können durch einen Rauchstopp den Geschwindigkeitsmodus von Nichtrauchern erreichen. Man kann also nur empfehlen, komplett mit dem Rauchen aufzuhören“, sagt der Primar.
Auch die Anzahl der gerauchten Zigaretten dürfte eine gewisse Rolle spielen. „Es sieht so aus, dass starkes Rauchen das Risiko eines ungünstigen Krankheitsverlaufes gegenüber mäßigen Rauchen geringfügig erhöht“, sagt der Mediziner. Allerdings ist das Risiko auch schon bei geringem Zigarettenkonsum erhöht.

Rauchen und Erkrankungsrisiko

Ob Rauchen auch die Erkrankung MS auslösen kann, wird seit Jahren untersucht und Studien deuten immer wieder darauf hin, dass Rauchen mit einem erhöhten Risiko einhergehen könnte, an der MS zu erkranken. „Laut diesen Untersuchungen ist auch das Erkrankungsrisiko von Rauchern erhöht. Diese Studien über das Erkrankungsrisiko sind meiner Einschätzung nach jedoch nicht sehr aussagekräftig, sie müssen erst durch größere Studien bestätigt werden“, sagt Dr. von Oertzen.

Dr. Thomas Hartl
Dezember 2013


Foto: BilderBox

Zuletzt aktualisiert am 11. Mai 2020