Functional Food soll nicht nur satt, sondern auch gesund machen. Immer mehr Lebensmittel werden mit Zusatzstoffen angereichert. Diese nützen der Gesundheit, versprechen die Hersteller. Experten jedoch warnen: Eine Garantie dafür gibt es nicht. Wer sich gesund ernährt, braucht die teureren Produkte nicht.
Verlockend klingt die Vorstellung schon: Man muss sich bei nicht ganz gesundem Essen gar nicht mehr so sehr zurückhalten. Ein fettes Schweinsbratl, üppige Würste, cremige Kuchen und Torten – all das kann man bedenkenlos mehrmals pro Woche verzehren. Denn: Im Supermarkt steht ja Abhilfe bereit. In endlosen Regalen reihen sich dort Lebensmittel aneinander, die unter dem Begriff „Functional Food“ bekannt sind – funktionelle Lebensmittel also, die durch Zusatzstoffe auch gleich noch einen Nutzen haben: das Joghurt etwa, das noch extra mit probiotischen Bakterien angereichert wurde, um die Verdauung zu verbessern.
„Functional Food“, das ist mehr als nur Essen. Das zumindest möchten die Hersteller glauben machen, getreu der Devise: Früher aß man, um satt zu werden. Heute tut man es, um gesund zu bleiben oder werden. Vorreiter dieser Entwicklung ist Japan. Vor 20 Jahren kamen dort „Foods for Specified Health Use“ (Essen für spezifischen Gesundheitsnutzen) auf den Markt. Deren zusätzliche, natürliche Inhaltsstoffe müssen in der Nahrung selbst zu finden sein, eine Beigabe in Form von Kapseln zählt nicht. In den USA hingegen, wo es „Functional Food“ auch schon länger als in Deutschland oder Österreich gibt, ist es egal, ob die Zusatzstoffe natürlich sind oder künstlich hergestellt wurden.
Hierzulande gelten die erwähnten Joghurts als Vorreiter des „Functional Food“. Eine Studie des Instituts für Marketing & Innovation der Universität für Bodenkultur in Wien zeigt, dass den Österreichern vor allem Actimel, Activia und Yacult bekannt sind. Joghurts oder Milchdrinks sind jedoch längst nicht mehr die einzigen Lebensmittel, die mit zusätzlichen Stoffen angereichert werden. Mittlerweile finden sich diese auch in Brot, Eiern, Säften, Müslis, Margarine oder Wurst.
Irreführende Angaben
Eine weltweit einheitliche gesetzliche Definition, was „Functional Food“ nun genau ist, gibt es jedoch nach wie vor nicht. Innerhalb der EU wird der Ruf lauter, dies zu regeln. Derzeit gilt in Österreich: Auf den Packungen dürfen keine irreführenden Angaben gemacht werden. Denn gemäß einer 2007 erlassenen Health-Claims-Verordnung der EU müssen Hersteller ihre wundersam klingenden Aussagen auch beweisen. So darf der Süßwaren-Hersteller Ferrero nicht mehr behaupten, seine Kinder-Schokolade helfe beim Wachstum.
Was aber bringen diese Produkte nun tatsächlich? Sollten sie mittlerweile unverzichtbarer Bestandteil am Speiseplan eines jeden sein? Oder kommt man auch gut ohne die angereicherten Lebensmittel aus? Experten sind sich in einem Punkt einig: Die angereicherten Produkte richten keinen Schaden an. Und der Nutzen? „Das Problem ist, dass es bisher sehr wenig Nachweis für positive Auswirkungen auf die Gesundheit gibt“, sagt Diplom-Ökotrophologin Antje Gahl von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Am besten erforscht sind die probiotischen Joghurts. Hier gibt es tatsächlich Nachweise, dass Durchfälle vermieden und die Abwehrkräfte gestärkt werden. Allerdings hat die Sache auch einen Haken. Ernährungswissenschaftlerin Gahl: „Der Konsument muss, um eine Wirkung zu erzielen, dann wirklich ein und dasselbe Produkt über einen längeren Zeitraum einnehmen.“ Denn es gibt unzählige verschiedene Bakterienstämme und diverse Joghurts enthalten eben nicht alle die Gleichen. Auf gar keinen Fall sollte man sich der Illusion hingeben, dass „Functional Food“ Ernährungssünden im Handumdrehen beseitigt.
Fettreiches oder aus anderen Gründen ungesundes Essen über Wochen hinweg zu sich zu nehmen, hat Konsequenzen. Ein paar probiotische Joghurts oder „ACESäfte“ schaffen keinen Ausgleich, korrigieren die Sünden nicht. Nicht richtig ist auch die Vorstellung, dass die Menschheit funktionelle Lebensmittel braucht, weil in herkömmlichen Lebensmitteln zu wenig Inhaltsstoffe stecken. Die vielgepriesenen Omega-3-Fettsäuren, mit der diverse Sorten von Margarinen angereichert sind, finden sich etwa auch in Fisch. Und dieser sollte ohnehin zweimal pro Woche auf dem Speiseplan stehen.
Den augenscheinlichsten Unterschied zwischen probiotischen und herkömmlichen Joghurts erkennt man übrigens auch ohne Fachkenntnisse: Es ist der Preis. Die Spezialprodukte sind natürlich teurer. „Jeder muss für sich entscheiden, ob er bereit ist, dafür mehr Geld auszugeben“, sagt Gahl. Am sinnvollsten seien Probiotika für Menschen mit geschwächten Abwehrkräften. Gesunde hingegen bräuchten sie gar nicht. Denn die gesunden Milchsäurebakterien finden sich auch in ganz normalen Joghurts oder in Sauerkraut. Auch das österreichische Lebensmittelministerium weist darauf hin, dass Naturprodukte für eine gesunde und ausgewogene Ernährung ausreichend sind: „Viele Konsumenten übersehen, dass das meiste, was in der Fabrik synthetisch erzeugt wird, ohnehin in vielen Lebensmitteln vorkommt. Nur hat eben der Apfel kein Etikett, das werbewirksam auf die Vitamine im Obst aufmerksam macht.“ Apropos Etikett: Lebensmittelkonzerne verwenden viel Geld, Zeit und Energie, um die angereicherten Produkte den Konsumentinnen und Konsumenten schmackhaft zu machen. Der Markt für „Functional Food“ gilt als Wachstumsmarkt, zumal Europa noch deutlich hinter den USA und Japan herhinkt. Drei Prozent aller Lebensmittel zählen zum „Functional Food“, bei den Joghurts sind es 20 Prozent, schätzt Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Rainer Haas vom Institut für Marketing & Innovation der Universität für Bodenkultur in Wien.
Warum bei vielen Menschen „Functional Food“ so gut ankommt, erklärt er so: „Die Werbung dafür zielt auf konkrete Gesundheitsprobleme ab und bietet auch gleich eine Lösung dazu.“ Nach dem Motto: Männer ab dem 40. Lebensjahr haben oft einen erhöhten Cholesterinspiegel, dafür gibt es aber eine spezielle Margarine. Marketing-Experte Haas hat die Motive, warum jemand zu „Functional Food“ greift, unter die Lupe genommen. „Heavy-User“, jene also, die oft probiotische Joghurts & Co konsumieren, geben in erster Linie gesundheitliche Gründe an: Die Produkte würden das Immunsystem stärken, hätten eine positive Wirkung auf die Verdauung, man werde seltener krank, wenn man sich derart ernähre. An zweiter Stelle steht der Geschmack.
Bei den „Light-Usern“, also jenen, die nur gelegentlich „Functional Food“ zu sich nehmen, hingegen sind die Motive genau umgekehrt: Ihnen ist zunächst ein guter Geschmack wichtig, der Nutzen für die Gesundheit kommt erst an zweiter Stelle. Und bei beiden Gruppen spielt die Gewissens-Beruhigung eine Rolle, getreu der Devise: Ich habe zu viel Schokolade gegessen, jetzt muss ich meiner Gesundheit wieder einmal etwas Gutes tun.
Zielgruppe Frauen
Generell greifen eher Frauen zu „Functional Food“ – sie gelten generell als gesundheitsbewusster. Jüngere Konsumentinnen und Konsumenten, die auf angereicherte Lebensmittel nicht verzichten wollen, erhoffen sich dadurch eine Steigerung der Leistungsfähigkeit. Ältere hingegen erwarten sich Erhaltung ihrer Gesundheit. Haas: „Neben Frauen sind ältere Personen die Hauptzielgruppe. Wenn die Kinder aus dem Haus sind, wollen sich viele von ihnen wieder stärker um ihre Gesundheit kümmern.“ Untersucht wurden aber auch die Beweggründe der Verweigerer. Sie geben an, funktionelle Lebensmittel seien „unnatürlich“ und würden nicht das bewirken, was sie versprechen. Vor allem beim Joghurt geben viele an, wer dieses konsumiere, falle doch bloß auf die Werbung herein und lasse sich das Geld aus der Tasche ziehen.
Bakterien im Joghurt
Begonnen hat es mit den Joghurts, diese zählen zu den ersten angereicherten Lebensmitteln, die in den Regalen der Supermärkte auftauchten. Mittlerweile hat sich die Bandbreite bei „Functional Food“ jedoch stark vergrößert.
Probiotika:
Probiotische Milchsäurebakterien (etwa Lactobacillus acidophilus, Lactobacillus casei) unterstützen die Darmflora und werden häufig Milchprodukten zugesetzt. Das Besondere daran: Sie halten Verdauungssäften wie der Magensäure stand und gelangen daher in größeren Mengen in den Darm, wo sie ihre positive Wirkung entfalten sollen.
Folsäure:
Positiver Effekt auf das Herz-Kreislauf-System, vor allem in der Schwangerschaft wichtig. Wird Salz, Joghurt oder Packerlsuppen beigemengt.
Präbiotika:
Unverdauliche Ballaststoffe, die die Vermehrung von probiotischen Bakterien fördern sollen. Sie sollen gegen Verstopfung vorbeugen und finden sich oft in Frühstücksflocken.
Omega-3-Fettsäuren:
Der Körper kann diese mehrfach ungesättigten Fettsäuren, die Herz-Kreislauf-Erkrankungen verhindern und den Cholesterinspiegel senken sollen, nicht selber herstellen. Man muss sie daher mit der Nahrung aufnehmen. Damit werden beim „Functional Food“ Eier, Margarine oder Brot angereichert.
Vitamine:
Diese weisen Antioxidantien auf, die freie Radikale einfangen und so die Abwehr schützen. Werden in Form von Vitamin A, C und E oft Fruchtsäften zugesetzt („ACE-Säfte“).
Allzu viel ist ungesund
Viel nutzt viel – nach diesem Motto werden in Apotheken oder Drogerien auch häufig Vitaminpillen verlangt. Viele Menschen glauben, damit ihrer Gesundheit etwas Gutes zu tun. Doch diese Präparate bringen gesunden Menschen nichts, Forscher halten sie sogar für schädlich. Wissenschaftler der Universitäten von Ostfinnland, Minnesota und Oslo werteten die Daten von 38.772 Frauen in den USA aus, die zu Studienbeginn im Jahr 1986 durchschnittlich 61,6 Jahre alt waren. Bis zum Jahr 2004 gaben die Frauen regelmäßig an, was an Vitaminen und Mineralstoffen sie zusätzlich in Form von Nahrungsergänzungsmitteln einnahmen. 15.594 der Frauen starben bis 2008. Jene Frauen, die zusätzlich zu Vitamin B6, Folsäure, Eisen, Magnesium und Zink gegriffen hatten, hatten eine um 3,0 bis 5,9 Prozent höhere Sterberate als diejenigen, die keine Zusatz-Mittel nahmen. Bei Kupfer stieg das Sterberisiko sogar um 18 Prozent. Bei Kalzium hingegen zeigte sich eine Verbesserung um 3,8 Prozent. Diese Erkenntnisse publizierten die Wissenschaftler vor kurzem im Fachmagazin „Archives of Internal Medicine“. Zeitgleich erschien im „Journal of the American Medical Association“ eine weitere Studie von Forschern der Cleveland Clinic (Ohio). Sie werteten die Daten von 35.000 Männern aus, von denen 9.000 fünfeinhalb Jahre lang zusätzlich Vitamin E geschluckt hatten. Das Ergebnis: Von 1.000 Männern, die Vitamin E einnahmen, erkrankten 76 Prozent an Prostatakrebs. In der Gruppe ohne Vitamin E waren es nur 65 Prozent.
Zehn goldene Regeln
Wer sich ausgewogen und vollwertig ernährt, braucht keine Zusatzstoffe in der Nahrung.Alle lebenswichtigen Stoffe kommen in den Produkten der Natur vor. Richtige Nahrungsaufnahme basiert gemäß der Deutschen Gesellschaft für Ernährung auf zehn Regeln, die man berücksichtigen sollte:
- Abwechslungsreich essen: Jedes Nahrungsmittel enthält andere Inhaltsstoffe, je mehr man davon bekommt, desto besser. Also sollte man abwechslungsreich essen.
- Viel Getreide und Kartoffeln verzehren: Brot, Reis, Kartoffeln, Getreide (Müsli) und Nudeln enthalten kaum Fett, aber viele Vitamine und Mineralien.
- Nimm fünf: Fünfmal am Tag sollte man Obst und Gemüse essen, die Produkte sollten frisch sein oder schonend gegart. Bei langem Kochen gehen wertvolle Vitamine verloren.
- Täglich Milchprodukte: Milch und Milchprodukte (Käse) liefern dem Körper das wichtige Kalzium. Daher ist es ratsam, diese täglich zu verzehren.
- Wenig Fett: Pflanzliche Fette (Raps- und Sonnenblumenöl) sind besser als tierische Fette (Butter). Vorsicht vor Fertiggerichten, die meist sehr viel Fett enthalten.
- Vernünftig würzen: Salz und Zucker sollten nur in Maßen verwendet werden. Statt zusätzlichem Salz, das ohnehin in vielen Lebensmitteln enthalten ist, kann man mit frischen Kräutern würzen.
- Genug trinken: Der Körper braucht zur Nahrung zusätzlich rund 1,5 l Flüssigkeit pro Tag (Wasser, verdünnter Saft, ungesüßter Tee). Milch zählt als Nahrungsmittel, nicht als Getränk.
- Schonende Zubereitung: Lebensmittel sollten nur kurze Zeit gelagert und bei geringen Temperaturen zubereitet werden, um wertvolle Inhaltsstoffe zu erhalten.
- Zeit nehmen: Beim Essen Zeit lassen, Nahrung nicht zwischendurch hineinstopfen.
- Bewegung: Regelmäßige Bewegung gehört dazu, optimal sind täglich 30 bis 60 Minuten.
Birgit Baumann
März 2012
Foto: Bilderbox, privat
Kommentar
„In einzelnen Fällen kann „Functional Food“ die Nahrung sinnvoll ergänzen. Auf keinen Fall jedoch ersetzen zusätzlich angereicherte Lebensmittel eine vernünftige und gesunde Ernährung. Wer sich ausgewogen und vollwertig ernährt, kann auf diese Zusätze aber auch verzichten.“
Dipl.-Oecotroph. Antje Gahl
Deutsche Gesellschaft für Ernährung, Bonn