Die innere Uhr des Menschen beeinflusst die Wirkung von vielen Medikamenten. Die Medizin macht sich die Erkenntnisse der „Chronopharmakologie“ zunehmend zu Nutze.
Medizinisch macht es zum Beispiel Sinn, Wärmebehandlungen wie etwa Fango, in den Abendstunden zu verabreichen. Sie zielen auf eine bessere Durchblutung der Haut und auf eine Gefäßerweiterung ab und sind in den Morgenstunden weniger wirkungsvoll. Weil die Kerntemperatur des Körpers abends und vor allem gegen Mitternacht besonders niedrig ist, wirken sie zu dieser Zeit am besten, berichtet der Mediendienst obx-medizindirekt.
Nach der inneren Uhr richten
Auch bei vielen anderen Behandlungen lohnt es sich auf die innere Uhr zu schauen. Auf Kälteanwendungen, wie Kneipp-Güsse, reagiert der Körper beispielsweise in der Früh besonders intensiv.
Die innere Uhr spielt bei der Einnahme von Medikamenten eine erstaunliche Rolle, berichtet der Prof. Björn Lemmer, Direktor des Instituts für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Heidelberg. Es ist nicht egal, wann ein Schmerzmittel, ein Asthmamedikament, ein Blutdrucksenker oder ein Krebsmedikament eingenommen wird. Das gleiche Kreislaufmittel kann beispielsweise zehnmal stärker wirken, wenn es in den frühen Morgenstunden statt am Abend in den Körper gelangt. „Wir müssen die starren Dosierungsvorschriften von Medikamenten überdenken“, so Lemmer. Für eine ganze Reihe von Krankheiten hat er Anregungen für die beste tageszeitliche Einnahme von Medikamenten entwickelt. Hier einige Beispiele.
Schmerzmittel
Für Acetylsalicylsäure (ASS) und ähnlich wirkende schmerzlindernde und entzündungshemmende Mittel aus der Gruppe der sogenannten nicht-steroidalen Antirheumatika ist abends der beste Zeitpunkt der Einnahme. Aus noch nicht restlos geklärtem Grund werden sie vom Magen abends besser als morgens vertragen. Das ist problemlos möglich, wenn ASS zur Vorbeugung von Herzinfarkt genommen wird. Bei akuten Schmerzzuständen folgt die Einnahme freilich dann, wenn Schmerzen bestehen.
Magengeschwür
Wer H2-Blocker einnehmen muss, sollte dies abends tun. Forschungen ergaben, dass dies angesichts der tageszeitlichen Schwankung der Säureproduktion des Magens der beste Zeitpunkt ist. Allerdings sollte danach nichts mehr gegessen werden. Sind Protonenpumpenhemmer (PPI) verschrieben, ist es umgekehrt wie bei den H2-Blockern: Am Morgen eingenommene PPI verringern den Säuregehalt im Magen stärker, als abends eingenommene.
Asthma
Wie bei jedem Menschen nimmt auch bei Asthmatikern nachts die Lungenaktivität ab und der Spiegel der Hormone Cortisol und Adrenalin sinkt. Deshalb treten Asthmaanfälle während der Nachtruhe etwa zehnmal häufiger auf als am Tag. Die Einnahmeempfehlung für bestimmte Asthmamedikamente wie Theophyllin-Retardpräparaten oder Salbutamol ist bei abendlicher Einnahme doppelt so hoch wie am Morgen. Es gibt neuere Mittel, die ausschließlich abends genommen werden.
Bluthochdruck
Bei der Behandlung der Hypertonie spielt die innere Uhr eine besonders große Rolle. Zur Regulierung des zumindest teilweise chronobiologisch verursachten Blutdruckanstiegs zwischen sechs und zwölf Uhr am Vormittag werden Medikamente empfohlen, die ihren Wirkstoff verzögert freisetzen (Retardpräparate). Menschen mit hohem Herzinfarktrisiko können sie vor dem Schlafengehen nehmen – die Wirkung setzt erst später ein, wenn sie erforderlich ist: Ab morgens drei Uhr.
Rheuma
Rheumapatienten klagen vor allem in den Morgenstunden über Gelenksteifigkeit und Schwellungen. Meist bessern sich diese Beschwerden im Laufe des Tages. Deshalb wird empfohlen, Retardformen von Rheumamitteln am Abend einzunehmen, damit die morgendlichen Beschwerden gelindert werden.
Krebs
Bei der Chemotherapie kann die innere Uhr mit eingesetzt werden, denn gesunde Zellen folgen der inneren Uhr – die bösartigen Tumorzellen aber nicht. Deshalb können bei Krebspatienten Infusionspumpen mit dem Medikament angelegt werden, die den Wirkstoff nie dann abgeben, wenn sich gerade die gesunden Zellen teilen. So werden Schleimhäute und das Immunsystem dieser Patienten besser geschont.
Kortison
Patienten, die Kortisonpräparate einnehmen müssen, können ebenfalls von den Erkenntnissen der Chronopharmakologie, profitieren. Messungen haben ergeben, dass der ideale Zeitpunkt der Einnahme morgens ist. Dann nämlich ist die körpereigene Produktion am höchsten und es können viel niedrigere Dosierungen die erwünschte Wirkung erzielen.
Mag. Christian Boukal
Mai 2012
Foto: Bilderbox