Der Körper 'speichert' Sinneseindrücke im Zentralnervensystem. Warum kann eine Hand, die nicht mehr da ist, so unerträglich weh tun? Der Phantomschmerz ist eine belastende Sinnestäuschung.
Ein Straßenbahnunfall veränderte für immer das Leben von Anja D. (Name von der Redaktion geändert) Die Ärzte im Urlaubsland, in dem es mit der medizinischen Versorgung nicht zum Besten stand, banden den schwerverletzten Arm der jungen Frau fest an den Oberkörper. Nach der Rückkehr in die Heimat musste der Arm dann amputiert werden. Das überaus schmerzhafte Gefühl des eng am Körper fixierten Armes verfolgte Anja D. noch Jahre nach der Operation. Diese Sinnestäuschung ist für den Neurophysiologen Prof. Dr. Jürgen Sandkühler vom Zentrum für Hirnforschung der Medizinischen Universität Wien ein eindrucksvoller Hinweis darauf, wie der Phantomschmerz funktioniert.
Schmerzgedächtnis
Offenbar "speichert" der Körper im Zentralnervensystem schmerzhafte Sinneseindrücke, wenn diese Reize sehr stark sind und sehr lange andauern. Es entsteht ein schwer zu löschendes Schmerzgedächtnis, das meist in einer regelrechten Schmerzattacke, entweder spontan oder durch bestimmte Auslöser wie Stress oder Wetterwechsel, immer wieder abgerufen wird. Je stärker der Schmerz vor der Amputation des betroffenen Körperteils war, desto wahrscheinlicher ist nach der Operation das Auftreten von Phantomschmerzen. Auch Nervenwucherungen können Phantomschmerzen verursachen. Schmerzen in Körperteilen, die gar nicht mehr vorhanden sind, sind leider kein seltenes Phänomen. Rund 4.000 Patienten muss in Österreich jedes Jahr ein Arm oder ein Bein abgenommen werden. Vier von fünf Betroffenen leiden nach der Amputation an den schmerzhaften Sinnestäuschungen.
Sinnestäuschung
"Phantomschmerzen sind schwer zu behandeln, was nicht heißt, dass es für die Betroffenen keine Hoffnung gibt", erklärt Professor Sandkühler. Mit den richtigen Strategien kann für die Patienten oft eine wesentliche Linderung ihrer Beschwerden erreicht werden. Bei einigen Patienten können zum Beispiel krampflösende Substanzen und Antidepressiva eine gute schmerzlindernde Wirkung zeigen. Im Wiener AKH wurde außerdem ein Operationsverfahren auf Laserbasis entwickelt, das Nervenwucherungen als eine mögliche Ursache des Phantomschmerzes beseitigt. Auch eine neue Behandlung mit Botox-Injektionen, die an der Deutschen Klinik für Diagnostik in Wiesbaden erprobt wurde, zeigt bei Beinamputierten gute Wirkung. Am wichtigsten ist es aber, Phantomschmerzen vorab zu verhindern. Schon vor der Operation gilt es, die Schmerzen möglichst gering zu halten. Bei absehbaren Amputationen, etwa bei einer ernsthaften diabetischen Verschlusskrankheit, gelingt das durch den Einsatz von wirkungsvollen Schmerzmitteln.
Anlaufstellen
Spezialisten für Schmerztherapie gibt es in großen Schmerzzentren wie etwa am Wiener AKH und am Landeskrankenhaus Klagenfurt. Weitere Schmerzambulanzen gibt es in allen Bundesländern. Nähere Informationen darüber erhalten Sie bei der Österreichischen Schmerzgesellschaft im Internet unter www.oesg.at oder unter der Telefonnummer (0463) 5856-17.
Dr. Regina Sailer
April 2006
Bilder: Bilderbox; privat
Kommentar
Prof. Dr. Jürgen Sandkühler
Leiter der Abteilung für Neurophysiologie am Zentrum für Hirnforschung der Uni Wien