Autismus – ein Leben ohne Beziehungen trifft vier von 10.000 Kindern. Jeder, der bis dahin mit dem Begriff Autismus wenig anfangen konnte, weiß spätestens seit Dustin Hoffmanns „Rainman” um das einsame Leben, das diese Menschen führen müssen. Denn Autismus lässt keine Gefühle und Emotionen zu. Im Zentrum der Erkrankung steht eine schwere Beziehungs- und Kommunikationsstörung.
Daniel ist sieben Jahre alt. Jeder Tag besteht aus genau geregelten Abläufen, stereotypen Handlungen und gefühlsmäßiger Abwesenheit. Daniel ist Autist. Er kann keine Gefühle zeigen, Berührungen machen ihm Angst, nur seine Lieblingsmusik aus dem Lautsprecher scheint ihn aus dem Dunkel seines Lebens hervorzulocken. Mit dem Ohr an der Box wippt er stundenlang rhythmisch vor und zurück.
Die furchtbare Diagnose wurde gestellt, als Daniel gerade zwei Jahre alt war. Bis dahin glaubte seine Mutter, durch die schwierige Geburt und das mühsame Stillen des Babys, ihr Kind als unruhig einzustufen. Kritisch war sie nur sich selbst gegenüber. Ihr Kinderarzt gab ihr das Gefühl, eine uneinfühlsame, hysterische, weil intellektuelle Mutter zu sein, die ihr Kind nicht verstand. „Und genau das ist das Problem für Eltern, die ein autistisches Kind haben”, betont OA Dr. Heinz Schwarzbach, Facharzt für Kinder- und Jugendneuropsychiatrie am Linzer Wagner Jauregg Krankenhaus. „Die Eltern lernen damit zu leben, dass ihr Kind keine Gefühle, Blicke, Gesten oder Mimik durch Lächeln, Umarmungen oder andere Reaktionen erwidert. Autisten können damit nichts anfangen, sie brauchen geregelte Abläufe, die durch keinerlei Veränderungen gestört werden dürfen. Das bringt ihr Leben aus dem Gleichgewicht. Irgendwann beschränken sich Eltern auf das Notwendigste und erwecken damit nach außen hin den Eindruck, ihr Kind nicht zu lieben. Die Umwelt reagiert darauf oft mit Aussagen wie „Kein Wunder, dass das Kind so ist, es wird ja nicht geliebt”. Aber das stimmt nicht und Schuldgefühle, die in betroffenen Eltern dadurch ausgelöst werden, sind völlig fehl am Platz”.
Zwanghafte Fixierung und stereotype Handlungen
Autismus – vier von 10.000 Kindern sind davon betroffen – ist eine komplexe und tief greifende Störung der kindlichen Entwicklung. Autistischen Kindern sieht man im allgemeinen ihre Behinderung auf den ersten Blick nicht an. Sie fallen eher durch ihr merkwürdiges Verhalten auf. Sie können nicht spielen und verharren oft stundenlang und scheinbar zufrieden bei immer den gleichen, stereotypen Handlungen. Oft sind sie zwanghaft auf einen Gegenstand oder auf eine bestimmte Tätigkeit fixiert. Falls sie sprechen und mit anderen Menschen Kontakt aufnehmen, dann häufig durch Beriechen, Belecken und ständiges Wiederholen der selben Fragen.
Jede Veränderung ruft Panik hervor
Jede Unterbrechung oder Veränderung ihrer Gewohnheiten ruft bei Autisten Panik hervor, auf die sie mit Rückzug, Schreien sowie Aggressionen gegen sich selbst oder andere reagieren können. Autisten können das Verhalten ihrer Mitmenschen schwer begreifen, ziehen sich in sich selbst zurück und finden nur an ihren stereotypen Verhaltensweisen Sicherheit und Halt. Dieses Festhalten an Gewohnheiten hindert sie daran, neue Erfahrungen zu machen und sich weiterzuentwickeln. Was Autismus auslöst, ist noch weitgehend unklar. Ursachenforschungen konzentrieren sich auf biologisch bedingte Störungen der Gehirnfunktion. Auch genetische Einflüsse werden diskutiert. Es gilt aber als erwiesen, dass Autismus nicht auf ein Fehlverhalten der Eltern bei der Erziehung ihres Kindes zurückgeführt werden kann.
Autisten haben keine Chance auf Heilung
Autismus wird in fast allen Fällen spätestens mit dem zweiten Lebensjahr diagnostiziert, dann nämlich, wenn das Kind keine sprachliche Entwicklung zeigt und auf Gefühle und Liebesbezeichnungen der Eltern nicht reagiert. „Es gibt keine Möglichkeit, Autisten von ihrer Erkrankung zu heilen. Sie haben eine „normale” Lebenserwartung, sind nicht öfter krank als andere Menschen, bleiben aber ihr Leben lang Autisten”, weiß Dr. Schwarzbach aus jahrelanger Erfahrung im Umgang mit Betroffenen. „Die Krankheit selbst kann im Grunde genommen nicht behandelt werden, nur die oft damit einhergehenden Aggressionen durch Medikamente gelindert werden. Wir versuchen in der Therapie einzelne Fähigkeiten und Vorlieben und die Wahrnehmungsfähigkeit zu fördern, wissen aber im Grunde sehr wenig darüber, was Autisten außer ihrem geregelten Lebensablauf brauchen, fühlen und empfinden”. Und das ist für betroffene Eltern wohl das Schlimmste: Nicht zu wissen, was ihr Kind ihnen sagen würde, wenn es mit ihnen reden könnte.
Mag. Kornelia Wernitznig
September 2010
Foto: Bilderbox, privat
Kommentar
OA Dr. Heinz Schwarzbach
Facharzt für Kinder- und Jugendneuropsychiatrie am Linzer Wagner Jauregg Krankenhaus