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Kinderkrankheit Kinderlähmung

KinderlähmungSpinale Kinderlähmung ist die deutsche Bezeichnung für Poliomyelitis — eine durch Viren übertragbare Infektionskrankheit. Europa gilt nach der WHO-Definition seit Sommer 2002 offiziell als poliofrei. In Indien, Pakistan, Afghanistan und Nigeria ist die Erkrankung jedoch noch weit verbreitet.

Es werden drei verschiedene Typen von Polioviren unterschieden. Die Übertragung erfolgt als Schmierinfektion durch den Stuhl infizierter Menschen. Die Erreger können in der Rückenmarksflüssigkeit nachgewiesen werden oder in Rachen- und Stuhlabstrichen angezüchtet werden. Die Zeitspanne zwischen der Infektion und dem Auftreten der ersten Krankheitssymptome beträgt in der Regel zwischen drei und vierzehn Tagen.

Drei verschiedene Verlaufsformen

Über 90 Prozent der Infektionen verläuft ohne irgendwelche Krankheitszeichen und bleibt daher auch von den Betroffenen unbemerkt. In etwa fünf Prozent der Fälle kommt es zu unspezifischen Grippesymptomen wie Kopf- und Halsschmerzen, leichtem Fieber und eventuell Durchfall. Diese klingen nach einigen Tagen wieder ab. Selten kommt es zu einer viralen Gehirnhautentzündung mit Fieber, Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen, jedoch ohne Lähmungserscheinungen. Bei der dritten – gefürchteten – Verlaufsform, befallen die Viren direkt die motorischen Nervenzellen des Rückenmarks beziehungsweise des Gehirns. Dann kommt es zu schlaffen Lähmungen der Arm- und Beinmuskulatur. Wenn das Atemzentrum auch betroffen ist, tritt zusätzlich eine – unter Umständen tödlich verlaufende – Atemlähmung auf. Hohes Fieber, Bewusstseinstrübung und Krämpfe sind weitere mögliche Symptome.

 

In einigen Fällen erholen sich die Patienten auch von der schweren Verlaufsform vollständig. Allerdings verläuft die Genesung meist nur schrittweise und sehr langsam und ist somit für die Betroffenen äußerst beschwerlich. Viele Patienten erholen sich leider niemals gänzlich von der Erkrankung und leiden ein Leben lang an den Folgen. Dazu gehören Lähmungen oder Schwächen der Muskulatur, verkürzte Sehnen und steife Gelenke, Schmerzen und Schwierigkeiten mit der Atmung.

Post-Polio-Syndrom

Auch viele Jahre nach einer guten oder scheinbar sogar vollständigen Genesung können erneute Krankheitszeichen auftreten. Zu diesen Spätfolgen zählen eine generelle vorzeitige körperliche wie auch geistige Ermüdbarkeit mit Verlust von Kraft und Ausdauer, Gelenks- und Muskelschmerzen sowie Problemen mit der Atmung, beim Schlucken und Sprechen. Diese Symptome werden unter dem Begriff Post-Polio-Syndrom (PPS) zusammengefasst. „Die Ursache für das PPS ist immer noch ungeklärt, eine neuerliche Aktivität der Polioviren ist jedoch unwahrscheinlich“, sagt Prof. Dr. Reinhard Dengler, Vorstand der Klinik für Neurologie der Medizinischen Hochschule Hannover. Möglicherweise spielt ein vorzeitiges Altern der durch die Polio vorgeschädigten Nervenzellen eine Rolle. Entsprechend gibt es keine ursächliche Behandlung. „Wichtig und hilfreich ist jedoch eine geschickte Einteilung der täglichen Belastungen mit häufigen kleinen Erholungspausen. Die Betroffenen sollten das mit ihrer Umgebung besprechen. Auf diese Weise kann meist eine gute Leistungsfähigkeit erreicht und erhalten werden. Gegebenenfalls sollte mit dem zuständigen Arzt auch über die Möglichkeiten der medikamentösen Unterstützung gesprochen werden“, so Dengler.

Impfung

Da es keine wirksame ursächliche Therapie bei einer Polioinfektion gibt, ist die Prävention besonders wichtig. In den 50er Jahren entwickelte Jonas Salk den ersten Impfstoff gegen Polioviren. In den 60er Jahren wurde dieser durch die Schluckimpfung mit einem von Albert Sabin entwickelten Lebendimpfstoff abgelöst. Da es durch den Lebendimpfstoff jedoch immer wieder zu Nebenwirkungen und durch die Impfung selbst ausgelöste Krankheitsfälle kam, wurde die Polio-Schluckimpfung 2002 in Österreich wieder abgeschafft. Seither wird mit dem sehr gut verträglichen inaktivierten Impfstoff von Salk in den Muskel geimpft. Der Impfstoff ist als Einzelimpfung sowie in verschiedenen Kombinationsimpfungen verfügbar.

 

Dr. Ulli Stegbuchner

Juli 2008


Foto: Bilderbox

Zuletzt aktualisiert am 11. Mai 2020