Falsche Scham ist keinesfalls angebraucht. Harninkontinenz bei Frauen ist kein Schicksal. Sie lässt sich behandeln und sogar heilen.
Karin G.* war mit 43 Jahren früh Großmutter geworden und freute sich schon darauf, mit Enkeltochter Anna zu spielen. Doch daraus wurde erst einmal nichts. Denn bei jeder Aktivität und sei es nur das Hochheben der Kleinen, verlor Frau G. unwillkürlich etwas Harn. Damit wollte sich die aktive Salzburgerin nicht abfinden. Nach dem Besuch beim Urologen und bei der Inkontinenzberatung folgte eine Therapie des Harnverlusts mittels Elektrostimulation, bei der der Beckenboden trainiert wird. Mit Erfolg: Nach etwa sieben Monaten verschwand die Inkontinenz komplett. Heute kann Frau G. ohne Angst vor den Kapriolen ihrer Blase mit Anna Trampolin hüpfen und andere schöne Dinge unternehmen.
Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, bei Harnverlust rechtzeitig zu reagieren: Eine Inkontinenz Grad 1 (hin und wieder ein leichter Verlust von ein paar Tropfen) kann unbehandelt in eine Erkrankung der Stufe 2 oder gar 3 übergehen – Inkontinenz bei unangestrengten Bewegungen und auch im Liegen. „So weit muss es nicht kommen. Ich möchte daher allen betroffenen Frauen sehr ans Herz legen, möglichst früh auf das Problem zu reagieren und sich helfen zu lassen“, appelliert Petra Myslik, Fachschwester für Kontinenz und Stoma in Salzburg. Myslik erlebt bei ihrer Arbeit als Inkontinenz-Beraterin immer wieder, dass es viele Jahre dauert, bis Patientinnen bei Blasenschwäche ihre Scham überwinden und mit Experten über ihre Probleme sprechen. Viele behelfen sich lange Zeit mit nicht wirklich geeigneten Hygienebinden oder bezahlen Inkontinenzbinden aus eigener Tasche, obwohl sie eine Leistung der Krankenkasse sind.
Viele Betroffene
Der Gang zum Facharzt und die Verschreibung der passenden Einlagen kann die Lebensqualität verbessern. Vor allem aber eröffnet das den betroffenen Frauen eine Fülle von Therapiemöglichkeiten. Denn Blasenschwäche lässt sich, wie das Beispiel von Frau G. zeigt, gut behandeln. Neben Beckenbodentraining hilft Verhaltenstherapie oder seit einigen Jahren auch die Behandlung mit Medikamenten. Führen all diese Möglichkeiten nicht zum Erfolg, ist auch eine Operation denkbar. Dabei wird ein Band unter der Harnröhre eingefügt, das diese unterstützen und so unwillkürlichen Harnverlust vermeiden soll. Auch Injektionen unter die Schleimhaut der Harnröhre können die Situation verbessern.
Hilfe ist fast immer möglich – die Therapiemöglichkeiten sind so vielfältig wie die Ursachen einer Blasenschwäche. So tritt etwa bei jüngeren Frauen häufig eine sogenannte Belastungsinkontinenz auf, etwa beim Lachen, Husten oder Heben von Lasten. Verursacht wird sie meist durch eine Schwäche des Blasenschließmuskels und des Beckenbodens, oft als Folge von Geburten oder Gebärmutteroperationen. In den Wechseljahren können hormonelle Veränderungen zu Blasenproblemen führen. Bei manchen Frauen sind ein schwacher Beckenboden und damit eine Anfälligkeit für die Harninkontinenz auch angeboren. Hinter einer Reizblase steckt neben anderen Ursachen oft eine Blasenentzündung als Auslöser.
Dr. Regina Sailer
Juni 2012
Foto: shutterstock, privat
Kommentar:
Petra Myslik
selbstständige Fachschwester für Kontinenz und Stoma, Salzburg