Die Symptome sind – je nach Typ der Erkrankung – unterschiedlich. Immer aber treten eine Schwerhörigkeit in unterschiedlichem Ausmaß sowie eine Netzhautdegeneration auf. Betroffene sehen und hören also nicht gut. Wie Menschen mit Usher-Syndrom geholfen werden kann und warum sie überhaupt an der seltenen Hör-Seh-Behinderung erkranken, erklärt Dr. Johannes Fellinger vom Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Linz.
Hinter dem Usher-Syndrom verbirgt sich eine erbliche Erkrankung, die aus einer Kombination von zwei Symptomen besteht. Einerseits liegt eine Sehstörung vor, wobei es zur Degeneration der Netzhaut kommt – der sogenannten Retinitis pigmentosa (RP). Andererseits leiden Betroffene unter einer Innenschwerhörigkeit oder Gehörlosigkeit. Der englische Augenarzt Charles H. Usher hat die Erkrankung 1914 erstmals beschrieben – sie wurde nach ihm benannt. „Beim Usher-Syondrm handelt es sich um eine genetisch bedingte Hör-Seh-Behinderung“, bestätigt Prim. Priv.-Doz. Dr. Johannes Fellinger, Vorstand des Instituts für Sinnes- und Sprachneurologie vom Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Linz. Betroffen sind drei bis sechs Menschen pro 100.000 Einwohner. „Unter den Gehörlosen sind es fünf Prozent, die an Usher leiden“, sagt der Mediziner.
Funktionsunfähige Lichtrezeptoren
Die Krankheit führt zu einer langsamen Veränderung der Netzhaut (Retina), wobei die Sinneszellen allmählich absterben. „Kennzeichnend dabei ist, dass die Lichtrezeptoren vom äußeren Rand der Retina zur Macula lutea, dem Punkt des schärfsten Sehens, immer funktionsunfähiger werden“, sagt Fellinger. Dies verursacht Symptome wie Nachtblindheit, ein vermindertes Kontrastsehen sowie ein eingeschränktes Gesichtsfeld mit einem Tunnelblick. „Betroffene haben oft Probleme, sich räumlich zu orientieren und stoßen an seitlichen Hindernissen an oder fallen hin. Auch sich ändernde Lichtverhältnisse wie bei Tunnelein- und -ausfahrten schaffen Probleme“, fügt der Leiter des Instituts für Sinnes- und Sprachneurologie in Linz hinzu. Zusätzlich leiden Betroffene oft unter einer speziellen Form des Grauen Stars (Katarakt). Dabei trübt sich die hintere Kapsel der Linse ein, was zu einer erhöhten Blendempfindlichkeit und zu einer verminderten Sehschärfe führt. Letztlich können die Veränderungen der Netzhaut bei einigen Betroffenen sogar in einer Blindheit enden.
Betroffene oft seit der Geburt taub
Parallel zu den Symptomen der Sehbehinderung tritt beim Usher-Syndrom auch eine Hörbehinderung auf. Die Innenschwerhörigkeit wird durch eine Schädigung der Haarzellen in der Schnecke hervorgerufen. Die Betroffenen leiden in einigen Fällen von Geburt an unter Taubheit oder einer mittel- bis hochgradigen Schwerhörigkeit. Sie können akustische Reize nicht beziehungsweise nur eingeschränkt wahrnehmen, was natürlich große Auswirkungen auf das Leben hat: Menschen mit Usher-Syndrom ist es nur beschränkt möglich, das Hören als Warnfunktion, etwa im Straßenverkehr durch herannahende Autos, zu nutzen. Das alles beeinflusst das Alltags- und Berufsleben, insbesondere dann, wenn allmählich auch das Sehvermögen nachlässt.
Man unterscheidet – je nach Ausmaß der Krankheit – genetisch verschiedene Formen des Usher-Syndroms:
- Usher Typ 1 ist die schwerste Verlaufsform des Usher-Syndroms: Sie zeichnet sich durch eine hochgradige Schwerhörigkeit aus. Die meisten Betroffenen sind von Geburt an gehörlos und haben ausgeprägte Gleichgewichtsstörungen. „Die Netzhautdegeneration entwickelt sich im Kindesalter, meist ab dem 10. Lebensjahr“, so Fellinger.
- Usher Typ 2 verläuft milder als Typ 1. Es handelt sich um eine konstant bleibende Innenschwerhörigkeit von Geburt an sowie einer Netzhautdegeneration, die während der Pubertät oder im frühen Erwachsenenalter beginnt.
- Usher Typ 3 ist gekennzeichnet durch eine mittelgradige Schwerhörigkeit seit der Geburt, die sich im Laufe des Lebens verstärkt. Die Netzhautdegeneration tritt im frühen Erwachsenenalter auf.
Vererbung durch beide Elternteile
Die Erkrankung wird autosomal rezessiv vererbt. Das heißt, dass Kinder nur dann erkranken, wenn sie von beiden Eltern das veränderte Gen vererbt bekommen. Hat man nur ein defektes Usher-Syndrom-Gen, so erkrankt man nicht, kann dieses jedoch an seine Kinder weitergeben. Um die Erkrankung so früh wie möglich zu diagnostizieren, rät der Mediziner: „Kinder mit Hörbeeinträchtigung sollen immer auch augenärztlich untersucht werden. In unserem familienzentrierten Frühinterventionsprogramm für Kinder mit Hörschädigungen ist dies Standard.“
Keine Heilung möglich
„Leider gibt es derzeit noch keine Therapie, die das Usher-Syndrom heilt. Man versucht daher, die Symptome so gut wie möglich zu kompensieren und die Lebensqualität der Betroffenen zu erhöhen“, erklärt Fellinger. Sehhilfen, Lichtschutzgläser zur Verbesserung der Blendempfindlichkeit oder Hörgeräte beziehungsweise Cochlea Implantate (elektronische Hörprothesen, die die Funktion der Hörsinneszellen ersetzen) sind einige Behandlungsmöglichkeiten. „Vor allem Betroffene von Usher Typ I lernen als Kinder oft die Gebärdensprache. Diese kann auch bei fortgeschrittener Sehbeeinträchtigung als 4-Hand-Gebärdensprache über den Tast- und Lagesinn flüssig angewandt werden“, so Fellinger. Bei Beeinträchtigung beider Sinne bedeutet dies eine enorme Belastung für die Patienten mit tiefen Auswirkungen auf die Alltagsgestaltung. Hier ist Unterstützung, etwa in Form von Selbsthilfegruppen (www.ushersyndrom.at.tf) oder Usher-Sprechstunden sehr wichtig.
MMag. Birgit Koxeder
Juni 2012
Foto: Bilderbox