Ständige Müdigkeit, Energielosigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten: Wer unter einem niedrigen Blutdruck leidet, kennt diese Symptome. Doch das Blutdruckproblem kann noch ernstere Folgen haben und bis hin zum Kollaps, zum plötzlichen Umkippen, führen. Wer davon betroffen ist, leidet unter einer sogenannten „orthostatischen Hypotonie“ (OH), einer mangelhaften Anpassung des Blutdrucks an eine veränderte Lage des Körpers. Diese Form des Niederdrucks unterscheidet sich ganz deutlich von der sogenannten „primären Hypotonie“. Während diese eher eine Befindlichkeitsstörung ist, handelt es sich bei der orthostatischen Hypotonie ganz klar um eine Krankheit. Sie tritt relativ häufig auf und trifft nach den Schätzungen von Univ.-Prof. Dr. Gregor Wenning, dem Leiter der Innsbrucker Uniklinik für Neurologie, jeden zehnten bis zwanzigsten Österreicher. „Die Symptome dieser Erkrankung zeigen sich nicht nur in dramatischen Ohnmachtsanfällen“, erklärt Wenning. Auch Schwächeanfälle, Sehstörungen oder Schulter-, Nacken- und Kreuzschmerzen im Stehen könnten auf
OH hindeuten.
Einfache Diagnose
Ob jemand unter einer orthostatischen Hypotonie leidet, kann der Internist in einem ersten Schritt relativ leicht mit dem sogenannten Schellong-Test feststellen. Dabei wird der Blutdruck ein, drei und fünf Minuten nach dem Aufstehen gemessen. „Eine orthostatische Hypotonie liegt dann vor, wenn der Blutdruck während drei Minuten in aufrechter Position abfällt. Und zwar nach mindestens fünf Minuten ruhigen Liegens“, erklärt Gregor Wenning.
Es gibt viele Ursachen für die orthostatische Hypotonie: Sie kann etwa eine Begleiterscheinung von Parkinson oder der verwandten Erkrankung MSA (Multisystematrophie) sein. Dabei fällt unter anderem der Blutdruck vom Liegen zum Stehen extrem ab. Den Erkrankten wird beim Aufstehen schwarz vor Augen bis hin zum Kreislaufkollaps. Auch rund die Hälfte aller Parkinson-Patienten bekommt im Laufe der Zeit Probleme mit Blutdruckschwankungen. Doch nicht immer sind Störungen im zentralen Nervensystem, wie sie Parkinson oder MSA bewirken, die Ursache für krankhaften niedrigen Blutdruck. Andere mögliche Gründe sind Diabetes, Alkoholmissbrauch, Medikamente (etwa solche, die entwässernd wirken) und selten ein Tumor oder eine Erberkrankung des autonomen Nervensystems.
„Wer unter einer orthostatischen Hypotonie leidet, sollte seinen Lebensstil darauf abstimmen“, empfiehlt Prof. Wenning: Mehrere kleine statt große üppige Mahlzeiten seien ratsam, außerdem der Verzicht auf heiße Bäder und Sauna. Darüber hinaus sollten auch starkes Pressen beim Toilettengang und übermäßiger Alkoholgenuss vermieden werden. Hilfreich sei das Tragen von Kompressionsstrümpfen, das Höherstellen des Betthaupts (20 bis 30 Zentimeter) und eine eher salzreiche Kost. Viel trinken ist ebenfalls wichtig. Gegen morgendlichen Blutdruckabfall wirkt besonders, wenn man vor dem Aufstehen ein Glas Wasser trinkt. Wenn Lebensstil-Veränderungen nicht ausreichen, lässt sich der Blutdruckabfall auch mit Hilfe von Medikamenten regulieren.
Dr. Regina Sailer
Juni 2009
Foto: shutterstock, privat
Blutdruckabfall und Notfallmedizin
Wenn der Blutdruck plötzlich in den Keller sinkt, kann das für Dr. Wolfgang Schreiber Alarmstufe Rot bedeuten. Der Bundes-Chefarzt des Österreichischen Roten Kreuzes kennt das Problem vor allem aus der Sicht eines Notfallmediziners: „Hypotonie kann Ausdruck einer sehr ernsten Erkrankung sein“, erklärt er. So würden sich etwa gefährliche Herzrhythmusstörungen auf diese Weise bemerkbar machen oder eine Verletzung großer Gefäße. Daher ist Schreiber, der auch an der Wiener Universitätsklinik für Notfallmedizin arbeitet, bei einem plötzlichen Blutdruckabfall besonders hellhörig. Blutdruckbedingte Einsätze sind gar nicht so selten, wie der Notfallmediziner durch seine Arbeit beim Roten Kreuz weiß. Etwa, wenn es in der Staatsoper wieder einmal zum typischen Stehplatz-Kollaps kommt: „Es ist heiß, die Menschen stehen lange und haben oft zu wenig getrunken – das alles sind Faktoren, die zum Kollaps führen.“ In Fällen wie diesen ist es wichtig, den Betroffenen in eine ruhige Umgebung zu bringen, die Beine hochzulagern, ein Glas Wasser zu reichen und, wenn sich die Symptomatik nicht innerhalb kurzer Zeit bessert, die Rettung zu rufen. Diese Form der blutdruckbedingten Ohnmacht trifft am häufigsten junge Frauen. Erstaunlicherweise gibt es auch Bluthochdruck-Patienten, denen die Notfallmedizin aufgrund eines akuten Blutdruck-Abfalls helfen muss – und zwar dann, wenn diese ihre Medikamente zu stark dosieren. „Das kommt leider öfter vor, als man glaubt“, weiß Dr. Schreiber und rät Hypertonie-Patienten dringend, nicht auf eigene Faust die Dosierung ihrer Blutdrucksenker zu erhöhen.
Kommentar
Univ.-Prof. Dr. Gregor K. Wenning
Leiter der Klinik für Neurologie, Universität Innsbruck