Wie alle Wesen folgt auch der Mensch dem Rhythmus von Tag und Nacht. Taktgeber für die innere Uhr sind Tageslicht und Dunkelheit. Der Körper würde aber auch ohne sie sein tägliches Schlafbedürfnis einfordern. Müdigkeit ist ein natürlicher Schutzmechanismus gegen Überforderung – normalerweise. Sie kann aber auch Zeichen für eine Krankheit sein.
Schläfrigkeit aus Langeweile, Müdigkeit nach einem anstrengenden Arbeitstag oder einer durchtanzten Nacht, das macht ein erholsamer Schlaf schnell wieder wett. Sich beim Aufstehen wie neugeboren fühlen – davon können viele Menschen aber nur träumen. Wenn Müdigkeit zum Dauerzustand wird, die berufliche Leistung beeinträchtigt, das Alltagsleben und die sozialen Kontakte einschränkt, sogar die Sicherheit am Arbeitsplatz gefährdet und die Fahrtüchtigkeit mindert, dann werden ärztlicher Rat und Hilfe gebraucht.
Nebenwirkung
Müdigkeit ist eine häufige Nebenwirkung vieler Arzneimittel, wie zum Beispiel Antidepressiva, Antihistaminika, Beruhigungs- und Schlafmittel, Betablocker, Schmerzmittel und einiger Antibiotika, berichtet Dr. Christoph Röper, Neurologe und Leiter der Schlafambulanz am AKH Linz. In der Schwangerschaft ist Müdigkeit eine übliche, harmlose Begleiterscheinung. Bleierne abnorme Müdigkeit kann aber auch mit ernsten Krankheiten einhergehen, wie etwa Diabetes, rheumatischen Erkrankungen, Infektionskrankheiten, Blutarmut, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder auch Tumorleiden. Etwa bei älteren Menschen kann ein grippaler Infekt noch Monate nach der Genesung Müdigkeit und Schwäche hinterlassen.
Immer öfter wird das chronische Müdigkeitssyndrom Chronic Fatigue Syndrome, kurz CFS, diagnostiziert. Geringe Belastbarkeit, rasche Ermüdbarkeit und Erschöpfung und Antriebslosigkeit im Verbund mit Schmerzzuständen, das kennzeichnet dieses Krankheitsbild, das oft nach einer schweren Vorerkrankung auftaucht. Schlafen ändert am chronischen Erschöpfungszustand nichts. Der Auslöser des CFS ist bisher nicht gesichert, eine Beteiligung des Immunsystems gilt jedoch als wahrscheinlich.
Die Frühjahrsmüdigkeit ist harmlos. Sie könnte ein kurzer Mangelzustand am Glückshormon Serotonin sein. Die in den dunklen Wintermonaten aufgebrauchten Serotoninspeicher müssen, so die bislang unbewiesene Vermutung, im zunehmenden Tageslicht wieder ergänzt werden. Sollte der vermeintliche Frühjahrsblues nicht nach wenigen Tagen gewichen sein, ist abzuklären, ob sich dahinter nicht mit ähnlichen Symptomen eine Depression oder eine Funktionsstörung der Schilddrüse verbirgt. Mit Sorgen und Konflikten, die zu depressiver Stimmungslage führen, können sich geistige Erschöpfungszustände einschleichen. Und eine unbehandelte chronische Müdigkeit kann ihrerseits soziale Konflikte und Depressionen verursachen.
Die Narkolepsie, im Volksmund auch Schlafkrankheit oder Schlummersucht genannt, ist kaum bekannt. Vielleicht dauert es deshalb oft Jahrzehnte, bis sie diagnostiziert wird, obwohl sie mit 50 Fällen pro 100.000 Einwohner gar nicht so selten ist. Die Betroffenen leiden tagsüber unter einem unwiderstehlichen Schlafdrang. Die Einschlafattacken erzeugen Unverständnis bei nicht informierten Angehörigen und Kollegen, tragen den Betroffenen den Ruf als „Schlafmützen“ ein und bedeuten ein erhöhtes Unfallrisiko. Ein gefährliches Begleitsymptom ist die Kataplexie, ein unwillkürlicher Verlust der Muskelspannung. Ausgelöst durch Anstrengung oder heftige Gefühlsregungen, führt sie zu leichten Schwächegefühlen in den Knien bis zum Sturz. Weitere Symptome sind die Schlafparalyse, eine kurze Bewegungsstarre nach dem Aufwachen, sowie halluzinationsartige Eindrücke im Übergang vom Wach- zum Schlafzustand und umgekehrt. Narkolepsie ist nicht heilbar, aber Medikamente, Aufklärung des sozialen Umfelds, Erleichterungen in der Schule und am Arbeitsplatz und Verhaltenstherapie können die Belastung mildern.
Sekundenschlaf
Der heimtückische, meist verhängnisvolle Sekundenschlaf droht, wenn Signale der Müdigkeit ignoriert werden. Gähnen, Frösteln, brennende Augen, schneller Lidschlag, Bewegungsdrang, häufige Lenkkorrekturen, Wahrnehmungsstörungen – das sind seine Vorboten. Monotone Sinneseindrücke wie ein schnurgerader Straßenverlauf oder die Bewegung der Scheibenwischer – sie wiegen ins Träumen am Steuer mit offenen Augen. Kaffee ist da als Muntermacher ungeeignet. Die Wirkung des Koffeins setzt erst nach 20 Minuten ein und ist schnell wieder vorbei. Eine Schlafpause von 10 oder 20 Minuten füllt die Batterien wieder auf und ist die einzig relativ sichere Maßnahme für unterwegs – jedenfalls dann, wenn es nicht möglich ist, die Fahrt überhaupt für mehrere Stunden für ein Schläfchen zu unterbrechen. Das Fahrverhalten im übernächtigen Zustand entspricht übrigens dem mit einem Blutalkohol von etwa 1,0 Promille.
Wenn organische und psychiatrische Erkrankungen ausgeschlossen sind, ist der Schlafmediziner am Zug, den Ursachen einer abnormen Müdigkeit nachzugehen. Einer der häufigsten Gründe für Tagesschläfrigkeit ist die Schlafapnoe, eine Schlafstörung durch wiederholte Schlafunterbrechungen, ausgelöst durch Atemnot in zahlreichen Atempausen. Zur Aufzeichnung eines Schlafprofils verbringt der Patient zwei Nächte im Schlaflabor. Vor dem Testschlafen werden Elektroden zur schmerzlosen Messung von Hirnkurven, Muskelaktivität, Herzfunktion und Augenbewegungen auf der Haut befestigt. Zusätzlich werden Kameras und Mikrofone aktiviert, die das Geschehen aufzeichnen. Nach Auswertung der Testergebnisse werden in der interdisziplinären Zusammenschau von HNO- und Lungenfacharzt, Kieferchirurgen oder Neurologen entsprechende Therapiemaßnahmen vorgeschlagen – damit die innere Uhr wieder stimmt.
Klaus Stecher
September 2011
Foto: Bilderbox, privat
Kommentar
„Regelmäßigkeit im Tagesablauf und beim Schlafengehen hilft gegen Schlafstörungen. Sport und Abendessen sollten schon spätestens drei Stunden vorher erledigt sein. Ein gut belüfteter, ruhiger Raum und die ideale Matratze gehören zur Schlafhygiene.“
OA Dr. Christoph Röper
Leiter der Schlafambulanz am AKh Linz