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Dysmorphophobie: Einbildung einer Missbildung

Dysmorphophobie: Einbildung einer MissbildungDer Blick in den Spiegel löst Entsetzen aus. Denn Menschen, die unter einer Dysmorphophobie leiden, fühlen sich hässlich. Sie glauben, eine körperliche Entstellung zu haben und leiden darunter stark. Die Ursachen der psychischen Störung sind noch wenig bekannt, erklärt Dr. Hans Morschitzky von der Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg in Linz.

Unter einer Dysmorphophobie – auch als körperdysmorphe Störung bezeichnet – versteht man die anhaltende Beschäftigung mit einer angenommenen Missbildung. Betroffene haben das subjektive Gefühl, dass der Körper oder bestimmte Teile davon entstellt sind. Dieser „Mangel“ ist aber tatsächlich gar nicht vorhanden oder nur sehr gering ausgeprägt. „Es gibt geschlechtsspezifische Unterschiede, die das subjektive Gefühl der Entstellung betreffen. Frauen sind häufiger davon überzeugt, eine zu große oder kleine Brust, unförmige Beine, eine entstellte Haut oder eine zu breite Hüfte zu haben. Männer hingegen sind eher auf eine zu geringe Körpergröße, einen zu kleinen Penis oder einen vermeintlich zu geringen muskulären Körperbau fixiert, erklärt Dr. Hans Morschitzky, klinischer Psychologe und Psychotherapeut an der Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg in Linz. Zur Häufigkeit gibt es unterschiedliche Zahlen: „Zwischen ein und vier Prozent der Bevölkerung ist betroffen. Die Störung tritt damit häufiger auf, als früher angenommen.“

Vertuschen „hässlicher“ Körperteile

Kennzeichnend ist, dass Betroffene die vermeintliche Entstellung durch sehr langes Betrachten im Spiegel oder in reflektierenden Oberflächen wie Schaufenster überprüfen. Es kann jedoch auch vorkommen, dass sie Spiegel völlig meiden, weil der Anblick des Körpers unerträglich ist. Zudem werden Vergleiche mit anderen Menschen gezogen, um die angenommene Entstellung zu beurteilen, wobei Betroffene subjektiv betrachtet schlechter abschneiden. Übermäßig viel Zeit wird damit verbracht, sich herzurichten, neu zu kleiden oder die Haare zurechtzulegen. Menschen mit einer Dysmorphophobie arbeiten intensiv daran, ihr Erscheinungsbild zu verbessern und die eingebildete Missbildung zu verdecken. Oft vermeiden sie Fotoaufnahmen oder gehen nur außer Haus, wenn es dunkel ist, um den vermeintlichen Mangel zu verbergen.

Exzessive Beschäftigung mit der vermeintlichen Missbildung

Da sich die Gedanken nur noch um die eingebildete Missbildung drehen, sind die meisten Betroffenen stark eingeschränkt im Alltagsleben. „Als Folge der exzessiven Beschäftigung mit der vermeintlichen Entstellung meiden viele Patienten private und berufliche Situationen. Die Betroffenen glauben oft, dass auch andere Menschen ständig ihre ‚hässlichen’ Körperteile beobachten würden, was ihre sozialen Ängste verstärkt“, erklärt Morschitzky. Im schlimmsten Fall droht ein völliger sozialer Rückzug.

Gang zum Schönheitschirurgen statt zum Psychiater

Menschen mit Dysmorphophobie versuchen oft, ihre Probleme durch chirurgische Maßnahmen zu beheben. „Die meisten Betroffenen gehen zum Chirurgen und nicht zum Psychiater“, sagt der Psychotherapeut. So verwundert es nicht, dass etwa zwei Prozent der Patienten der plastisch-kosmetischen Chirurgie eine körperdysmorphe Störung haben. Der Eingriff schafft meist aber keine Besserung: „Menschen mit Dysmorphophobie sind natürlich mit dem Ergebnis oft nicht zufrieden“, so der Psychologe.

Über die Ursache herrscht Uneinigkeit

Die Forschung ist sich noch nicht einig, was die Ursachen sind: „Es gibt mehrere Erklärungsmodelle. Man geht jedoch von einer Wechselwirkung zwischen biologischen und entwicklungspsychologischen Faktoren aus. Bei der Mehrzahl der Betroffenen entwickelt sich die Störung bereits in der Pubertät und passt gut zur allgemeinen sozialen Unsicherheit“, erklärt Morschitzky und fügt hinzu: „Wichtig als Arzt und Psychotherapeut ist es deshalb, die Betroffenen in ihrer Not anzunehmen und ihnen zuzugestehen, dass sie sich so fühlen. Das Ausreden der vermeintlichen Entstellung bringt nichts. Letztlich müssen Menschen mit einer Dysmorphophobie akzeptieren, dass sie sich unwohl fühlen und sich deswegen aber nicht sozial zurückziehen.“ Durch die exzessive Beschäftigung mit dem eigenen Körper bleibt kaum Energie für andere Tätigkeiten. Betroffene müssen also lernen, sich wieder auf andere Dinge wie den Beruf oder die Ausbildung zu konzentrieren.

MMag. Birgit Koxeder

März 2011

Foto: Bilderbox

Zuletzt aktualisiert am 11. Mai 2020