Bis zum Beweis des Gegenteils sind dicke Beine kein kosmetisches Problem, sondern vielmehr Ausdruck einer Krankheit, die es zu erkennen und zu behandeln gilt.
Für geschwollene Beine gibt es viele verschiedene Ursachen. Manche sind harmlos, zum Teil gut therapierbar und hinterlassen - frühzeitig erkannt - keine Spuren. Manchmal aber ist die Schwellung Ausdruck einer unter Umständen gefährlichen internistischen Erkrankung. Darum sollte grundsätzlich jede unklare Schwellung von einem Arzt beizeiten untersucht werden. „Das ‚dicke Bein’ ist für Ärzte eine diagnostische Herausforderung. Für betroffene Patienten sind geschwollene Beine vielfach bedrohlich und geben Anlass zu ernster Sorge um die Gesundheit“, sagt Prof. Dr. Curt Diehm, Chefarzt der Inneren und Gefäßmedizinischen Abteilungen, Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Heidelberg. Eine Flüssigkeitsansammlung im Gewebe wird medizinisch als Ödem bezeichnet. Spätestens ab einer Menge von etwa einem Liter wird die Schwellung im Bein deutlich sichtbar.
Vermehrung von Fettgewebe
Eine mögliche Ursache für eine Beinschwellung ist die Extremitäten-Lipohypertrophie - eine anlagebedingte Fettgewebsvermehrung der Gliedmaßen. Dabei handelt es sich um eine Fettverteilungsstörung mit Missverhältnis zwischen Stamm- und Extremitätenfett. In den allermeisten Fällen sind die Beine von dieser Krankheit betroffen. Man unterscheidet unterschiedliche Formvarianten: Am häufigsten ist das gesamte Bein verdickt, oft unter Einbeziehung des Gesäßes. Man spricht auch vom „Reiterhosenphänomen“. Die Fettpolster sind auf beiden Beinen symmetrisch verteilt. Oberhalb der Knöchel besteht ein so genannter Fettkragen, knöchelabwärts sind die Füße hingegen von der Schwellung ausgespart. Gelegentlich ist die Fettgewebsvermehrung aber auch auf die Oberschenkel oder die Unterschenkel beschränkt.
Hauptsächlich Frauen betroffen
Als Ursache für die Fettverteilungsstörung werden anlagebedingte Faktoren sowie hormonelle Gründe angenommen. Die Erkrankung beginnt meist in der Pubertät oder im Laufe einer Schwangerschaft, manchmal auch erst in den Wechseljahren oder im Rahmen einer Schilddrüsenfunktionsstörung. Es erkranken fast ausschließlich Frauen. Männer sind nur dann betroffen, wenn als Grunderkrankung ein schwerer Mangel an männlichen Hormonen besteht.
Entwicklung eines Lipödems
Durch den jahrelangen Druck der Fettgewebsmassen auf die Lymphgefäße kann es zu einer zusätzlichen Flüssigkeitseinlagerung kommen und ein so genanntes Lipödem entstehen. Die Lymphgefäße laufen dann nicht mehr gerade unter der Haut, sondern werden korkenzieherartig zusammengedrängt. Die Lymphe kann nicht mehr komplett abtransportiert werden, bleibt in der Unterhaut liegen und führt zum Ödem. Während die reine Fettgewebsvermehrung an sich keine Schmerzen bereitet, bereitet das Lipödem oft typische Beschwerden. Patientinnen klagen über eine Druck- und Berührungsempfindlichkeit der Haut an der Außenseite und ein Spannungsgefühl der Beine. Als Komplikation können zusätzlich Blutergüsse an den betroffenen Körperteilen auftreten. Die massive Verdickung der Beine behindert auch beim Gehen. Besteht zusätzlich starkes Übergewicht, kommt es in weiterer Folge frühzeitig zu Abnutzungserscheinungen der Knie- und Hüftgelenke.
Keine Besserung durch Medikamente und Salben
Generell übergewichtige Patienten können durch eine Gewichtsabnahme die Krankheit positiv beeinflussen. Oft erkranken aber auch schlanke Frauen - dann kann die Fettgewebsvermehrung der Beine durch eine Diät nicht reduziert werden. Ein Lipödem ist weder durch Medikamente noch durch Salben heilbar. Die Beschwerden können durch eine komplexe physikalische Entstauungsherapie verbessert werden. Diese Therapie besteht aus manuellen Lymphdrainagen, Bandagierung der Beine und dem zusätzlichen Tragen von Kompressionsstrümpfen. Die manuelle Lymphdrainage nach Dr. Vodder ist eine spezielle Massageform, die den Abtransport der Lymphflüssigkeit anregt. Durch eine drei- bis vierwöchige stationäre Behandlung kann in den allermeisten Fällen eine Schmerzfreiheit erreicht werden. Im Einzelfall kann eine Fettabsaugung zur Reduktion der übermäßigen Fettgewebsvermehrung sinnvoll sein. Bewegung und Ausdauersportarten sind durchaus empfehlenswert, allerdings nur mit Kompressionsstrümpfen. Eine Überbelastung sollte in jedem Fall vermieden werden.
Starker Leidensdruck
Auch wenn keine körperlichen Schmerzen bestehen, ist der psychische Leidensdruck der betroffenen Frauen meistens sehr groß. Besuche im Freibad oder das Tragen kurzer Röcke ist für sie keine Selbstverständlichkeit. „Es gibt kaum eine Erkrankung, die junge Frauen unglücklicher machen kann wie ein Lymph- oder Lipödem. Die richtige Diagnose entscheidet über die erfolgreiche Behandlung bei Fett- und Wassereinlagerungen. Bei dicken Beinen daher unbedingt einen Spezialisten aufsuchen“, betont Diehm.
Dr. Ulli Stegbuchner
April 2008
Foto: Bilderbox