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Gluten-Unverträglichkeit ohne Zöliakie

Gluten-Unverträglichkeit ohne ZöliakieGetreide verträgt nicht jeder, denn das Getreide-Protein Gluten kann Entzündungen im Darm hervorrufen. Während ein Prozent der Bevölkerung an Zöliakie erkrankt, besteht der Verdacht, dass noch wesentlich mehr Menschen an der milderen Form, der Gluten-Unverträglichkeit, leiden.

Zöliakie ist eine chronisch entzündliche Dünndarmerkrankung. Es liegt eine erhöhte immunologische Reaktionsbereitschaft auf Gluten vor, einem Bestandteil von Weizen und anderen Getreidearten. Die Folge sind Entzündungsreaktionen im oberen Darmbereich, Abbau der Darmschleimhaut und dadurch ausgelöste Mangelverdauung und -versorgung. Patienten leiden meist schon seit der frühen Kindheit an Beschwerden wie Blähungen, Bauchschmerzen, Durchfall. Bei Kindern ist häufig ein deutlicher Blähbauch zu erkennen. Behandeln lässt sich Zöliakie bisher nicht, der einzige Weg um den Beschwerden zu entgehen, besteht in einer streng glutenfreien Diät.
Während Zöliakie bei Ärzten und auch in der Bevölkerung als Krankheitsbild mittlerweile gut verankert ist, ist noch weitgehend unbekannt, dass viele Menschen zwar über ähnliche oder gleiche Symptome klagen, ohne dass bei ihnen jedoch Zöliakie diagnostiziert ist. Die Beobachtung, dass nicht nur ausgewiesene Zöliakie-Patienten auf Gluten negativ reagieren, führte kürzlich zur Veröffentlichung eines von 15 internationalen Experten verfassten Konsenspapiers. In dieser Publikation werden drei verschiedene Krankheitsbilder unterschieden: Zöliakie, Weizenallergie und Glutensensitivität ohne Zöliakie.

Gluten

Gluten sind Proteine, die nur in den Getreidearten Weizen, Roggen, Gerste sowie in Dinkel, Kamut, Einkorn und Emmer vorkommen. Gluten befindet sich in einer Vielzahl der Nahrungsmittel des täglichen Bedarfs, wie z.B. in Brot, Mehl, Nudeln, aber auch in vielen verarbeiteten Lebensmitteln. Dr. Helmut Retzek, Allgemeinmediziner in Vöcklabruck, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Gluten-Problemen: „Glutenintoleranz führt zum Ausschütten von Entzündungsfaktoren und bei stärkerer Darmwandschädigung auch zu versteckten Entzündungen im ganzen Körper. Neueste Studien zeigen schlimme Effekte auf viele Organsysteme wie Gehirn, Herz, Gelenke und Muskeln, Verdauungstrakt und mehr.“

Vorgehensweise bei Symptomen

Um bei Patienten, die über eine Weizen- oder Glutenunverträglichkeit berichten, herauszufinden, ob eines der drei Krankheitsbilder vorliegt, empfehlen die Autoren des Konsenspapiers folgendermaßen vorzugehen:

  • Erstens sollte man eine Zöliakie ausschließen. Eine hundertprozentige Diagnose ergibt sich einzig aus einer Gewebsentnahme aus dem Dünndarm. Dabei werden kleine Gewebsproben schmerzlos aus dem obersten Dünndarmabschnitt entnommen.
  • Zweitens wird nach einer Weizenallergie gefahndet (IgE-Serum-Assay oder Haut-Pricktest auf Weizen).
  • Fallen diese Untersuchungen negativ aus, bleibt der Verdacht auf Glutenunverträglichkeit ohne Zöliakie.

Unverträglichkeit ohne Zöliakie

Viele Fragen hinsichtlich der Verträglichkeit von Gluten sind wissenschaftlich noch unbeantwortet. Dr. Helmut Retzek über seine Erfahrungen aus der Praxis: „Die Zahl der Menschen, bei denen zwar keine Zöliakie diagnostiziert wird, die aber dennoch kein Gluten vertragen, dürfte überraschend hoch sein. In den letzten Jahren kam es zu einem starken Ansteigen dieser Unverträglichkeit. Immer wieder berichteten mir Patienten von einer deutlichen gesundheitlichen Verbesserung, wenn sie auf Weizen verzichteten. Tatsächlich erlebte ich durch eine glutenarme Ernährungsweise ungeahnte Verbesserung der Gesundheit der Diät-Klienten. Bei über tausend Patienten hörten wir fast immer Bemerkungen wie: ‚Wenn ich wieder Weißbrot oder Nudeln gegessen habe, wurde ich sofort sehr müde. Sündigte ich regelmäßig, begannen meine Probleme – Kopfweh, Blutdruck, Verdauungsstörungen, Schmerzen, Erschöpfungsgefühl –, die ich während der Ernährungsumstellung gar nicht mehr gehabt habe, wieder.‘ Monatlich neuen Studien bestätigen diese Erfahrungswerte und untermauern sie wissenschaftlich.“

Diagnosemöglichkeiten bei vermuteter Unverträglichkeit

Typische Symptome einer Gluten-Unverträglichkeit sind: Bleierne Müdigkeit nach dem Essen, Blähungen, Bauchschmerzen, Übelkeit, Durchfall. Aber auch Schmerzen, Energielosigkeit und depressive Stimmungen sind häufige Begleiterscheinungen. Ob man tatsächlich an einer Unverträglichkeit leidet, lässt sich am ehesten mit folgenden Methoden feststellen:

  • IgG4-Test (mittels Blutabnahme): Zur Erkennung der Unverträglichkeit der jeweiligen Nahrungsmittel wird der Antikörpernachweis mittels eines Antikörperbindungstests analysiert. Damit lassen sich Unverträglichkeiten vom „Spät-Typ“ diagnostizieren, bei denen die Beschwerden erst 48 Stunden nach Aufnahme des unverträglichen Nahrungsmittelbestandteils auftritt.
  • Transglutaminase-IgA – Antikörpertest.
  • Am einfachsten jedoch über das Prinzip der Rotationsdiät: Dabei ernährt man sich drei Tage lang völlig glutenfrei, am vierten Tag isst man wieder glutenhaltige Speisen. Liegt eine Unverträglichkeit vor, reagiert der Körper dabei unmittelbar und heftig.

Schleichender Prozess

Retzek über die Wichtigkeit einer glutenfreien Ernährung: „Auch Patienten mit einer bloßen Unverträglichkeit profitieren symptomatisch von einer glutenfreier Diät. Das ist damit zu erklären, dass sowohl bei der Unverträglichkeit als auch bei ausgewiesener Zöliakie dasselbe Reaktions-Schema im Darm abläuft.
Die durch Gluten ausgelösten Entzündungen schwächen die Darmfunktion und verursachen die bekannten Probleme. „Längerfristig kann es zu einem eklatanten Mangel an Vitaminen und Spurenelementen kommen. Wenn man nicht mit einer Ernährungsumstellung reagiert, weitet sich das Problem aus, immer mehr Organe werden geschwächt. Auch die Leber wird beeinträchtigt. Man findet zwar selten nachweisbare Leberschäden, doch eine Funktionsschwäche ist anhand der Symptome meist offensichtlich. Der typische Hilfeschrei der Leber ist Müdigkeit am Nachmittag und Schlaflosigkeit um 4 Uhr früh. Betroffene vertragen oft auch keinen Alkohol“, so der Mediziner.

Behandlung

Gegen Zöliakie und Unverträglichkeit auf Gluten gibt es noch keine Medikamente. Einzig die glutenfreie Ernährung bewirkt, dass die Erkrankung nicht fortschreitet. „Nur ein Prozent der Gluten-Betroffenen ist korrekt diagnostiziert und weiß über seine Veranlagung Bescheid. 99 Prozent leiden und produzieren große Kosten für unser Gesundheitssystem. Ihre gesundheitlichen Probleme werden durch alles Mögliche begründet, nie jedoch durch Gluten-Überempfindlichkeit. Dabei wäre diese leicht und zu 100 Prozent behandelbar. Betroffene müssen zumindest zeitweise auf glutenfreie Ernährung umstellen. Tun sie es nicht, kann der Darm nicht ausheilen“, so Retzek.

Dr. Thomas Hartl
Juli 2013


Foto: Bilderbox

Zuletzt aktualisiert am 11. Mai 2020