Geschädigte Nerven erzeugen einschießende Schmerzen. Herkömmliche Schmerzmittel sind dabei weitgehend wirkungslos. Eine rasche Therapie mit speziellen Medikamenten verhindert dauerhafte Schmerzen. Üblicherweise werden Schmerzen durch Reize und Ursachen wie Gewebsverletzungen oder Entzündungen hervorgerufen.
Was sind Nervenschmerzen?
Anders verhält es sich bei Nervenschmerzen (neuropathischen Schmerzen): Hier liegt das Problem in den Nervenfasern selbst, die Fasern und Leitungen sind geschädigt oder zerstört. Es handelt sich um Funktionsstörung oder krankhafte Veränderung einer oder mehrerer Nervenbahnen. „Man kann sich die Nerven wie Informationskabel vorstellen. Wenn der Nerv selbst ein Problem hat, kann er das nicht wie üblich über seine Nervenbahn melden, sondern er schickt in diesem Fall einen Art Stromblitz aus. Das ist seine Art aufzuzeigen, dass etwas nicht stimmt“, erklärt Prim. Dr. Josef Macher, Ärztlicher Leiter und Schmerztherapeut am Diakonissen-Krankenhaus Linz.
Verschiedene Ursachen
Die Gründe für Nervenschmerzen sind breit gestreut und sehr unterschiedlicher Natur. Die wichtigsten Ursachen:
- Eingeklemmter Nerv in der Wirbelsäule (der Nerv wird gegen den Wirbelkanal gedrückt)
- Diabetes 2 (diabetische Neuropathie. Symptom: „Brennende Füße“)
- Engpasssyndrome (z.B. Karpaltunnelsyndrom)
- Gürtelrose
- Infektionen (z.B. Borrelien-Infektion)
- Trigeminusneuralgie
- Phantomschmerzen nach Amputationen
- Anhaltender brennender Schmerz nach Operationen
- Atypischer Gesichtsschmerz.
Auch nach einem Schlaganfall oder bei Morbus Parkinson, Aids oder einem Tumor, bei einer Chemotherapie oder schwerem Alkoholmissbrauch können Nervenschmerzen auftreten.
„Zählt man alle Gruppen zusammen, dann sind etwa sechs bis sieben Prozent der Bevölkerung von neuropathischen Schmerzen betroffen“, so Macher.
Symptome
Hell, einschießend, scharf, brennend. Elektrisierend, kurz und attackenförmig. So wird ein neuropathischer Schmerz meist beschrieben. Nie wird der Schmerz als dumpf oder breit empfunden. Solche Schmerzen weisen auf andere Ursachen hin. „Der Gesichtsschmerz schießt plötzlich ein wie ein Blitz. Der diabetische Fuß brennt wie Feuer“, beschreibt Macher typische Schmerzempfindungen. Auch Kälteempfindungen, Ameisenlaufen und ausstrahlender Schmerz deuten auf neuropathische Schmerzen hin.
Extreme Berührungsempfindlichkeiten und Missempfindungen wie Taubheit und Kribbeln können ebenfalls auftreten. Ist ein Nerv verletzt oder über längere Zeit immer wieder Reizen ausgesetzt, kann der Nerv überempfindlich werden und reagiert schon bei geringen Reizen mit überschießenden Schmerzen (bei bloß leichtester Berührung).
Lange Leidenszeit
Der Weg bis zur richtigen Diagnose und Therapie ist oft schwierig und zeitraubend. Viele Patienten leiden jahrelang unter neuropathischen Schmerzen, bevor eine korrekte Diagnose gestellt wird. Das rasche Aufsuchen eines Schmerzspezialisten oder einer Schmerzambulanz könnte die Leidenszeit in vielen Fällen verringern. Entscheidend ist es, eine klare Diagnose herauszuarbeiten. Die Ursache muss gefunden werden. Deren Nachweis richtet sich nach der möglichen Ursache“, so Macher. Eine Infektion lässt sich im Labor nachweisen, Polyneuropahtie bei Diabetes durch ein Elektroneurogramm, eine Gesichtsneuralgie nur durch eine Ausschlussdiagnose.
Behandlung
Durch rasche Therapie-Maßnahmen soll erreicht werden, dass der Patient möglichst schmerzfrei wird. Das verhindert die Entstehung einer dauerhaften Schmerzerkrankung mitsamt seinen häufigen Folgeerscheinungen: Schlafstörungen, Erschöpfungszustände, Ängste und Depressionen.
Wenn möglich, beseitigt man zuerst die Ursache für den Nervenschmerz. Liegt etwa eine Nervenkompression vor, muss der Nerv so rasch wie möglich freigelegt werden. Dann wird meist auch der Schmerz verschwinden. Ist eine kausale Behandlung nicht möglich – einige Formen des neuropathischen Schmerzes können bis heute nicht ursächlich, sondern nur symptomatisch behandelt werden – kommen spezielle Schmerzmittel zum Einsatz.
Zeigt auch die medikamentöse Therapie keinen Erfolg, stehen je nach Ursache verschiedene Dauertherapien zur Verfügung. Zwei Beispiele: Eine Sympathikusblockade bei der Trigeminusneuralgie oder eine Nervenwurzelblockade, wenn der Schmerz von den Nerven der Wirbelsäule ausgeht.
Übliche Schmerzmittel wirkungslos
Substanzen, die speziell bei Nervenschmerzen eingesetzt werden, sind vor allem Antiepileptika und neuere Antidepressiva. Häufig kommt auch eine Kombination beider Mittel zum Einsatz. Ergänzt wird die Behandlung in vielen Fällen durch Opiate und Botenstoffe.
Die üblichen Schmerzmittel sind bei neuropathischen Schmerzen wirkungslos oder sie wirken nur sehr schwach. In der Praxis werden viele Patienten allerdings mit diesen für sie unwirksamen Medikamenten (wie etwa nichtsteroidale Antirheumatika) therapiert. Auch die häufig verordneten Benzodiazepine sind bei Nervenschmerzen wirkungslos.
Neue Analgetika
Ein neues Analgetikum (d.h. Schmerzmittel) am Markt setzt auf eine Mischung von Opiat und dem Botenstoff Noradrenalin. Der Wirkstoff vereinigt zwei analgetische Prinzipien: Einen Effekt auf die Opioid-Rezeptoren und gleichzeitig die Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmung (NRI) von herkömmlichen Antidepressiva. „Das ist ein neuer, möglicher Weg in der Behandlung. Es wird sich aber erst zeigen, wie erfolgreich er bei Nervenschmerzen sein wird“, so Macher.
Ergänzend kann auch ein Pflaster helfen, das vor allem bei lokalen, gut abgrenzbaren neuropathischen Schmerzen einsetzbar ist. Der Chilli-Inhaltsstoff Capsaicin, der via Pflaster abgegeben wird, betäubt die schmerzende Stelle. Das Prinzip: Durch den Wirkstoff kommt es zu einer Überreizung der Schmerzsignal-Rezeptoren, wodurch diese für Tage oder auch Wochen außer Gefecht gesetzt werden.
Chronische Nervenschmerzen und psychische Erschöpfung
Wird die Ursache eines Nervenschmerzes nicht beseitigt, besteht die Gefahr einer Schmerzchronifizierung. Ein typisches Beispiel sind Bandscheibenprobleme: Wird über lange Zeit Druck auf einen Nerv ausgeübt, können diese neuropathischen Schmerzen dauerhaft werden. Wird nach Monaten oder gar Jahren die ursprüngliche Schmerzursache behoben, bleiben die chronischen Schmerzen weiter bestehen, denn es hat sich eine „Schmerzgedächtnis“ gebildet.
Im Gegensatz zum akuten, einschießenden Schmerz hat der chronische Schmerz seine Funktion als Warnsignal verloren. Er hat sich verselbstständigt und ist selbst zur Krankheit geworden. „Zudem gehen die Botenstoffe Noradrnalin und Serotonin mit der Zeit verloren. Dies führt zusätzlich häufig zu psychischen Problemen. Man sagt, der Patient wird sekundär depressiv“, sagt Macher.
Der Schmerzmediziner meint damit primär Erschöpfungszustände, worunter auch Burnout und depressive Episoden fallen. „Wer ständig Schmerzen leidet, entwickelt häufig solche Zustände“, sagt Macher. Der umgekehrte Fall, nämlich dass sich aus primär seelischen Problemen körperliche Schmerzen manifestieren, trete seltener zutage.
Um dem Teufelskreis aus Schmerzen und psychischer Erschöpfung zu entgehen, ist eine rasche und korrekte Diagnose und Therapie nötig.
Dr. Thomas Hartl
März 2012
Foto: Bilderbox