Heilung ist noch immer Zukunftsmusik. Hundert Jahre nach der erstmaligen Beschreibung von Morbus Alzheimer ist eine Heilung noch immer Zukunftsmusik. Dennoch gibt es Hoffnung für demente Menschen.
Die Krankheit kam auf leisen Sohlen: Erst konnte sich die 76-jährige Anna die Namen ihrer Nachbarn nicht mehr merken, später kamen vertraute Abläufe beim Kochen durcheinander. Doch erst als sie begann, sich die Haare mit der Zahnbürste zu kämmen und die Namen ihrer Enkel vergaß, schrillten in ihrer Umgebung die Alarmglocken. Eine Computertomographie an der Gedächtnis- Ambulanz der nahegelegenen Klinik zeigte einen Hirngewebeschwund. Ein erniedrigter Hirnstoffwechsel und die Konzentration bestimmter Eiweißstoffe in der Hirnflüssigkeit bestätigten schließlich die Diagnose: Morbus Alzheimer.
Zwei Drittel weiblich
Rund 100.000 Menschen leiden in Österreich derzeit unter dieser Krankheit – Tendenz steigend. „Bis zum Jahr 2050 werden es rund 250.000 sein“, schätzt Univ.-Prof. Dr. Josef Marksteiner von der Innsbrucker Universitätsklinik für Psychiatrie. Bei der derzeitigen Lebenserwartung muss jede dritte Frau und jeder sechste Mann über 65 Jahre damit rechnen. Die Erkrankung trifft alle Gesellschaftsschichten und Berufe. Auch jüngere Menschen sind nicht gefeit. So war etwa Prof. Marksteiners jüngster Alzheimer Patient erst 37 Jahre alt. Diese genetisch bedingte Demenz-Form ist zum Glück aber sehr selten. Die meisten erkranken im siebten Lebensjahrzehnt. Lediglich bei den Geschlechtern gibt es auf Grund der höheren Lebenserwartung der Frauen einen Unterschied: Zwei Drittel der Patienten sind weiblich. Die Betroffenen leiden unter Gedächtnisstörungen, Verwirrung und motorischen Störungen bis hin zu starker Unruhe und Rastlosigkeit. Im fortgeschrittenen Stadium geht die Persönlichkeit des Patienten immer stärker verloren, bis er schließlich nicht nur seine Angehörigen, sondern auch sich selbst im Spiegel nicht mehr erkennt.
Frühe Therapie ist wichtig!
Dass die Krankheit wie im Fall der 76-jährigen Anna relativ spät festgestellt wird, ist leider die Regel. „Morbus Alzheimer wird noch zu oft einfach als Alterserscheinung missgedeutet“, weiß Professor Marksteiner. Der Vizepräsident der Österreichischen Alzheimer Gesellschaft betreut in Innsbruck die Alzheimer-Ambulanz und erlebt immer wieder, dass Patienten und Angehörige die Krankheit verleugnen und erst sehr spät zur Behandlung kommen beziehungsweise dass lange falsch diagnostiziert wird. Josef Marksteiner: „Das ist ein österreichweites Problem. Bis zu 40 Prozent der behandlungsbedürftigen Alzheimer-Kranken erhalten hierzulande keine richtige Therapie.“
Zumindest Verzögerung
Alzheimer kann nicht geheilt, im Frühstadium aber gut behandelt werden. Moderne Medikamente und hier vor allem die sogenannten Cholinesterasehemmer bremsen das Fortschreiten der Krankheit beziehungsweise mildern die Ausprägung der Symptome. Sie verbessern die Denkleistung und sorgen dafür, dass die Patienten länger selbständig bleiben. Auch Alltagsund Gedächtnistraining, Musik- und Kunsttherapie sowie die Verhaltenstherapie helfen.
Gehirn in Schwung halten!
Ein Medikament zur Alzheimer-Vorsorge gibt es leider noch nicht. Hier muss noch viel geforscht werden. Es gibt allerdings Studien und Hinweise darauf, dass Acetylsalicylsäure, wie etwa in Aspirin enthalten, Antirheumatika (NSAIDs) und die Östrogen-Therapie gegen klimakterische Beschwerden einen schützenden Effekt haben könnten. Doch eindeutig bewiesen ist das noch nicht. Auf jeden Fall förderlich im Kampf gegen die Altersdemenz ist körperliche Aktivität — optimal wäre dreimal pro Woche eine Stunde Ausdauersport wie zum Beispiel Radfahren, Laufen oder Nordic Walking. Cholesterinbewusste Ernährung dürfte ebenso schützen wie ein abendliches Glas Rotwein. Vorbeugend wirkt zudem alles, was den Geist fit und rege hält, wie Lesen, Kreuzworträtsel, der Austausch mit Freunden oder die Informationssuche im Internet. Stress gilt als Risikofaktor — ebenso wie Diabetes, Bluthochdruck oder Herzerkrankungen.
Was ist Alzheimer?
Das menschliche Gehirn – auch das gesunde – enthält bestimmte Eiweißmoleküle, die sogenannten Amyloid-Precursor-Moleküle (APP). Sie sind die Bausteine für wichtige Abläufe wie Lernen oder das Gedächtnis. Das APP-Molekül besteht aus einer Kette von 700 Aminosäuren, die regelmäßig gespalten wird – das ist ein ganz normaler Vorgang im Funktionskreislauf des Gehirns. Bei Gesunden wird das APP-Molekül an ganz bestimmten Stellen auseinander geschnitten. Die dadurch entstehenden „Reste“ sind harmlos. Bei Alzheimer-Kranken kommt es allerdings zu „Spaltungs-Fehlern“ – das Eiweiß wird an den falschen Stellen geteilt. Die so entstehenden Fragmente – das sogenannte Beta-Amyloid – kann der Körper nicht so einfach entsorgen. Es lagert sich im Gehirn ab und zerstört Nervenzellen. Im Laufe der Zeit können bei Alzheimer-Kranken ganze Gehirnareale zugrunde gehen. Seit kurzem weiß man, dass diese Eiweiß-Ablagerungen noch eine zweite gefährliche Eigenschaft haben. Sie behindern das Heranwachsen neuer Nervenzellen und schneiden das Gehirn damit sozusagen von seinem Nachschub an frischem Denkmaterial ab. Somit können die zerstörten Gehirnzellen auch nicht ersetzt werden.
Heilungschancen
Die Eiweiß-Ablagerungen sind der Hauptangriffspunkt der Wissenschaft auf der Suche nach Alzheimer-Therapien. Im Tierversuch wurden bereits erfolgreich Impfstoffe getestet, die das Gehirn immun gegen das krank machende Beta-Amyloid machen sollen. Erste Anwendungen am Menschen mussten allerdings vor drei Jahren nach schweren Nebenwirkungen in Form von Gehirnhautentzündungen wieder gestoppt werden. Jetzt werden neue, sanftere Impfstrategien erforscht und erprobt. Diese passive Impfung, bei der Eiweiß-Antikörper gespritzt werden, wird Alzheimer-Patienten frühestens 2010 helfen können.
Hier finden Sie Hilfe
Welche Therapiemöglichkeiten, Alzheimer-Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen es gibt, kann man online unter www.alzheimer-selbsthilfe.at nachlesen. Außerdem tourt gerade eine mobile Beratung, der „Memory-Bus“, durch Österreich (www.memorybus.at).
Diese Initiative eines Pharmaunternehmens in Zusammenarbeit mit der Alzheimer Liga bietet Informationen und die Beratung durch Experten.
Dr. Regina Sailer
September 2006
Foto: Bilderbox, privat
Kommentar
Univ.-Prof. Dr. Josef Marksteiner
Innsbrucker Universitätsklinik für Psychiatrie