Plötzliche Zuckungen, zusammenhanglose Lautäußerungen oder obszönes Gestikulieren: Das Tourette-Syndrom ruft nicht nur bei Außenstehenden Verwunderung und Bestürzung hervor. Vor allem die Betroffenen selbst leiden unter ihren Tics. Warum Menschen am Tourette-Syndrom erkranken, ist noch nicht vollständig untersucht und bisher gibt es noch keine Heilung.
Beim Tourette-Syndrom (TS) handelt es sich um eine neuropsychiatrische Erkrankung, die nach dem französischen Arzt Georges Gilles de la Tourette benannt ist, der die Krankheit als Erster wissenschaftlich untersuchte. Charakteristisch für das Tourette-Syndrom ist das Auftreten von Tics. Dabei handelt es sich um meist unwillkürliche Bewegungen oder Laute, die sich plötzlich äußern. „Es gibt motorische und vokale Tics. Man spricht von einer vorübergehenden Ticstörung, wenn die Tics kürzer als zwölf Monate andauern und von einer chronischen Ticstörung, wenn sie länger auftreten“, sagt Dr. Franz Riederer von der Klinischen Abteilung für Allgemeine Psychiatrie an der Universitätsklinik für Psychiatrie in Wien. Die Tics lassen sich folgendermaßen einteilen:
Einteilung der Tics
- Einfache motorische Tics: Dazu zählen scheinbar bedeutungslose, schnelle Muskelzuckungen wie Kopfwerfen, Blinzeln, Mundzuckungen, Hand- und Fußbewegungen oder Naserümpfen.
- Komplexe motorische Tics: Sie geschehen bewusster und langsamer wie beispielsweise hüpfen oder klatschen, Augen nach oben rollen oder sich und andere Menschen berühren sowie Kleider zurechtzupfen.
- Einfache vokale Tics: Das sind rasche Laute wie quieken, bellen, räuspern, mit der Zunge schnalzen, das Nachahmen von Tiergeräuschen oder das Äußern von Lauten ohne Bedeutung wie „Hi“ oder „Ha“.
- Komplexe vokale Tics: Wiederholungen einzelner Wörter oder kurzer Sätze wie beispielsweise „Hör auf damit!“, „Halts Maul!“ oder „Jawohl!“.
Die meisten erkranken im Kindesalter
Die Bandbreite der Tics kann zusätzlich das Äußern von obszönen Wörtern oder die Ausführung obszöner Gesten enthalten. Auch wenn die Betroffenen eine gewisse Kontrolle über ihre Tics haben, so können sie deren Auftreten nur vorübergehend unterdrücken. Irgendwann nimmt der Drang überhand und das Zucken der Muskeln oder die Lautäußerungen machen sich bemerkbar. Vergleichbar ist dies mit dem natürlichen Bedürfnis zu Niesen oder einem Schluckauf. Vom Tourette-Syndrom betroffene Menschen erkranken meist zwischen sieben und zehn Jahren, immer jedoch vor dem 18. Lebensjahr.Die Tics treten vermehrt in stressigen Situationen auf und lassen bei Entspannung oder Konzentration auf eine bestimmte Sache nach.
3.500 Österreicher betroffen
Birgitt Urbanek, Vorstandsvorsitzende der Österreichischen Tourette Gesellschaft, schätzt, dass in Österreich 3.500 Personen betroffen sind. Charakteristisch für das Syndrom ist, dass mehr Männer als Frauen daran erkranken. „Das Tourette-Syndrom tritt beim männlichen Geschlecht viermal so häufig auf wie beim weiblichen Geschlecht“, so Urbanek. Betroffene weisen vielfach auch Zwangsstörungen, Depressionen oder Hyperaktivität (ADHS) auf.
Die Diagnose wird meist erst nach Jahren gestellt. Erkrankte leiden größtenteils stark unter dem Syndrom, denn die Tics rufen bei Außenstehenden Verwunderung und Unverständnis hervor. Manchmal fühlen sich andere Menschen auch beleidigt, gerade wenn es sich um Tics handelt, bei denen obszöne Wörter geäußert werden. Deshalb suchen TS-Patienten häufig Schutz in ihrer gewohnten Umgebung, bei Freunden oder der Familie. Für Erkrankte ist es wichtig, dass sie nicht auf ihre Tics reduziert werden, sondern dass die Person dahinter ernst genommen wird.
Was der Auslöser der Krankheit ist, ist nach wie vor nur teilweise erforscht. „Die genaue Ursache ist noch nicht bekannt. Es gibt einige Hinweise, dass eine Hirnstoffwechselstörung auf der Ebene der Neurotransmitter – das sind bestimmte Botenstoffe der Nervenzellen – vorliegt. Derzeit wird von den Botenstoffen Dopamin und Serotonin ausgegangen. Auch spricht man von einer stark genetischen Komponente“, erklärt Urbanek.
Medikamente und Verhaltenstherapie
Die Behandlung des Tourette-Syndroms richtet sich nach der Art der Erkrankung. Handelt es sich um vorübergehende Tics, so reicht die Aufklärung der Betroffenen mit dem Hinweis, die Tics möglichst nicht zu beachten. Bei einer chronischen Störung von mindestens einem Jahr können bestimmte Medikamente eingesetzt und eine Verhaltenstherapie empfohlen werden. „Neuroleptiker wie zum Beispiel Tiaprid unterdrücken die Tics“, so Riederer. Auf die Frage, ob das Syndrom heilbar ist, antwortet der Mediziner: „Heilbar nicht, aber man kann auf eine Linderung der Symptome durch die Therapie hoffen.“
Selbsthilfegruppe in Linz
In Linz gibt es eine Selbsthilfegruppe für Betroffene und Angehörige. Nähere Informationen dazu und über die Österreichische Tourette Gesellschaft gibt es im Internet unter www.tourette.at.
Mag. Birgit Koxeder
Dezember 2007
Foto: Bilderbox