Wenn der Sprössling viel kleiner ist als gleichaltrige Kinder. Wachstumsstörungen sind keine medizinische Rarität. Die Sorge, das Kind könnte kleinwüchsig bleiben, ist aber in den meisten Fällen unbegründet. Unterschiedliche Wachstumsmuster zeigen oft nur die große Bandbreite der Norm.
Von Geburt an wird der Mensch gewogen und vermessen – Wachstum ist ein wichtiges Zeichen für gesundes Gedeihen. Im ersten Lebensjahr wächst ein Kind etwa 18 bis 25 Zentimeter, wobei es sein Geburtsgewicht meist verdreifacht. In den ersten Lebensmonaten wachsen große Babys mitunter etwas langsamer, kleinere holen in der Regel durch schnelleres Wachstum auf. Bis zum zweiten Geburtstag vervierfacht ein Kind sein Gewicht und legt noch einmal rund 13 Zentimeter zu. Ab dem vierten, fünften Lebensjahr bis zum Beginn der Pubertät sollte es jährlich fünf bis sechs Zentimeter an Körperlänge dazugewinnen. Bei Mädchen ist mit Ende des 16. Lebensjahres das Wachstum abgeschlossen, Buben haben normalerweise mit Ende des 18. Lebensjahres ihre endgültige Körpergröße erreicht. Die Zielgröße ist ein Durchschnittswert, der aus den Körperlängen der Eltern errechnet werden kann, erklärt Univ.-Prof. Dr. Klaus Schmitt, ärztlicher Direktor und Leiter der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde an der Landes-Frauen- und Kinderklinik Linz. Die Faustformel: Vater + Mutter dividiert durch zwei, bei Buben + 6,5 Zentimeter, bei Mädchen – 6,5 Zentimeter. Nicht immer haben aber große Eltern auch große Kinder – die Gene der Großeltern können durchaus noch mitspielen.
Knochenreife
Das Wachstumspotenzial ist auch aus dem sogenannten Knochenalter ablesbar: Ein Zehnjähriger mit einer Knochenreife von zehn Jahren hat weniger Restwachstum zu erwarten als ein Gleichaltriger mit der Knochenreife eines Achtjährigen.
Die konstitutionelle Entwicklungsverzögerung von Wachstum und Pubertät kommt recht häufig vor. Mit etwa vier, fünf Jahren verlangsamt sich dabei die Wachstumskurve, die Knochenreife verzögert sich im Vergleich zum Alter, die Wachstumsfugen bleiben länger offen. Das Wachstumspotenzial besteht also weiter, so dass die Kinder später pubertieren, aber eine „normgerechte“ Körperlänge erreichen. Häufig waren auch die Eltern dieser Kinder Spätentwickler.
Ob ein Kind altersgemäß groß ist, lässt sich anhand der Perzentilenkurven überprüfen. Sie geben in Prozenträngen die statistische Verteilung der Körpergrößen von Altersgenossen an. Kleinwuchs liegt vor, wenn die Messwerte unter der dritten Perzentile liegen. Das bedeutet, dass 97 Prozent der Gleichaltrigen größer und nur 3 Prozent kleiner sind.
Familiärer Kleinwuchs, wo beide Eltern und womöglich Generationen davor klein, aber proportioniert gewachsen sind, ist so wie die Spätentwickler kein Krankheitsbild. Besondere Aufmerksamkeit ist hier jedoch geboten, weil auch genetisch bedingte Knochenwachstumsstörungen dahinterstecken könnten.
Gestörtes Knochenwachstum mit extrem verfrüht geschlossenen Wachstumsfugen liegt der Achondroplasie, einer sehr seltenen Krankheit, zugrunde. Betroffen sind die langen Röhrenknochen der Arme und Beine, die in Relation zu Kopf und Rumpf zu kurz ausgebildet sind.
Kleinwuchs ist Begleitsymptom vieler genetischer Erkrankungen beziehungsweise Chromosomendefekte. Dazu zählen das Prader-Willi-Syndrom, das Down-Syndrom und das Ullrich-Turner-Syndrom, das unter anderem auch mit einer Unterentwicklung der weiblichen Sexualorgane einhergeht. Es betrifft statistisch eines von 2.500 Mädchen. Extremer Kleinwuchs mit Endlängen um 125 Zentimeter ist ein Leitsymptom des Seckel-Syndroms. Diese Patienten sprechen aber teilweise recht gut auf eine Behandlung mit Wachstumshormonen an.
Hormonbehandlung
Das Wachstum des Kindes wird schon im Mutterleib beeinflusst. Mangelernährung beziehungsweise Essstörungen der Mutter, Alkohol und Nikotin, Bluthochdruck, schlecht eingestellter Diabetes, Nierenschäden oder eine Störung der Plazenta-Entwicklung können sich hemmend auf das Wachstum auswirken.
Erkrankungen des Kindes wie beispielsweise schwere Infektionen, Morbus Crohn, Zöliakie oder chronische Nierenerkrankungen stören den Knochenaufbau und müssen bei jedem Verdacht auf Kleinwuchs abgeklärt beziehungsweise behandelt werden. Weil die Schilddrüsenkontrolle zu den Standarduntersuchungen bei Neugeborenen gehört, sind Unterfunktionen als mögliche Auslöser von Wachstumsproblemen kaum zu übersehen. Auch schwere soziale Vernachlässigung behindert – nicht nur – das Körperwachstum. Ein Mangel an Wachstumshormonen oder gar totaler Produktionsausfall, etwa nach Strahlen- oder Chemotherapie, ist der klassische Anlass für eine Hormonbehandlung. Zu klein geborenen Kindern, die ihr Defizit nicht von allein aufholen, sowie Kindern mit chronischem Nierenversagen wird damit zu gesundem Wachstum verholfen. Je früher die Hormontherapie beginnt, desto größer ist der zu erwartende Erfolg. Das gentechnologisch hergestellte Hormon, das täglich unter die Haut gespritzt wird, entspricht exakt dem menschlichen Wachstumshormon und ist gut verträglich. Bei Kindern, die nach einem Hirntumor mit Entfernung der Hypophyse den Ersatz von Wachstumshormonen brauchen, ist keine erhöhte Tumorrückfallrate zu beobachten, betont Univ.-Prof. Schmitt. Eine Altersgrenze nach unten gibt es nicht. Die Ersatztherapie beginnt meist um das zweite Lebensjahr, weil ein Hormonmangel selten früher diagnostiziert wird. Bei ausreichender körpereigener Restproduktion von Wachstumshormonen ist die Therapie nach Erreichen der Zielgröße abgeschlossen. Ansonsten muss der Körper lebenslang mit niedrigen Hormongaben weiter unterstützt werden, um die Stoffwechselfunktionen zu sichern.
Von der Körperlänge ganz abgesehen sollten kleinwüchsige Menschen der Welt ruhig in Augenhöhe begegnen. Denn die Statur allein sagt nichts darüber aus, wer im Leben zu den Größten gehört.
Steuerzentrale des Wachstums
Im Gehirn sitzt die Steuerzentrale der Wachstumshormone. Der Hypothalamus aktiviert Botenstoffe, die der Hirnanhangdrüse (Hypophyse) die Freigabe des Wachstumshormons Somatotropin befehlen.
Schilddrüsenhormone sind für das Wachstum ebenfalls wichtig. Pubertätshormone sind für den Wachstumsschub in dieser Lebensphase verantwortlich. Das Hormon IGF-1 (Insulin-like growth factor 1) wird von der Leber freigesetzt. Jeder Ausfall dieser Hormone führt unbehandelt zu einem schweren Wachstumsdefizit. Lebenslang erfüllen die Wachstumshormone aber auch wichtige Stoffwechselaufgaben.
Körpergröße im Vergleich
Die so genannte Perzentilenkurve ist die einfachste Möglichkeit herauszufinden, ob ein Kind oder Jugendlicher für sein Alter zu klein ist. Dazu trägt man die jeweilige Körpergröße beim entsprechenden Alter ein und kann ablesen, auf welcher Perzentile der Wert liegt. Ein Platz auf der zehnten Perzentile beispielsweise bedeutet, dass 90 Prozent der Gleichaltrigen des selben Geschlechts größer sind und zehn Prozent gleich groß oder kleiner. Liegt der Wert auf der 50. Perzentile, so heißt das, dass das Kind oder der Jugendliche genau die Durchschnittsgröße seines Jahrgangs erreicht hat. Medizinischen Abklärungsbedarf gibt es, wenn die Körpergröße unter der dritten Perzentile liegt.
Klaus Stecher
März 2009
Foto: Shutterstock, privat
Kommentar
„Wichtig ist nicht nur der laufende aktuelle Messwert, sondern vielmehr
der Langzeitverlauf der Wachstumskurve. Ab dem fünften Lebensjahr ist
jede Wachstumsrate unter vier Zentimeter pro Jahr höchst auffallend. Da
muss unbedingt reagiert werden.“
Univ.-Prof. Dr. Klaus Schmitt
Ärztlicher Direktor, Leiter der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde, Landes-Frauen- und Kinderklinik Linz