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Schmerzen im Alter

Schmerzen im AlterBis zu 80 Prozent der älteren Bevölkerungsgruppe in Österreich leiden an chronischen Schmerzen. Viele betagte Menschen sind nach wie vor ohne geeignete Schmerztherapie.

Die Österreichische Schmerzgesellschaft (ÖSG) schlägt Alarm: „Vier von fünf Menschen über 60 Jahre sind betroffen.“ Laut dem Salzburger Schmerzforscher Univ.-Prof. Dr. Günther Bernatzky sind Senioren die am häufigsten von Schmerzen betroffene Bevölkerungsgruppe. Verschiedene Studien aus ganz Europa berichten von geradezu epidemischen Schmerz-Ausmaßen bei Senioren, teilweise wird von bis zu 90 Prozent berichtet.

Senioren schlecht versorgt

Alte Menschen sind schmerzmedizinisch nicht optimal versorgt, viele erhalten keine adäquate Schmerztherapie. „Mit zunehmendem Alter sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass man Schmerzmittel bekommt", sagt Bernatzky. Bei Heimbewohnern oder dementen Menschen ist die Chance, eine passende Schmerztherapie zu erhalten, noch geringer als bei Senioren, die daheim betreut werden, erklärt der Wissenschafter.

Vielfältige Schmerzursachen

Die Ursachen für Schmerzen im Alter sind vielfältig:

  • Erkrankungen des Bewegungsapparates
  • neuropathische Schmerzen
  • Schmerzen, die mit einem Tumorleiden in Zusammenhang stehen.


Vor allem rheumatische Schmerzbilder und Gelenksschmerzen bereiten Probleme. Weitere Beschwerdebilder, die Schmerzen mit sich bringen: Arterielle Verschlusskrankheit, Angina pectoris, Osteoporose, Parkinson. Mehrfacherkrankungen führen häufig zu allgemeiner Immobilität und sind somit Schmerz verstärkend. Die gute Nachricht: Die Häufigkeit von Kopfschmerzen nimmt im Alter deutlich ab.

Schmerz muss nicht sein

Immer noch ist die Ansicht weit verbreitet, Schmerz und Alter seien untrennbar miteinander verbunden und Schmerzen daher unvermeidlich. Diese Einschätzung ist angesichts der heute verfügbaren Möglichkeiten der Schmerzmedizin nicht pauschal zutreffend. Zwar bedeutet Schmerztherapie in den meisten Fällen nicht Schmerzheilung, sondern „nur“ Schmerzlinderung, dennoch wäre eine unterlassene Behandlung aus Sicht der ÖSG nicht akzeptabel. „Auch alte Menschen haben ein Anrecht auf Schmerztherapie. Schmerzen müssen nicht sein“, sagt Bernatzky.

Schmerzen erkennen und ausdrücken

Ein Grundprinzip der Schmerzbeurteilung heißt: Einzig und allein der Patient weiß, wie stark der Schmerz wirklich ist. Allerdings ist es alten Menschen oft nicht möglich, ihre Schmerzen zu beschreiben. Um Schmerzen angemessen behandeln zu können, müssen diese von den Ärzten erkannt bzw. von den Betroffenen geäußert werden. Dieses notwendige Ausdrücken der Schmerzen ist bei alten Menschen aber nicht immer möglich, denn die kognitiven Fähigkeiten nehmen ab. Mimik, Sprache und Körpersprache sind reduziert. Das macht es für Ärzte und Pfleger schwierig, Schmerzen richtig zu diagnostizieren.

Ein weiteres Hemmnis, Schmerzen adäquat auszudrücken, ist eine ablehnende Haltung gegenüber Betreuern. „„Manche Menschen wollen ihren Schmerz nicht zeigen, etwa weil sie vor dem Arzt nicht jammern wollen. Deshalb kommt der Zusammenarbeit mit Angehörigen und Pflegepersonal bei der Schmerzbeurteilung große Bedeutung zu“, betont Bernatzky.

Mehr als 50 Prozent aller Heimbewohner leiden an Demenz und anderen neuropsychiatrischen Krankheitsbildern. Dies erschwert die Schmerzevaluierung zusätzlich.

Schmerzwahrnehmung im Alter

Entgegen früherer Annahmen geht man heute davon aus, dass sich die Schmerzschwelle im fortgeschrittenen Alter nicht ändert und dass von einer geringeren Schmerzempfindung im Alter nicht gesprochen werden kann. Alte Menschen erleben Schmerzen aber anders als junge. Sie haben sich aufgrund eines oft jahrelangen Leidensweges bestimmte Strategien im Umgang damit entwickelt. „Viele sehen ihre Schmerzen auch als gottgewollt an, als ihr Schicksal, das sie zu erdulden haben“, so Bernatzky.

Körper und Seele

Seelisches Leid aufgrund von Depression, Angst, Verzweiflung oder Einsamkeit beeinflusst die Schmerzwahrnehmung und Verarbeitung ganz entscheidend. „Fast jeder zweite Patient führte in einer Studie an, traurig und niedergeschlagen zu sein“, so Bernatzky.

Seelisches Leid kann sich also in Schmerzen ausdrücken. Aber auch umgekehrt gilt: Schmerzen führen zu seelischem Leid. Insbesondere chronische Schmerzen führen dazu, dass Betroffene leidend, missmutig oder sogar depressiv werden. So zeigen ältere Schmerzpatienten oftmals eine negative Einstellung zum Alter, sind häufig niedergeschlagen, pessimistisch und können alltägliche Probleme schlecht bewältigen.

Eine Depression kann also Schmerzen mit sich bringen, ebenso wie Schmerzen eine Depression mit sich bringen können. Besteht eine solche Verquickung von Depression von Schmerzen über Jahre hinweg, lässt sich die Frage nach Ursache und Wirkung kaum mehr beantworten. Eine erfolgreiche Therapie muss sich mit beiden Seiten der Medaille befassen.

Darüber hinaus treten häufig beim Eintritt ins Altersheim emotionell bedingte Schmerzen auf. „Der Verlust der gewohnten Umgebung, das Gefühl abgeschoben und nicht mehr gebraucht zu werden, kann die Schmerzempfindung verstärken“, sagt Bernatzky.

Multimodale Therapie

Im Prinzip ist die Behandlung chronischer Schmerzsyndrome im Alter gleich wie bei jungen Patienten, jedoch unter Beachtung der Besonderheiten des Alters. Eine adäquate Therapie besteht oft aus einem Bündel an Maßnahmen. „So können etwa psychosoziale Maßnahmen nötig sein, Medikamente, Physiotherapie oder operative Eingriffe. Auch Naturheilverfahren und die Vermittlung psychologischer Techniken zur Schmerzbewältigung können helfen. Es geht nicht darum, den Schmerz stets völlig zu beseitigen, sondern ihn auf ein für den Patienten individuell erträgliches Maß zu reduzieren“, so Bernatzky.

Medikation schwierig

Die Medikation bei betagten Menschen gestaltet sich oft schwierig, weil diese häufig unter mehreren chronischen Erkrankungen gleichzeitig leiden. Die Angst vor Nebenwirkungen und Abhängigkeit ist mitunter groß. Bernatzky: „Viele verweigern Opioid-Analgetika aus Angst vor einer Suchtentstehung. Dazu besteht in den meisten Fällen aber kein Grund, weil wir heute wissen, dass es bei einer adäquaten Opioidtherapie in fast keinen Fällen zu einer psychischen Sucht kommen kann.“

Diese Ängste, aber auch mangelnde Mobilität oder einfach die fehlende Fingerfertigkeit um eine Medikamentenpackung zu öffnen, führen häufig zum vorzeitigen Abbruch oder zu einer nicht konsequenten Durchführung einer Schmerztherapie.

Frühzeitig zum Arzt

Alte Menschen haben auch deshalb Schmerzen, weil sie in jüngeren Jahren nichts gegen ihre Schmerzen getan haben. „Sitzt etwa ein junger Mensch mit Schmerzen am Schreibtisch und ändert dennoch nicht seinen Lebensstil, dann wird er auch später starke Schmerzen haben. Eine unterlassene Vorsorge rächt sich im Alter", warnt Bernatzky.

Generell gilt: Wer an Schmerzen leidet, sollte möglichst frühzeitig zum Arzt gehen. Schon nach wenigen Wochen können Schmerzen nämlich chronisch, also dauerhaft werden. Umso länger man mit einer Behandlung zuwartet, umso schwieriger wird die Behandlung und die Chancen, jemals wieder gänzlich schmerzfrei zu werden, sinken.

Dr. Thomas Hartl

Februar 2011


Foto: Bilderbox

Zuletzt aktualisiert am 11. Mai 2020