Die Zahl der Lebendspender soll gesteigert werden. Mediziner träumen von nachwachsenden Nieren, Tieren als Herzspender und geklonten Organen. Praktiker sorgen sich angesichts des steigenden Bedarfs um die Versorgung mit Spenderorganen. Die Organtransplantation wagt derzeit einen weiten Spagat zwischen Wunsch und Wirklichkeit.
Es hat was Frankensteinhaftes. Im Jahr 1902 transplantiert der österreichische Mediziner Emerich Ullmann eine Niere in den Nacken eines Hundes. Die Urinproduktion hält über fünf Tage an, bricht dann aber zusammen. Die Geschichte mutet gruselig an, mit ihr wurde aber der Grundstein für eine der erfolgreichsten medizinischen Disziplinen überhaupt gelegt. Im Jahr 2005 leben weltweit etwa eineinhalb Millionen Menschen mit Spenderorganen. Herz, Lunge, Leber, Augen-Hornhaut, Zungen, ja sogar ganze Hände wurden bereits erfolgreich transplantiert. Grenzen setzen nur die Abstoßungsreaktionen des Körpers und ethische Bedenken.
Das grundlegendste Problem ist simpel: Immer mehr Patienten verlangen nach immer mehr Spenderorganen. Doch woher nehmen? Walter Rettenegger stand vier Jahre auf der Warteliste für eine Spenderniere, als 1996 endlich der erlösende Anruf kam. „Die Transplantation war mein Lotto-Sechser“, sagt er heute. Täglich bis zu vier Stunden an der Dialysemaschine, die permanente Müdigkeit, die rätselhaften Schmerzen — alles mit einem Schlag vorbei. Rettenegger kann wieder tun, was er schon immer getan hat: Sport betreiben — und gewinnen. 12 Medaillen hat er bei den letzten drei Welt-Winterspielen für Transplantierte geholt, jeweils die Goldene in den Disziplinen Parallelslalom, Slalom, Riesentorlauf und Super -G. Diesen Sommer gewinnt das österreichische Team des Sportvereins der Transplantierten mit Rettenegger als Obmann sieben Medaillen bei den Sommerspielen der Transplantierten in Kanada.
Vier der Sportler mit Spendernieren, vier mit Spenderherzen. Ein Teil eines fremden Menschen ist ihnen zum eigenen Körperteil geworden und hat diese Leistungen möglich gemacht. Ein auch in der Medizin einzigartiges Prinzip — nur denkbar durch die Überwindung aller genetischen Codes.
Medizinische Revolution
Eine Organtransplantation ist die Übertragung von Organen von einem Menschen auf einen anderen. In den 50er Jahren zum ersten Mal gelungen, sind Organtransplantationen heute Alltag in den Kliniken. Alleine in Österreich bekamen 2004 insgesamt 700 Menschen Spenderorgane. Nierentransplantationen haben dabei den größten Anteil. Seit 1965 sind in Österreich über 8200 Spendernieren, etwa 1400 Herzen und über 600 Lungen eingesetzt worden. Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, ist doch das Immunsystem unseres Körpers so programmiert, dass es ein Organ eines fremden, genetisch also nicht identen Menschen, als Störfaktor erkennt und bekämpft. Diese Abstoßungsreaktion, die mit einem Organverlust endet, war die größte Hürde, die es in der Geschichte der Transplantationschirurgie zu überwinden galt. 1954 überträgt schließlich der Bostoner Chirurg Joseph Murray eine Niere zwischen zwei eineiigen Zwillingen. Ein voller Erfolg. Seither ist klar: Transplantationen sind nur möglich, wenn Spender und Empfänger in ihrem genetischen Code weitgehend ident sind oder wenn die Abstoßungsreaktionen unterdrückt werden können.
Zweiteres sollte die Medizin noch vor große Probleme stellen. Ganzkörperbestrahlung und diverse Medikamente erwiesen sich als einfach zu aggressiv. Nach und nach gelang es, die Immunreaktion herunterzudrücken — mit dem Preis, dass das gesamte Immunsystem geschwächt wurde und die Patienten Infektionen beinahe hilflos ausgeliefert waren. Selbst die weltweit erste Herztransplantation wurde davon überschattet. Am 3. Dezember 1967 setzt Christiaan Neethling Barnard in Kapstadt einem 54-jährigen Mann das Herz einer 24-jährigen Frau ein, die bei einem Verkehrsunfall getötet worden war. Das Herz beginnt zu schlagen und es schlägt volle 17 Tage weiter. Dann stirbt der Patient an einer beidseitigen Lungenentzündung. Die Lösung bringt ein Pilz aus Norwegen. Sein Wirkstoff hemmt die weißen Blutkörperchen, die für die Erkennung und Bekämpfung von Fremdstoffen im Organismus zuständig sind. Die Abstoßung eines Spenderorgans wird so verhindert. Die Revolution ist geschafft. 1979 erstmals eingesetzt, ist Ciclosporin seither in der Transplantationsmedizin nicht mehr wegzudenken.
Tod auf der Warteliste
Das Leben, das vielen Patienten durch eine Organspende neu gegeben wurde, ist ein geborgtes. Auch bei besonders gut übereinstimmenden Spenderorganen sind Transplantierte dazu verurteilt, ihr Leben lang Medikamente zu nehmen, um Abstoßungsreaktionen zu unterdrücken. Auch heute begünstigt die schwächere Immunabwehr Infektionen, zusätzlich können andere Krankheiten wie Diabetes oder Bluthochdruck ausgelöst werden. Besonders schwerwiegend ist das deutlich höhere Risiko, an Krebs zu erkranken. Es gilt also, die Toleranz beim Organempfänger zu erhöhen. „Die ganze Welt arbeitet daran“, sagt Professor Raimund Margreiter, Österreichs Pionier in der Transplantationsmedizin. „Vor allem versuchen wir, weniger Medikamente zu verwenden“, so Margreiter. Tatsächlich hat eine Untersuchung im AKH Wien bewiesen, dass Spenderorgane weiter funktionieren, auch wenn das Medikament Ciclosporin A nach drei Monaten abgesetzt wird. Ein Ausweg wäre, dem Patienten Knochenmark vom selben Spender zu transplantieren und so die Immunabwehr gleichsam umzuprogrammieren. Die massive Vorbehandlung, die dafür notwendig ist, kann aber nicht jedem Patienten zugemutet werden. Das gemeinsame Ziel aller Mühen: die Zahl der Re-Transplantationen, also wiederholter Transplantationen der selben Organe, gegen null zu drücken. So würden mehr Organe für andere Patienten zur Verfügung stehen.
Knapp tausend Menschen stehen derzeit in Österreich auf der Warteliste für eine Transplantation. Etwa 150 von ihnen müssen Jahr für Jahr gestrichen werden, ohne die rettende Operation zu erleben. Zwischen 10 und 20 der Patienten sterben, weil es zu wenige passende Herzen oder Lebern gibt – und das obwohl Österreich mit 22 pro einer Million Einwohner eine der höchsten Spenderraten und eines der modernsten diesbezüglichen Gesetze weltweit hat. Zur idealen Versorgung wären aber 30 Organspender pro einer Million Einwohner nötig. „Ganz zu verhindern ist der Tod auf der Warteliste durch die geringere Lebenserwartung der Patienten nicht, gibt Prof. Margreiter zu bedenken, „aber wir wollen auf unter 5 Prozent kommen.“ Die Gründe für den Organmangel sind höchst verschieden. Einerseits gibt es weniger tödliche Verkehrsunfälle und somit weniger frisch verstorbene Organspender. Gleichzeitig steigt der Bedarf. Durch die schlechte finanzielle Abgeltung „vergessen“ viele Spitäler auf die organisatorisch aufwändige Organentnahme, obwohl sie rechtlich möglich wäre.
Spender auf Widerruf
Österreich hat nämlich eines der modernsten Gesetze weltweit. Es gilt die Widerspruchsregelung. Das bedeutet: Organe können von hirntoten Patienten prinzipiell entnommen werden, sofern die Organe nicht angegriffen sind und die Patienten nicht zu Lebzeiten ausdrücklich ihr Nein zu einer Organentnahme in einem Widerspruchsregister beim Österreichischen Bundesinstitut für Gesundheitswesen deponiert haben. Im Zweifelsfall, also etwa bei Widerstand der Angehörigen, verzichten die Ärzte in der Regel auf Organentnahmen. Die Leichenspende hat Vorteile: Die Organe eines Toten können für mehrere Patienten verwendet werden, während bei der Lebendspende etwa einer Niere ein gesunder Mensch die Gefahren einer Operation auf sich nehmen muss. Dennoch: „Wir müssen die Zahl der Lebendspender steigern, damit genügend Organe da sind“, meint Professor Margreiter.
Lebendspender fehlen
Während in Schweden, Norwegen oder Griechenland der Anteil an Lebendspenden zwischen 36 und 58 Prozent liegt, grundelt er in Österreich bei 8 Prozent herum. Und das, obwohl mit Niki Lauda und Christine Vranitzky zwei Prominente von Bruder beziehungsweise Ehemann eine Niere geschenkt bekommen haben. „Es ist eine Frage der Einstellung. Die Spende einer Niere ist doch so gut wie komplikationslos“, sagt Prof. Margreiter. „Ich sage den Kollegen stets, dass sie die Familienmitglieder immer über die Möglichkeit einer Lebendspende aufklären sollen.“ Transplantationen von Nieren, Leber– und Lungenteilen von Lebendspendern verlaufen wegen der Gewebsähnlichkeit zwischen Verwandten und der geringen Zeitspanne zwischen Organentnahme und Übertragung besonders erfolgreich. Der wohl größte Vorteil: die in der Regel jahrelangen Wartezeiten auf ein passendes Organ entfallen. Beim jüngsten Kongress der Transplantation Society im September in Wien kamen die Experten auch auf das Gruselthema Organhandel zu sprechen. „Wenn man den Organhandel legal machen würde, könnte man den Schwarzhandel untergraben“, sagt etwa Dr. Janet Radcliffe-Richards vom University College in London.
Noch konkreter wurde ihr Schweizer Kollege Prof. Gilbert T. Thiel vom Kantonsspital Basel. Er schlägt vor, einem Nierenspender etwa 50.000 Dollar zu zahlen - das entspricht den Kosten von einem Jahr Dialyse. „Auszahlen sollte man den Betrag in jährlichen Raten, was gleichzeitig mit einer Untersuchung verknüpft werden könnte“, so Thiel. Nicht nur hier schrammt die Transplantationschirurgie an ethischen Grenzen entlang. Wenn Prof. Margreiter sagt, dass „die chirurgischen Probleme der Transplantationsmedizin weitgehend als gelöst zu betrachten sind“, so gilt das für die moralischen keineswegs. Denn: Wo aufhören, wenn nahezu alles transplantiert werden kann? „Was ist, wenn jemand Hoden oder Eierstöcke transplantiert bekommt?“ fragt Prof. Margreiter. „Dann ist ja der eigentliche Vater oder die Mutter der oder die Spenderin.“ Oder gar eine Ganzkörpertransplantation bei extrem hoher Querschnittlähmung, bei der wegen Infektionen auch die Nierenfunktion versagt und andere schwere Schäden dazukommen? „Da ist die Grenze bereits weit überschritten“, so Margreiter. Der Innsbrucker Chirurg hat persönlich dazu beigetragen, die Transplantationstechnik immer weiter auszureizen.
1979 gelingt ihm die erste erfolgreiche Lebertransplantation Österreichs, 1983 die erste Herzimplantation und zwei Jahre später die erste Herz–Lungen-Verpflanzung. International berühmt wird Margreiter durch die weltweit erste kombinierte Leber-Nieren-Transplantation 1983 und Multiorganverpflanzung 1989. Ein spektakulärer Erfolg ist es auch, als es seinem Team gelingt, dem Briefbombenopfer Theo Kelz aus Kärnten zwei völlig neue Hände zu transplantieren – weltweit erst die zweite Operation dieser Art. So innovativ Margreiter in Sachen Technik ist, so zurückhaltend ist er auf anderen Gebieten: Xenotransplantation und therapeutisches Klonen.
Organe in Serienproduktion
Noch ist das menschliche Ersatzteillager eine Vision, doch weltweit arbeiten Forscher daran, vom begrenzten Angebot an Spenderorganen unabhängig zu werden. Das Ziel des therapeutischen Klonens ist die Züchtung von körpereigenem Zellmaterial. Dadurch könnten sämtliche Abstoßungsreaktionen vermieden werden. Bei dieser Methode wird Erbgut des Patienten in eine Eizelle eingebracht, die sich zu teilen beginnt. Die daraus entstehenden embryonalen Stammzellen könnten je nach Funktion differenziert und dann wieder in den Patienten eingebracht werden. Genau diese Differenzierung ist aber noch nicht gezielt steuerbar und von selbständig wachsenden Organen kann noch gar keine Rede sein. Von ethischen Bedenken ganz zu schweigen. Prof. Margreiter ist skeptisch: „Irgendwo hat man auch die Natur zu respektieren. Ich hätte große Bedenken.“ Das gilt wohl auch für Forschungstrend Nummer zwei, die Xenotransplantation, also die Übertragung von Tierorganen auf Menschen. Schweine gelten als besonders geeignet. Größtes Problem sind auch hier die Abstoßungsreaktionen, was gemeinsam mit dem Risiko, artfremde Viren auf den Menschen zu übertragen, ein hübsches Bündel an Hindernissen ergibt. Bisher sind die Forscher über ein paar Wochen, die Testaffen überleben konnten, nicht hinausgekommen. Doch Pharmakonzerne wie Novartis buttern Milliardenbeträge in die Forschung und wollen Ergebnisse sehen. Die ersten klinischen Tests dürften nicht allzu weit entfernt sein, zumal es Biotechnologen jetzt geglückt ist, Minischweine zu züchten, denen die für die menschliche Immunreaktion verantwortlichen Moleküle komplett fehlen. Prof. Margreiter kann nur warnen: „Diese Tiere leben nicht lange. Zudem findet die Natur immer neue Wege, Abstoßungsreaktionen zu starten, auch wenn sie vielleicht nicht gleich auftreten.“
Und Margreiter wagt eine Prognose: „Solange ich noch arbeite, also vier bis fünf Jahre, wird es keine Xenotransplantation geben.“ Andere Kollegen sind optimistischer und träumen bereits vom verbesserten Menschen. Walter Rettenegger hat die nächsten Medaillen im Visier, die er mit dem Team der „Austrian Transplant Sports Federation“ holen möchte. Sich die Gewandtheit etwa einer Gämse auf der Piste zu wünschen, käme ihm nicht in den Sinn. Er ist froh, mit seiner neuen Niere einfach wieder normal leben und Ski fahren zu können. „Es ist ein Geschenk, das will man sich nicht ruinieren“, sagt er – und Prof. Margreiter wird dazu wohl nur nicken können.
Fritz Kalteis
September 2008
Foto: deSign of Life, privat
Kommentar
Univ.-Prof. Dr. Raimund Margreiter
Leiter der klinischen Abteilung für Allgemein- und Transplantationschirurgie der Universitätsklinik Innsbruck