Entstehung
Eine Phonophobie entsteht als Reaktion auf ein Geräusch, das mit einer negativen Erfahrung verbunden ist. Zunächst wird das betreffende Geräusch lediglich als unangenehm empfunden. Im weiteren Verlauf entwickelt sich eine immer stärker werdende Überempfindlichkeit, sodass die Toleranzgrenze zunehmend sinkt. Die Phonophobie ist somit eine konditionierte (erlernte) Angstreaktion, wobei die Empfindlichkeit nicht vom Frequenzspektrum der Klänge, sondern von der persönlichen Bedeutung und Bewertung (Ablehnung) beeinflusst wird.
Störende Geräusche
Betroffene reagieren nur auf einige bestimmte, mit speziellen negativen Erfahrungen verbundene Geräusche überempfindlich. Mit im Spiel ist stets eine Aversion gegen diese Geräusche. Diese Abneigung könnte man als eine Art emotionale Allergie beschreiben und damit einhergehend eine Angst vor diesen Geräuschen. Es geht weniger um die Lautstärke, als vielmehr um die gefühlte Störung. So kann das Geklimper der Tastatur am Nachbarschreibtisch oder das Klingeln des Telefons derart stören, dass die Arbeitsfähigkeit darunter leidet.
Menschen mit Phonophobie können auch Angst vor den Gegenständen oder Personen entwickeln, die die gefürchteten Geräusche verursachen könnten. Etwa Angst vor Baumaschinen, Kinderstimmen (z.B. Kindergartenpädagoginnen), vor dem Nachbarn, der stets die Musik zu laut stellt. Die Angst bezieht sich also nicht nur auf den tatsächlichen „Lärm“, sondern auch auf den, der eintreten könnte.
Fremdbestimmte Geräusche stressen
Besonders bedrückend erlebt man die Situation, wenn man diesen Geräuschen hilflos ausgeliefert ist. „Das Schlimmste dabei ist, wenn man sich gegen die Geräusche nicht wehren kann, wenn man sie fremdbestimmt erdulden muss“, sagt Prof. Dr. Gerhard Goebel, ehemaliger Chefarzt und nunmehriger Berater der Schön Klinik Roseneck, Prien am Chiemsee (Klinik für Psychosomatik, Verhaltenstherapie und Psychiatrie). Die Symptom auslösenden Geräusche werden hier bereits bei geringster Lautstärke als störend empfunden.
Flucht und Vermeidung
Die Folge der Angst sind Vermeidungsstrategien bis zu Fluchtreaktionen. In schweren Fällen wechseln sie sogar Beruf oder Wohnort. Ist das nicht möglich, schützen sie sich häufig mit Ohrstöpseln. Werden sie von einem gefürchteten Geräusch überrascht, verlassen sie fluchtartig den Ort.
Seelische Ursachen
Hintergrund dieser Störung sind oft seelische Konflikte oder Überforderungen, wie etwa unlösbar erscheinende Partnerschaftskonflikte, Lebenssituationen, die ausweglos erscheinen; manche Geräusche basieren auf bedrohlichen Kindheitserinnerungen, die nicht bewusst sind. „Phonophobie ist Ausdruck einer seelischen Erkrankung. Diese Menschen sind meist überaus sensibel und empfindsam und leiden zusätzlich häufig an Depressionen oder an verschiedenen Angststörungen“, so der Facharzt für Innere Medizin und psychotherapeutische Medizin.
Körperliche Symptome
Mittels Biofeedback lassen sich die körperlichen Symptome gut beobachten: Der Puls steigt, ebenso der Blutdruck, Muskeln spannen sich an. Auch Angstschweiß, starker Stimmungsabfall und Schwindelgefühle sind möglich. Im Extremfall kann sich die Angst zu einer Panikattacke steigern.
Ausweitung zur Hyperakusis möglich
Die Phonophobie erfasst nur die Angst vor bestimmten Geräuschen. Andere Geräusche, etwa die persönliche Lieblingsmusik, kann man selbst in großer Lautstärke genießen. Von der Phonophobie abzugrenzen ist eine generelle Geräuschüberempfindlichkeit, sie wird Hyperakusis genannt.
Beide Störungen können auch gleichzeitig bestehen. Besteht Phonopobie unbehandelt über Jahre hinweg, besteht die Gefahr, dass sie sich zu einer generellen Störung (Hyperakusis) ausweitet, wobei man dann mit der Zeit fast jedes Geräusch ablehnt und zu fürchten beginnt und selbst leise Töne (das Surren eines Computers, das ferne Rauschen einer befahrenen Straße) massiv stören können. Steigt die emotionale Empfindlichkeit, kann selbst das Ticken einer Uhr zum Problem werden.
Nicht selten werden im Verlauf der Phonophobie und Hyperakusis Ohrgeräusche (Tinnitus) hörbar. Etwa ein Drittel der Tinnitus-Betroffenen geben laut Goebel vor Auftreten ihres Tinnitus eine Geräuschempfindlichkeit an.
Psychotherapie
Leidet man erheblich an diesem Problem, ist man verzweifelt oder auch deprimiert, sollte an eine Psychotherapie gedacht werden. Konfrontationstherapie und kognitive Verhaltenstherapie gehören zu den am meist verbreiteten Therapieformen. Hier bekommt der Patient erklärt, was eine Phonophobie ist und wie sie sich auswirkt. Das erregte emotionale System soll sich durch die Gespräche beruhigen. Ziel einer Therapie ist es auch, das dahinter stehende seelische/emotionale Problem zu finden und den Konflikt zu lösen.
Auch am Verhalten des Patienten wird gearbeitet. Er wird Schritt für Schritt an die gefürchteten Situationen (zuerst mental) herangeführt, um sich dann mutprobenartig der „Gefahr“ (den Geräuschen) in der Praxis zu stellen. Dabei geht der Patient optimalerweise selbst auf die Situation zu, setzt sich also absichtlich den vorher gemiedenen Situationen aus. „Kann auch der dahinter stehende Konflikt gelöst werden, bestehen gute Chancen auf völlige Beschwerdefreiheit“, weiß Goebel aus seiner langen Erfahrung.
Medikamente
In Kombination mit Psychotherapie kommen Antidepressiva vor allem dann zum Einsatz, wenn sich der Betroffene in einer Negativspirale befindet; zu einer Phonophobie gesellen sich in schweren Fällen nämlich Schlafstörungen und fallweise auch Depressionen, weitere Angststörungen und mitunter auch Schmerzstörungen. Der Einsatz von Trizyklischen Antidepressiva ist in solchen Fällen sinnvoll und hilfreich.
Keine Flucht in die absolute Stille
„Man sollte nicht die absolute Stille suchen, denn das Gehirn will irgendetwas hören. Werden alle herkömmlichen Geräusche eliminiert, macht sich das Gehirn quasi auf die Suche nach immer leiseren Geräuschen“, erklärt Goebel. Das bewirkt eine immer stärkere Fokussierung auf jede Art von Geräusch und folglich eine immer empfindsamere Wahrnehmung von Tönen. In den Wohnräumen sollte daher nicht „Totenstille“ herrschen, sondern leise Musik oder das Plätschern des Wassers eines Zimmerbrunnen zu hören sein.
Man sollte sich selbst „nicht verwöhnen“ in dem Sinn, dass man jedem gefürchteten Geräusch aus dem Weg geht. Ziel ist es, toleranter zu werden gegenüber den abgelehnten akustischen Reizen. Nötig dafür ist ständige Übung. „Man sollte keine Ohropax oder ähnliches verwenden und Geräusche nicht vermeiden“, rät Goebel. Angst lebt von der Vermeidung, und bei der Angst vor Geräuschen trifft das ebenso zu.
Mehr Infos unter http://www.tinnitus-liga.de und http://www.oetl.at/
Dr. Thomas Hartl
Februar 2014
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