Die Wirbelsäule spielt sozusagen eine tragende Rolle – sie verbindet den Kopf, den Rumpf und das Becken miteinander. Und sie umhüllt das Rückenmark, das im Wirbelkanal liegt. 24 Wirbel sind über Bandscheiben verbunden, die restlichen sind zum Kreuz- und zum Steißbein verwachsen. Jeder Wirbel besteht aus einem Wirbelkörper, daran anschließend befindet sich der knöcherne Wirbelbogen.
Verschiebt sich nun ein Wirbel horizontal gegenüber dem nächsten, spricht der Mediziner von einer Spondylolisthesis – besser bekannt als Wirbelgleiten. „Meistens sind der Bereich zwischen dem 4. und dem 5. Lendenwirbelkörper und das Kreuzbein von einem Gleitwirbel betroffen“, erklärt Dr. Alfred Olschowski, Leiter der Abteilung Neurochirurgie an der Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg in Linz. „Natürlich ist ein Gleitwirbel nicht lebensbedrohlich. Er kann aber unangenehme Folgen wie Schmerzen, Gefühls- und Gehstörungen oder sogar Lähmungserscheinungen nach sich ziehen“, so Olschowski. Ursachen für ein Wirbelgleiten gibt es mehrere. Schon Kinder können einen Gleitwirbel haben. „Von diesem sogenannten dysplastischen Wirbelgleiten sind vor allem Mädchen betroffen“, sagt der Experte. „Bei dieser eher seltenen Form handelt es sich um einen Anlagefehler.“ Auch die „isthmische Form“ ist angeboren. „Sie tritt ab einem Alter von zehn Jahren auf. Bei dieser Form fehlt der Wirbelbogenschluss. Der entstandene Spalt verursacht das Wirbelgleiten“, so der Neurochirurg.
Neben diesen angeborenen Formen des Gleitwirbels gibt es noch jene, die man sich quasi selbst eingebrockt hat oder die schlichtweg eine Alterserscheinung ist. Dr. Olschowski: „Die Pseudospondylolisthese, also die degenerative Erkrankung der Lendenwirbelsäule, entsteht durch jahrelange Belastung oder durch Abnützung. Dadurch kann sich die Form der oberen und unteren Wirbelgelenke verändern, die Wirbelkörper verschieben sich meistens nach vorne.“ Äußerst selten wird eine Spondylolisthesis durch Tumore, Entzündungen oder Verletzungen verursacht.
Eingeteilt wird das sogenannte Gleitphänomen in vier „Schweregrade nach Meyerding“. Wobei Grad 1 das geringste und Grad 4 das stärkste Abgleiten bedeutet. Ist ein Wirbelkörper komplett abgerutscht und hat sich vor einen anderen geschoben, spricht die Medizin von einer Spondyloptose. „Diese ist aber extrem selten“, sagt der Spezialist.
Bewegungstherapie
Wie aber erkennt nun der medizinische Laie, dass er einen Gleitwirbel hat? Dr. Olschowski: „Eine Spondylolisthesis ist nicht immer spürbar. Das hängt vom Grad des Gleitens ab. Meistens klagt der Patient über bewegungsabhängige Kreuzschmerzen oder über Gefühlsstörungen oder Lähmungen.“ Der Arzt wird den Betroffenen dann zu einem Radiologen schicken. Dieser wiederum stellt anhand des Röntgenbildes die Diagnose „Gleitwirbel“. Bei Kindern, die ja Schmerzen oft nicht genau orten können, können die Eltern eine Spondylolisthesis an der Form des Rückens ihres Sprösslings erkennen. „Fällt eine deutliche Verschlechterung auf, sollte unbedingt ein Arzt aufgesucht werden“, betont der Neurochirurg.
Steht die Diagnose fest, kann als nächster Schritt die Behandlung folgen. „Dass ein Gleitwirbel in die Ausgangsposition bleibend zurückrutscht, ist eher illusorisch“, so Dr. Olschowski. Aber: „Mit der richtigen Therapie kann das Gleiten gestoppt werden.“ Damit das gelingt, rät der Experte zu konservativen physikalischen Übungen. Wenn der Wirbelkörper nach vorne gerutscht ist, kann er gezielt nach hinten trainiert werden. Nach einiger Zeit sollte kontrolliert werden, ob die Bewegungstherapie passt oder ob trotz Behandlung eine Verschlechterung eingetreten ist.
Eine Operation hält der Experte erst dann für sinnvoll, wenn die konservative Therapie versagt hat und die Lebensqualität aufgrund großer Schmerzen oder zunehmender neurologischer Symptome extrem eingeschränkt ist, etwa wenn zum Beispiel Gefühlsstörungen auftreten. Bei der Operation wird die Bandscheibe ersetzt und die Wirbelkörper stabilisiert. Die Frage, ob man einem Gleitwirbel vorbeugen kann, beantwortet der Neurochirurg so: „Bei einer anlagebedingten Spondylolisthesis kann natürlich nichts mehr verhindert werden. Einer degenerativen Erkrankung kann mit wirbelsäulenbewusstem Leben zuvorgekommen werden. Also: richtig heben, aufrecht stehen und viel Bewegung machen.“
Cornelia Schobesberger
Juni 2014
Foto: shutterstock, privat
Kommentar
Dr. Alfred Olschowski
Leiter der Abteilung Neurochirurgie an der Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg, Linz