Bei Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule (HWS) und/oder im Schulterbereich können folgenden Ursachen zugrunde liegen:
- Muskuläre Probleme (zu hohe Spannung oder Dysfunktion)
- Knöcherne Probleme (Abnützung der Wirbelgelenke und Entzündungen)
- Bandscheibenprobleme (Vorwölbung oder Vorfall).
Es ist möglich, dass nur einer dieser Problembereiche betroffen ist, häufig sind jedoch zwei oder sogar alle drei Bereiche in Mitleidenschaft gezogen.
Aufbau der Halswirbelsäule
Die HWS besitzt sieben Halswirbelkörper, die den Kopf mit dem Rumpf verbinden. Im ersten Wirbelkörper tritt das Rückenmark als Verlängerung des Gehirns in den Wirbelkanal ein. Zwischen den Wirbelkörpern befinden sich die Bandscheiben, die für die Beweglichkeit der Wirbelsäule wichtig sind und als eine Art Stoßdämpfer fungieren. Zwischen den Wirbelkörpern verlaufen Muskeln und Bänder und sorgen für eine bewegliche Stabilität.
Muskuläre Ursachen
Von Schmerzen in der HWS sind häufig Menschen betroffen, die ihren Beruf in einer statischen Lage verbringen, wie etwa PC-Arbeiter. Durch langes und starres Sitzen werden die Muskeln im Nacken und dem Schulterbereich nicht bewegt und sie bauen mit der Zeit eine hohe Spannung (Tonus) auf. Der hohe Muskeltonus führt häufig zu einem Geräusch in der Halswirbelsäule, das man als Betroffener als Knacken wahrnimmt und oft als ein Aneinanderreiben von Halswirbeln fehl interpretiert. „In Wahrheit handelt es sich um das so genannte Vakuumphänomen, es ist ein Schnappen durch Unterdruck innerhalb des Gelenks“, erklärt Prim. Dr. Josef Macher, Ärztlicher Leiter der Linzer Klinik Diakonissen. Zudem sind häufig die hinteren Nackenmuskeln verkürzt und die vorderen Halsmuskeln schwach ausgeprägt, das wiederum führt zu einer Dysbalance.
Oft führt ein zu hoher Muskeltonus dazu, dass die Muskeln im Nacken-Schulter-Bereich verdicken und dadurch die Nervenbahnen bedrängen. Das kann dazu führen, dass Nerven von der Muskulatur regelrecht eingezwickt werden. Daraus resultieren starke Schmerzen, die auch in die Arme ausstrahlen können. Bei Menschen mit einer muskulären Schwäche oder Dysbalance kommt es auch zu immer wiederkehrenden Blockaden der Wirbelgelenke und daraus folgenden starken Schmerzen.
Probleme bereiten auch langes Autofahren und vor allem stundenlanges Sitzen vor dem Fernsehschirm. „Hier kommt es zu einem Sinnesumkehr. Beim Fernsehen bewegt sich nicht der Mensch, sondern die simulierte Umgebung. Normalerweise will uns unser Gehirn zur Mobilität zwingen, doch da die bewegten Fernsehbilder unserem Gehirn diese erwünschte Mobilität vorgaukeln, fordert es vom Körper keine Bewegung ein und wir können stundenlang in starrer Lage verharren“, erklärt Macher.
Knöcherne Ursachen
Die Wirbelgelenke nützen sich im Laufe der Jahre immer mehr ab. Es kommt zu einem Verschleiß von Gelenken durch Bewegungsarmut, Übergewicht, Fehlhaltungen (häufig bei Menschen, die am Schreibtisch arbeiten). Häufig spielen auch entzündliche Einflüsse (z.B. rheumatische Erkrankungen) eine Rolle, die die Probleme an den Wirbelgelenken noch verstärken. Die knöcherne, entzündliche Ursache wird auch Facetten(gelenk)syndrom genannt. Aus einem Facettensyndrom kann sich im Laufe der Zeit auch eine Arthrose bilden.
Bei einer solchen degenerativen Entwicklung kann es zu einer Reibung der Wirbelkörper kommen und zu einer entzündlichen Reizung oder Blockade („Verrenkung“) der Wirbelgelenke. „Entzündliche Reize im Gelenk und seiner Umgebung führen zu Schmerzen und weil man dann die Muskeln anspannt, führt das wiederum zu einem hohen Muskeltonus und einer Muskelüberspannung, die ihrerseits wiederum die Nervenbahnen bedrängt und Schmerzen auslöst“, erklärt Macher eine typische Schmerzspirale.
Bandscheiben als Ursache
Vorfälle oder Vorwölbungen an einer Bandscheibe in der Halswirbelsäule sind keine Seltenheit. Die Bandscheiben liegen zwischen den einzelnen Wirbelknochen der Wirbelsäule. Dort puffern sie die Erschütterungen ab und ermöglichen die hohe Beweglichkeit der Wirbelkörper der HWS. Bandscheiben bestehen aus einem Bindegewebsring und einem weichen Gallertkern. Eine Bandscheibenvorwölbung ist die Vorstufe eines Vorfalls, hier wölbt sich der Faserring über den Wirbelkörperrand hinaus, ohne jedoch einzureißen. Reißt der Faserring, so spricht man von einem Bandscheibenvorfall. Eine Vorwölbung oder ein Vorfall einer Bandscheibe selbst verursachen keine Schmerzen. Schmerzen entstehen, wenn ein Nerv durch die Bandscheibe unter Druck gesetzt und eingeklemmt wird.
Diagnose
Alle drei möglichen Problemverursacher (Muskeln, Wirbelgelenke, Bandscheiben) führen zu Schmerzen, die sich stark ähneln und schwer unterscheidbar sind. Unterscheidungskriterien sind, ob sich die Schmerzen bei Bewegung bessern (deutet auf eine muskuläre Ursache hin) oder verschlechtern (deutet auf Bandscheibenprobleme hin). Ist eine Nervenwurzel in Mitleidenschaft gezogen, ist der Schmerz örtlich klar eingrenzbar.
Die Diagnose beginnt mit einer Anamnese (Patientengespräch), in der geklärt wird, seit wann welche Schmerzen in welchen Situationen auftreten. Dem folgen eine klinische (körperliche) Untersuchung und ein bildgebendes Verfahren (Röntgen oder Magnetresonanz oder Computertomographie).
Therapie
Liegt ein Bandscheibenproblem zugrunde:
Ziel einer Therapie ist es, den Druck vom eingeklemmten Nerv zu nehmen. „In früheren Jahren wurde in einem solchen Fall häufig die Nervenwurzel punktiert. Heute erfolgt eine Blockade des vegetativen Nervensystems“, so Macher. „Weiters werden abschwellende Medikamente verabreicht.“
Liegen knöcherne, entzündliche Probleme zugrunde:
Hier helfen lokale Wärmeanwendungen (z.B. Wickeltherapien und Thermopflaster) und abschwellende Medikamente. In schweren Fällen (bei starker Gelenksabnützung und wenn immer wieder starke Schmerzen auftreten) besteht die Möglichkeit einer operativen Denervierung (Unterbrechung bzw. Durchtrennung von Nervenbahnen) mittels einer feinen Nadel, welche mit einer exakten Temperatur von 82 Grad Celsius punktgenau Nerven bei den Wirbelgelenken verödet und damit die Weiterleitung des Schmerzreizes an das Gehirn verhindert.
Liegen muskuläre Probleme zugrunde:
Eine wichtige (auch vorbeugende) Maßnahme ist ein häufiger Lagewechsel. Also nicht starr sitzen, die Sitzposition häufig ändern, die Arme und Schultern immer wieder bewegen, häufig aufstehen und sich auch während der Arbeit so viel wie möglich bewegen. Man sollte sich seinen Arbeitsplatz so einrichten, dass viele Dinge (Drucker, Fax, Ordner etc.) nicht vom Sitzplatz aus erreichbar sind, und man also gezwungen ist, häufig aufzustehen und herumzugehen.
Folgende Maßnahmen wirken dem Problem entgegen:
- Lokale Wärmeanwendungen (z.B. warmes Wasser)
- Traumasalbe
- Schmerzmedikamente
- Akupunktur
- Yoga, Qui Gong
- Bewegung im Freien: Walken, Joggen, Wandern, Bergsteigen
- Gleichgewichtstraining auf einem Wackelteller. „Zur Ausbalancierung der Muskulatur ist dieses einfache Gerät sehr effektiv. Man kann auch nebenbei auf so einem Teller stehen, beim Telefonieren etwa“, empfiehlt Macher.
Therapie bei chronischen Schmerzen
Bestehen neben den akut auftretenden Schmerzen auch chronische Schmerzen, kann eine begleitende Botenstofftherapie (Verabreichung niedrig dosierter, so genannter Antidepressiva) angezeigt sein. Diese Botenstoffe senken den ständigen, auch ohne konkrete Ursache bestehenden Schmerz, der sich im Hals/Nacken/Schulterbereich eingenistet hat. Ein verminderter Schmerzlevel verhindert oder vermindert ein Verkrampfen der Muskulatur und damit die Ingangsetzung einer weiteren Schmerzspirale.
Dr. Thomas Hartl
Oktober 2014
Foto: shutterstock