Von Neuralgie spricht man, wenn Schmerzen von Nerven ausgelöst werden und sich in deren Versorgungsgebiet ausbreiten. Im Fall des Drillingsnervs („Trigeminus“) ist das Gesicht betroffen, von wo die drei Äste des Nervs Empfindungen an das Gehirn weiterleiten. Die heftigen und blitzartigen Schmerzen betreffen meist den zweiten und dritten Ast des Trigeminus, der den Bereich der Wange und des Oberkiefers beziehungsweise den Unterkiefer mit den dazugehörigen Zähnen versorgt. Auf einer zehnteiligen Skala erreichen die Schmerzen den Wert zehn.
Die Attacken treten meist mehrmals pro Tag über mehrere Wochen auf. Nach längeren schmerzfreien Phasen können die Attacken plötzlich wieder einsetzen. Die Zahl der Neuerkrankungen liegt etwa bei fünf Personen pro 100.000. Frauen sind etwas öfter betroffen als Männer, die meisten Patienten sind älter als 40 Jahre. Die einzelnen Episoden beginnen spontan oder werden durch sogenannte Triggerfaktoren ausgelöst. Dazu genügen oft leichte Berührungen der Wange, Kauen, Schlucken, Sprechen, ja ein leichter Lufthauch.
Trotz der relativ klaren Symptome kommt es immer wieder zu falschen Diagnosen. Univ.-Doz. Dr. Christian Eggers, der Leiter der neurologischen Abteilung am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Linz: „Wir können feststellen, dass die Trigeminusneuralgie zu oft diagnostiziert wird. Irgendwie scheint sie die griffigste unter den sechs bis sieben Möglichkeiten von Gesichtsschmerzen zu sein.“ So werde aus manch einem sogenannten atypischen Gesichtsschmerz eine Trigeminusneuralgie, obwohl die Art des – andauernden – Schmerzes eigentlich ein Ausschließungsgrund dafür wäre. Dozent Eggers: „Nicht selten liegen die Ursachen für Gesichtsschmerzen eher im Bereich der Psychosomatik.“
Elektrische Erregung
Auch wenn tatsächlich eine Trigeminusneuralgie vorliegt, kennt man nur in einem Teil der Fälle eine Ursache: Durch Entzündungen, eine multiple Sklerose oder einen Tumor wird Druck auf den Nerv ausgeübt, was zum Schmerz führt. Der Rest, für den keine offensichtlichen Ursachen gefunden werden können, wird als idiopathisch bezeichnet. Mit einer Magnetresonanztomografie und einer sogenannten Blinkreflexmessung kann festgestellt werden, ob es symptomatische Ursachen für die Schmerzen gibt, welche behoben werden können. Sonst bleibt die gängige Therapie mit Medikamenten, die auch gegen Epilepsie eingesetzt werden. Ausgangspunkt ist dabei eine Gemeinsamkeit der beiden Krankheiten. Auch bei der Trigeminusneuralgie kommt es zu einer plötzlichen elektrischen Erregung, ohne dass ein nennenswerter Reiz ausgeübt wurde. Durch die Antiepileptika werden die Ionenströme eingedämmt und damit die Reizschwelle gesenkt. Rund 90 Prozent der Patienten sprechen auf die medikamentöse Therapie an.
Eher skeptisch beurteilt Univ.-Doz. Christian Eggers verschiedene operative Methoden, die schon gegen die Trigeminusneuralgie zum Einsatz gekommen sind. So wurde der Nerv „gepolstert“, um ihn vor der Berührung – und Reizung – durch ein Blutgefäß zu schützen. In anderen Fällen wurde der Nervenknoten, in dem sich die drei Äste des Trigeminus treffen, mit Hitze, Kälte oder Chemikalien behandelt – häufig mit Nebenwirkungen, von der Gefühllosigkeit einer Gesichtsregion bis zur völligen Taubheit eines Ohrs. Eggers: „Allen diesen Methoden fehlen aussagekräftige Studien, die sie klar über den Placebo-Effekt erheben. Daher sollten die Operationen wirklich erst zum Einsatz kommen, wenn die Diagnose zweifelsfrei gesichert ist und alle medikamentösen Maßnahmen ausgeschöpft sind.“ Trotz der unsicheren Evidenz könne man es den Patienten nicht verdenken, wenn sie in ihrer Verzweiflung jeden Rettungsanker ergreifen.
Heinz Macher
Dezember 2014
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Kommentar
Univ.-Doz. Dr. Christian Eggers
Leiter der
neurologischen Abteilung am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder, Linz