Die Diskussionsplattform „Linzer Forum – Gesundheit und Gesellschaftspolitik“ wurde vor sieben Jahren von der Johannes Kepler Universität, der OÖ Gebietskrankenkasse und dem AKh Linz eingerichtet. Zu dieser Fachtagung reisen jedes Jahr Vertreter von Krankenanstalten und von Sozialversicherungsträgern aus ganz Österreich an. Auch interessierte Akteure aus Wissenschaft und Politik sowie Mediziner und Pflegekräfte gehörten zum Publikum.
Gesundheitskompetenz als Entscheidungshilfe im Alltag
Die zahlreiche Gesundheitsinformationen im Internet wollen von den Nutzern erst auf deren Seriosität und Glaubwürdigkeit kompetent beurteilt werden. Was sagt dem Laien eine Risikostatistik, und was bedeutet das für seine persönliche Entscheidung? Und was können so genannte „gesundheitskompetente“ Organisationen beitragen, damit Patienten ihr Recht auf Information wahrnehmen? Gemeinsam mit nationalen und internationalen Experten wurden diese Fragen beim Linzer Forum im Allgemeinen Krankenhaus Linz diskutiert.
Bei der Eröffnung wurden diese interdisziplinären Synergien als große Chance – auch in Hinblick auf die neue Medizinfakultät an der JKU – in den Vordergrund gestellt.
Heinz Brock, Medizinischer Direktor des AKh: „Krankenhäuser als wesentliche Dienstleister im Gesundheitswesen müssen großes Interesse an der Gesundheitskompetenz ihrer Patienten haben, da diese als Koproduzenten der eigenen Gesundheit nur mit entsprechender Aufklärung und Information ihren Beitrag leisten können.“
Gabriele Kotsis, Vizerektorin der Johannes Kepler Universität, bezeichnete das Entstehen des Linzer Forums als „Keimzelle“ für interdisziplinäre Forschung. „Die Wissenschaft öffnet sich, wie das Linzer Forum als Best Practice Beispiel beweist. Mittlerweile wird kaum ein Thema mehr im Elfenbeinturm erforscht. Themen aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, Wechselwirkungen zu erkennen und über Fachgebiete hinweg zu kommunizieren. Das ist die Zukunft der Forschung.“
Gesundheitliche Chancengleichheit
Jürgen Soffried vom Grazer Institut für Gesundheitsförderung und Prävention stellte klar, dass Gesundheitskompetenz die Menschen dabei unterstützt, eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen, die ihre Gesundheit fördern. Mit Hilfe der österreichischen Rahmengesundheitsziele wird die Stärkung der Gesundheitskompetenz vorangetrieben. Die Arbeitsgruppe „Gesundheitskompetenz“ hat 2013 drei Wirkungsziele, Maßnahmen und Indikatoren für das Rahmengesundheitsziel 3 „Gesundheitskompetenz stärken“ definiert: Oberstes Wirkungsziel ist, „das Gesundheitssystem unter Einbeziehung der Beteiligten und Betroffenen gesundheitskompetenter“ zu machen. An zweiter Stelle wird auf die „persönliche Gesundheitskompetenz, unter besonderer Berücksichtigung von vulnerablen Gruppen“ abgezielt. Als drittes Wirkungsziel soll „Gesundheitskompetenz im Dienstleistungs- und Produktionssektor“ verankert werden.
Verbesserungspotenzial bei der „Patientennavigation“
Gerald Bachinger von der niederösterreichischen Patientenanwaltschaft stellte unter dem Titel „Patienteninformation – seriös und unbeeinflusst?“ Best-Practice Beispiele aus anderen Ländern vor. Aktuell wird auch in Österreich an Möglichkeiten gearbeitet, Patienten zum „best point of service“ zu lenken. Denn in der so genannten „Patientennavigation“ gibt es enormes Verbesserungspotenzial. Eine Vorarlberger Spitalsambulanz-Studie fand 2010 heraus, dass 60 Prozent der Patienten einer Spitalsambulanz auch durch den niedergelassenen Bereich adäquat versorgt wären. Bachinger wies darauf hin, dass heute kein Informationsmangel mehr besteht – vielmehr besteht ein „Overload“ an gesundheitsrelevanten Informationen. Daraus allerdings verständliche, ausgewogene und seriöse Informationen zu finden, ist die zentrale Herausforderung.
Statistische Zahlenspiele verwirren die Patienten
Die Psychologin Odette Wegwarth berichtete unter dem Titel „Der informierte Patient: Nutzen und Schaden medizinischer Maßnahmen richtig verstehen“ über aktuelle Forschungsergebnisse aus dem Harding-Zentrum für Risikokompetenz in Berlin. Nutzenwahrscheinlichkeiten von Screening-Untersuchungen und von medizinischen Interventionen werden in der gängigen Praxis in relativen Zahlen dargestellt, während die Risiken und Wahrscheinlichkeiten von Überdiagnosen meistens in absoluten Zahlen beziffert. Diese Zahlenspiele führen Patienten – und auch medizinisches Fachpersonal – hinters Licht. Ärzte und Patienten überschätzen den Nutzen im Vergleich zu den Risiken, wie die Psychologin u.a. am Beispiel Mammographie erläuterte. Es ist laut Wegwarth keine Seltenheit, dass durch fehlende Transparenz gesunde Menschen zu Patienten gemacht werden. Es stellt sich bei Screening-Maßnahmen wie der Mammografie die Frage: „Was nützt die Vorsorge, wenn ich durch die Früherkennung ‚krank‘ werde?“
Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps
Andrea Fried, Bundesgeschäftsführerin der ARGE Selbsthilfe Österreich, befasste sich mit der Frage: „Mehr Gesundheit durch neue Medien?“ Fried analysierte mehrere Gesundheits-Apps und sieht deren Chancen vor allem in der Erreichbarkeit der Menschen: Jeder fünfte Mann etwa nutzt bereits Gesundheits-Apps. Ein möglicher Schluss wäre: „Prävention bei Männern muss digital sein.“ Der wissenschaftliche Nachweis, dass Gesundheits-Apps einen größeren Nutzen haben als konventionelle Gesundheitsaufklärung und Therapieführung, fehlt allerdings noch.
Flut an gesundheitsrelevanten Informationen
Über die neue Rolle der Patienten sprach Werner Bencic von der OÖ Gebietskrankenkasse. Das Bild, die Behandlungen und die Handlungen der Patienten haben sich in den vergangenen Jahren stark verändert und der Wunsch nach Selbstgestaltung hat zugenommen. Das Internet ist vielfach die „zweite Meinung“. Wie kann das System auf diese neuen Anforderungen reagieren? Bencic nannte Beispiele für adäquate Reaktionen aus dem In- und Ausland, wie etwa die Homepage „NHS Choices“ der National Health Services aus Großbritannien (http://www.nhs.uk) oder das öffentliche Gesundheitsportal Österreichs (http://gesundheit.gv.at).
Komplexe Systeme erfordern mehr Wissen
Auf Ebene der Organisationsentwicklung erklärte Christina Dietscher vom Ludwig Boltzmann Institut Health Promotion Research, was Krankenbehandlungsorganisationen tun können, um ihren Patienten entgegenzukommen – „gesundheitskompetenter“ zu werden. Je komplizierter Systeme und Institutionen sind, und je komplexer es ist, an seriöse und ausgewogene Informationen zu kommen, desto mehr Wissen brauchen die Patienten, um sie zu verstehen. Insofern sollte es Ziel sein, die Komplexität auf das notwendige Ausmaß zu reduzieren.
Diskussion
Konsens war, dass die individuelle Gesundheitskompetenz der Patienten wichtig ist, dass aber an erster Stelle das System und die Akteure gesundheitskompetenter werden müssen.
„Wenn du gesundheitskompetenter wirst, hast du etwas davon, die anderen 8,5 Millionen Österreicher nicht. Wenn wir als System besser werden, haben alle etwas davon. Damit helfen wir allen.“, hielt Jürgen Soffried bei der Diskussion fest.
Eine neue Plattform „Gesundheitskompetenz“ soll dazu beitragen, dass das Thema über den Gesundheitssektor hinaus getragen wird. Erste Anzeichen deuten darauf hin, dass andere Politiksektoren Interesse an dem Thema haben. Die Hoffnung ist, dass dies auch zu sozialpolitischen und gesetzlichen Fortschritten führt.
Alle Vorträge finden Sie hier.
Mag. Christian Boukal / Mag. Agnes Kaiser, JKU Linz
November 2014
Foto: Linzer Forum 2014