In Österreich leben mehr als 100.000 Menschen mit Demenzerkrankungen, die Tendenz ist stark steigend. Da Demenz vor allem im hohen Alter auftritt und die Menschen immer älter werden, wird die Patientenzahl für 2050 auf mindestens 250.000 geschätzt. Demenz ist der Oberbegriff für Erkrankungen, die durch einen Verlust der geistigen Fähigkeiten wie Denkvermögen, Erinnerung, Aufmerksamkeit, Sprache, Orientierung und durch Änderungen des Verhaltens gekennzeichnet sind. Die häufigste Form der Demenzerkrankungen ist die Alzheimer-Demenz („Alzheimer").
Gene, Alter und Lebensstil spielen wichtige Rolle
Alzheimer ist eine langsam fortschreitende Erkrankung des Gehirns, die erst nach Jahrzehnten (20 bis 30 Jahre) erste klinische Symptome zeigt, nachdem bereits über viele Jahre hinweg Abbauprozesse stattgefunden haben. Je älter der Mensch wird, desto größer ist sein Erkrankungsrisiko. „Eine Hypothese besagt, dass man nur alt genug werden muss, um am Lebensende Symptome von Alzheimer zu bekommen. Demnach dürfte es wahrscheinlich sein, dass jeder Mensch, der über 120 Jahre alt würde, solche Alzheimerbeschwerden entwickelt“, erklärt Univ.-Prof. Dr. Peter Dal-Bianco, Präsident der Österreichischen Alzheimer-Gesellschaft.
Ob eine Demenzerkrankung klinisch tatsächlich ausbricht, hängt sowohl von unbeeinflussbaren Faktoren als auch vom Lebensstil ab. Unbeeinflussbare Risikofaktoren sind genetische Veranlagung, hohes Alter und Geschlecht. Beeinflussbare Faktoren sind bestimmte „Krankheitstreiber“, die durch Lebensstiländerungen vermindert werden können.
Lebensstil ist wichtig
Mit Lebensstiländerung hat es jeder Mensch selbst in der Hand, das Auftreten des klinischen Ausbruchs einer Demenzerkrankung zu verzögern und den Verlauf positiv zu beeinflussen. „Es ist nie zu spät, etwas für die eigene Gesundheit zu tun. Je früher, desto größere Erfolge können erzielt werden“, sagt der Neurologe der MEDUNI/AKH Wien.
Prävention von entscheidender Bedeutung
„Wenn man den klinischen Ausbruch der Erkrankung um fünf Jahre verschieben könnte, würde man die Anzahl der Demenzpatienten weltweit halbieren. Durch geeigneten Lebensstil wären diese fünf Jahre Verzögerung durchaus zu schaffen“, veranschaulicht Dal-Bianco die große Bedeutung von Lebensstilmaßnahmen, die jeder Mensch selbst in der Hand hat. Vor allem Prävention im mittleren Alter ist entscheidend für eine möglichst lange Gesundheit. Das große Problem in der Praxis ist, dass sich Menschen im mittleren Alter, also zwischen 30 und 55 Jahren, viel zu wenig um ihre Gesundheit kümmern und für sie eine mögliche Demenz kein Thema ist. Die meisten Menschen interessieren sich dafür erst zu einem Zeitpunkt, in dem man nur mehr die Symptome behandeln kann.
Folgende Aktivitäten senken das Alzheimer-Risiko. All diese Maßnahmen wirken nicht nur positiv auf das Gehirn, sondern auch auf das Herzkreislaufsystem. Lebt man im Sinne dieser vorbeugenden Maßnahmen, fördert man umfassend seine Gesundheit.
Geistige Aktivität
Gehirnzellen können sich lebenslang neu verschalten. Denkarbeit produziert neuronale Verknüpfungen und Botenstoffe und führt zu Neubildungen von Synapsen (Nervenkontaktstellen). Geistige Aktivität und Neugierde wirkt präventiv. „Wer neugierig lebt und es im Alter auch bleibt, hat nicht nur mehr vom Leben, er schützt dadurch auch sein Gehirn“, sagt Dal-Bianco. Laut Studien zeigen folgende Tätigkeiten einen positiven Effekt: Brettspiele, Kreuzworträtsel lösen, Musikinstrumente spielen, Bücher lesen. Wichtig ist, dass die Motivation stimmt, man sollte also das machen, was einem Freude bereitet.
Alzheimer davonlaufen
Körperliche Leistung und ein physisch bewegter Lebensstil fördert auch die geistige Leistungsfähigkeit. Bewegung bringt das Gehirn in Gang: Die Nervenzellen erhalten Wachstumsimpulse und verknüpfen sich besser, die Durchblutung des Gehirns steigt. Man kann zwar der im Körper schlummernden Erkrankung nicht davon laufen, schon aber deren klinischen Ausbruch hinausschieben. „Es besteht ein Zusammenhang zwischen körperlicher Bewegung im mittleren Lebensalter und späterem klinischem Alzheimerbeginn. Menschen, die sich kaum bewegen, haben ein um 80 Prozent erhöhtes Risiko für Alzheimer- gegenüber sportlich aktiven Menschen“, erklärt Dal-Bianco. Empfohlen werden z.B. Tanzen, Wandern und Schwimmen.
Ernährung
Bestimmte Nahrungsmittel besitzen schützende Effekte. Vor allem der regelmäßige Konsum von Gemüse, Obst und Fisch reduziert das Risiko von kognitiven Beeinträchtigungen. Omega-3-Fettsäuren finden sich etwa in Fischen wie Makrele, Sardine, Lachs und Thunfisch und in pflanzlichen Ölen.
Als positiv wird die traditionelle Küche des Mittelmeerraums eingeschätzt. Das bedeutet einen hohen Anteil von Obst, Gemüse, Fisch, Hülsenfrüchte und Getreide, aber nur wenig Milch- und Fleischprodukte. Weiters nur wenig tierische Fette und stattdessen Olivenöl.
Vorsorge mit Medikamenten
Nicht zu empfehlen sind Nahrungsinhaltsstoffe und Medikamente mit fehlendem Wirkungsnachweis in der Demenzvorsorge. Ob etwa in Kapseln abgefülltes Omega 3-Fischöl denselben positiven Effekt wie das Essen von Fisch hat, ist wissenschaftlich nicht erwiesen. „Für künstliche Nahrungsergänzungsmittel gibt es keinen gesichert positiven Effekt auf das Denkvermögen. Die hoch dosierte Einnahme von Vitamin E scheint sogar das Risiko für Herz- und Lebererkrankungen zu erhöhen. Auch für die Vitamine C, B1, B6 und B12 fehlen eindeutige Wirkungsnachweise. Das trifft auch auf das Hormon DHEA, die Alpha-Liponsäure und die Folsäure zu. Als Demenz-Vorsorge nicht zu empfehlen sind Cholinesterase-Hemmer, Hormonersatztherapien, NSAR und Statine, denn es fehlen wissenschaftliche nachgewiesene Evidenzen“, so Dal-Bianco.
Sozial aktiv
Wer auch im Alter sozial aktiv bleibt, regen Anteil an seiner Umwelt nimmt, mit anderen Menschen kommuniziert und sich sozial engagiert, gibt dem Leben nicht nur Freude und Sinn, sondern betreibt auch Alzheimer-Vorsorge. Es ist wichtig, sich nicht zurückzuziehen, sondern weiter aktiv am Leben teilzunehmen.
Krankheitstreiber vermindern
Die Wissenschaft hat bestimmte Faktoren gefunden, die den Ausbruch und auch Verlauf einer Demenz beschleunigen. Es handelt sich um sogenannte Krankheitstreiber. Wer umgekehrt den sieben Treibern durch Lebensstilmaßnahmen entgegenwirkt, betreibt aktive Gesundheitsvorsorge. „Und Prävention ist bei Demenz das Um und Auf, weil Therapien derzeit nicht heilen, sondern nur die Symptome lindern können“, erklärt Dal-Bianco.
Krankheitstreiber sind:
- Bewegungsmangel.
- Diabetes: Bei unbehandeltem Diabetes mellitus Typ II erhöht sich das Alzheimer-Risiko um 40 Prozent.
- Bluthochdruck und erhöhtes Cholesterin: Patienten mit unbehandeltem Bluthochdruck haben ein um 60 Prozent höheres Risiko als Menschen ohne Bluthochdruck. „Ist es nicht möglich, den Blutdruck durch einen gesunden Lebensstil zu senken, sollte medikamentös behandelt werden“, so der Neurologe.
- Rauchen: Nikotin schädigt das Gehirn und gilt als erwiesener Krankheitstreiber.
- Übergewicht.
- Auch Depressionen im mittleren Lebensalter begünstigen die Demenzentwicklung.
- Geistiger Stillstand.
Medizinische Abklärung
Besteht ein erster Verdacht auf eine Demenzerkrankung (z.B. weil das Kurzzeitgedächtnis nachgelassen hat), empfiehlt sich eine sofortige fachärztliche Untersuchung, um die Ursache abzuklären und gegebenenfalls eine medikamentöse Therapie einzuleiten.
Es wurden bisher noch keine Methoden gefunden, wie man eine Demenzerkrankung noch vor dem klinischen Ausbruch erkennen könnte. „Es wird zwar viel geforscht, aber es gibt bisher leider keinen Biomarker, der verlässlich und eindeutig auf Alzheimer hinweisen würde“, erklärt Prof. Dal-Bianco. Dennoch macht es Sinn, bei ersten Beschwerden diese ambulant abklären zu lassen (durch Test, Blutbild und Bildgebung). „Weil ‚Vergesslichkeit‘ keineswegs Alzheimer bedeuten muss. Es kann auch ein Vitaminmangel vorliegen, oder die Hormone sind aus dem Gleichgewicht und manchmal liegt auch eine Depression vor. Im Gegensatz zu Alzheimer kann man diese Beschwerden erfolgreich therapieren“, sagt Dal-Bianco.
Dr. Thomas Hartl
Jänner 2015
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