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Karpaltunnelsyndrom: Ameisenlaufen in den Fingern

Wenn die Finger immer wieder einschlafen oder das Zuknöpfen von Blusen schwerfällt, könnte ein Karpaltunnelsyndrom hinter den Beschwerden stecken. Welche Ursache der „enge Tunnel“ hat, erklärt Primar Dr. Tim J. von Oertzen.

 

Der Karpaltunnel wird seinem Namen gerecht: Denn tatsächlich handelt es sich dabei um einen knöchernen-bindegewebigen Tunnel bzw. Kanal an der Handwurzel. Dort verläuft auch ein Nerv – der sogenannte Nervus medianus, der sich von der Innenseite des Handgelenks zu den Fingern zieht. Ist nun der Karpaltunnel nicht groß genug oder geschädigt, kommt es zu einer Drucksteigerung auf den Nerv und in weiterer Folge zu einer verminderten Blutzufuhr. Man spricht vom Karpaltunnelsyndrom.

 

Vielfältige Auslöser

Bis zu zehn Prozent der Bevölkerung erkranken im Laufe ihres Lebens an diesem Engpass-Syndrom. Doch wie kommt es dazu? Prim. Priv.-Doz. Dr. Tim J. von Oertzen, Leiter der neurologischen Abteilung der Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg in Linz, erklärt: „Eine mögliche Ursache sind anatomische Engstellen. So sind Frauen häufiger betroffen als Männer, weil ihre Hände kleiner sind. Es können aber auch verschiedene Erkrankungen, die die Versorgung der Nerven oder des Bindegewebes betreffen, zum Karpaltunnelsyndrom führen.“ Dazu zählen etwa Übergewicht oder Diabetes. Die Erkrankung kann zudem während einer Schwangerschaft auftreten. Aber auch Überlastungen bzw. schwere händische Arbeit können sie begünstigen. Von Oertzen hält dazu fest: „Eine Studie in Amerika hat gezeigt, dass das Karpaltunnelsyndrom bei Fließbandarbeitern häufiger auftritt als bei Menschen, die im Büro arbeiten. Zudem können Bewegungen, die das Handgelenk stark beanspruchen, wie übermäßiges Fahrradfahren, dazu führen.“ Ein vermehrtes Auftreten beim Gebrauch der Computer-Maus konnte allerdings nicht beobachtet werden.

 

Taube Hand

Ein typisches Erstsymptom ist das Einschlafen der Finger. Diese nadelstichartige Missempfindung, die sich auch als Kribbeln oder Ameisenlaufen zeigt, macht sich häufig an der dominanten Hand – bei Rechtshändern also rechts – bemerkbar. Meist beginnen die Beschwerden in den Fingern. Dabei können Daumen, Zeige-, Mittel- und Ringfinger betroffen sein. „Charakteristisch ist, dass das Kribbeln nur an der Handinnenseite und nicht am Handrücken auftritt“, so der Mediziner. Die Schmerzen können zudem in den Unter- und sogar Oberarm ausstrahlen und treten häufig auch nachts auf. Schreitet die Schädigung des Nervs fort, fällt das Ausüben bestimmter Tätigkeiten schwerer – wie etwa Garten- oder Handarbeiten, das Zuknöpfen von Blusen oder Hemden oder das Aufheben von Gegenständen mittels Pinzettengriff mit Daumen und Zeigefinger. Schließlich können die Missempfindungen sogar ständig spürbar sein. Durch Schütteln der Hand, Pumpbewegungen mit den Fingern oder das Halten der Hand unter kaltes Wasser bessern sich oft die Beschwerden.

 

Rasche Diagnose wichtig

Ebenso vielfältig wie die Ursachen ist der Verlauf der Erkrankung: Die Symptome können sich spontan bessern, verschlechtern oder stabil bleiben. Charakteristisch ist zudem, dass sie sich häufig zwischen dem 40. und 70. Lebensjahr bemerkbar machen. „Bei Kindern tritt die Erkrankung so gut wie nie auf“, bestätigt der Facharzt für Neurologie und ergänzt: „Weil sich der Nerv im Alter schwieriger regeneriert und schneller Schaden nimmt, ist eine rasche Diagnose wichtig.“ Um diese zu stellen, bestimmt der Arzt den Funktionszustand des Mittelnervs anhand einer klinischen Untersuchung. Anschließend führt er eine sogenannte Elektroneurografie oder eine Elektromyografie durch. „Dabei wird die Leitungszeit im Nerv beziehungsweise in den Muskel gemessen. Die Untersuchung gibt Aufschluss darüber, ob ein Leitungssprung besteht, also ob die Leitungsfähigkeit im Karpaltunnel vermindert ist“, erklärt von Oertzen.

 

Schiene, Injektionen oder Operation

Ist die Diagnose gesichert, stehen folgende Therapiemöglichkeiten zur Verfügung: Handelt es sich um leichte Beschwerden, so kann das nächtliche Tragen einer Handgelenksschiene Abhilfe verschaffen. Zudem können Injektionen mit Kortikoiden – sie sind dem köpereigenen Hormon Cortisol ähnlich – in den Karpaltunnel als kurzfristige Behandlungsmöglichkeit verabreicht werden. „Alternativ ist auch die Einnahme von Kortisontabletten über zehn Tage möglich“, so der Primar. Stellen sich durch diese konservativen Maßnahmen keine Erfolge ein oder liegt bereits eine schwere Störung vor, ist eine Operation mit örtlicher Betäubung angezeigt. Dabei wird über einen kleinen Hautschnitt der Nerv von dem Gewebe, das ihn einengt, befreit. Das geschieht, in dem die Bandstruktur, die den Tunnel nach oben hin begrenzt, durchtrennt wird. Dadurch wird der Druck auf den Nervus medianus verringert. Die Beschwerden bessern sich meist kurze Zeit nach dem Eingriff.

 

Die Operation birgt auch Risiken. So kann es zu Entzündungen, Blutungen oder Verletzungen des Nervs – selten auch zu Nervendurchtrennungen – kommen. Von Oertzen hält dazu allerdings fest: „Bei der Operation handelt es sich um eine effektive und in den allermeisten Fällen auch gute Behandlungsmethode mit übersichtlichem Risiko.“ Im Anschluss daran müssen Patienten die betroffene Hand für sieben bis zehn Tage schonen.

 

MMag. Birgit Koxeder-Hessenberger
März 2015


Foto: shutterstock

Zuletzt aktualisiert am 13. November 2020