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Cannabisblätter

Cannabinoide in der Schmerzmedizin

Bei chronischen Schmerzen kann der therapeutische Einsatz von Cannabinoiden sehr wirkungsvoll sein. Die Verabreichung des Medikaments bedarf eines erfahrenen Arztes, der den Patienten während der Zeit der Medikamenteneinnahme therapeutisch begleitet.

 

Die klinische Wirksamkeit von Cannabinoiden wurde in den vergangenen Jahren zu verschiedenen Indikationen bestätigt. Dennoch steckt der therapeutische Einsatz dieser Präparate hierzulande noch in den Kinderschuhen. „Immer mehr klinischen Studien mit verschiedenen Cannabinoid-Medikamenten liefern vielversprechende Ergebnisse für eine Reihe von Schmerzzuständen“, sagt Schmerzmediziner Dr. Martin Pinsger, Facharzt für Orthopädie und orthopädische Chirurgie in Wien.

Der therapeutische Einsatz von Cannabinoiden hat nichts mit dem Konsum von Cannabis zu tun. Cannabinoide machen nicht süchtig und nicht abhängig. Im Gegensatz zum Cannabis-Konsum in Form von Rauchen, fluten die Wirkstoffe nur sehr langsam und gleichmäßig an und so verhindert man den Kick, den gerauchtes Cannabis verschaffen kann.

 

Einsatzgebiet chronische Schmerzen

Der Einsatz von Cannabinoiden ist nicht beschränkt auf einen bestimmten chronischen Schmerz, sondern ist für alle Schmerzarten und Schmerzursachen tauglich. „Als Arzt muss man freilich gut geschult sein und über viel Erfahrung verfügen, um zu entscheiden, bei welchem Patient der Einsatz dieses Medikaments sinnvoll ist. Denn Cannabinoide sollte man nur einsetzen, wenn der Patient ein bestimmtes Profil besitzt. Dieses Profil setzt sich zusammen aus den Faktoren: Schmerzen, Schlafprobleme und Übelkeit. Als Mediziner behandle ich nicht das einzelne Symptom Schmerz, sondern den Patienten als solchen mit allen seinen Problemen“, sagt Pinsger. Für einen Einsatz von Cannabinoiden muss auch ein großer Leidensdruck bestehen. Für leichte bis mittlere Schmerzen gibt es genügend herkömmliche Alternativen.

 

Wirkungen

Cannabinoide bewirken nicht nur Schmerzlinderung, sie können die gesamte Lebenssituation positiv beeinflussen. Konkret werden diesen Medikamenten laut Pinsger folgende Wirkungsweisen bescheinigt: Cannabionoide

  • hemmen den Schmerz: Besonders wirksam erweisen sie sich bei starken Kopfschmerzen
  • entspannen die Muskeln, wirken gegen Spastik
  • verbessern die Regeneration: Die körperliche und psychische Erschöpfung kann gestoppt werden und durch die wieder ansteigende Energie und Kraft kann man sich wieder besser und mehr bewegen
  • regen den Appetit an
  • unterdrücken Übelkeit und Erbrechen
  • hemmen Ängste: Vor allem die bei chronischen Patienten stets auftretende Angst vor kommenden Schmerzen und die damit verbundene Vermeidung aller Situationen, die Schmerzen auslösen könnten, wird vermindert
  • vermindern Aggressionen: Wer jahrlang unter Schmerzen leidet, neigt (fallweise oder ständig) zu Aggressionen. Nicht nur der Patient selbst, sondern auch sein Umfeld profitiert von einer Schmerzreduktion
  • reduzieren Depressionen: Depressionen sind eine häufige Begleiterscheinung chronischer Schmerzpatienten
  • führen zu keiner Beeinträchtigung der Libido: Im Gegensatz zu Antidepressiva dämpfen Cannabinoide den Geschlechtstrieb nicht. Die Lust und die Fähigkeit zum Sexualverkehr bleiben erhalten
  • fördern den Schlaf: Chronische Schmerzen machen auf die Dauer einen erholsamen Schlaf unmöglich. Wenig Schlaf wiederum erhöht die Schmerzen. Es bildet sich ein Kreislauf, der sich mit der Zeit immer mehr verstärkt und eine Negativspirale in Gang setzt. Andauernde Schmerzen führen zu Erschöpfungszuständen und verkürzen den Schlaf oder verschlechtern die Schlafqualität. Die Phasen des Tiefschlafes sind aber besonders wichtig, denn in dieser Zeit entwickeln sich die Botenstoffe (Serotonin/Noradrenalin), die die Übertragung von Schmerzreizen stören. Cannabinoide bieten (ähnlich wie Antidepressiva) einen möglichen Ausstieg aus dieser Schmerzspirale, da sie die Schmerzen bekämpfen und auch eine gute Schlafqualität ermöglichen.

Folgende Nebenwirkungen können auftreten: Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, Schwindel, Unsicherheit, Mundtrockenheit. „Die Nebenwirkungen klingen jedoch oft völlig ab“, sagt Pinsger.

 

Schmerzfreie Zeit nützen

Eine wirksame Therapie führt zu einer beträchtlichen Steigerung der Lebensqualität. Der Betroffene kann wieder Dinge tun, die ihm lange Zeit verwehrt blieben. Er kann den Kreislauf aus „Schmerzen – Angst vor Schmerzen – Traumatisierung durch die Schmerzen“ durchbrechen. Er kommt wieder auf ein normales Erregungsniveau, kann wieder ruhiger werden und sein Leben neu ordnen. Dadurch erholt sich auch die Psyche und das Allgemeinempfinden bessert sich. „Das Medikament erlaubt dem Patienten, wieder am Leben teilnehmen zu können, den Alltag zu meistern und auch die angenehmen Dinge des Lebens zu genießen“, resümiert der erfahrene Schmerzmediziner.

Damit all das gelingt, ist die Einsicht und Mitarbeit des Patienten unbedingt nötig. Dieser muss von sich aus der Schmerzspirale entkommen wollen und bereit sein, seinen Lebensstil, wenn nötig, auch zu ändern. Während der Einnahme des Medikaments sollte der Patient daher von einem erfahrenen Arzt begleitet werden. „Niemals sollte man das Medikament ungezielt einnehmen und es sich keinesfalls illegal besorgen“, warnt Pinsger. Denn ohne die Begleitung eines verständigen Arztes droht die Gefahr, dass der Patient das Medikament nur zur Unterdrückung der Beschwerden verwendet, er ansonsten sich aber nicht weiter entwickelt und seine Lebenssituation nicht verbessert.

 

Doctor-Shopping wird reduziert

Eine gute Schmerzbehandlung führt zudem dazu, dass dem Patienten wirklich geholfen und das sehr teure Doctor-Shopping verhindert werden kann. Ein weiterer Vorteil ist, dass andere Medikamente in der Regel reduziert werden können. Am wichtigsten ist freilich die Tatsache, dass der Körperschmerz bei erfolgreicher Behandlung nicht mehr den Lebensmittelpunkt der Betroffenen darstellt.

 

Keine Dauermedikation

Das Medikament eignet sich nicht zur dauerhaften Einnahme. In der Regel nimmt man die Medikamente sechs Wochen bis zu drei Monaten. Diese Zeit muss der Patient auch nützen, um seinen Lebensstil zu optimieren, z.B. in Bewegung zu kommen und Stress abzubauen. Ansonsten hat selbst der Einsatz von Cannabinoiden keinen nachhaltigen Effekt. Die Medikamente öffnen jedoch dem Patienten ein Zeitfenster, in dem er schmerzfrei sein Leben ordnen kann.

 

Vorurteile abbauen

In Österreich stehen derzeit zur therapeutischen Anwendung drei Cannabinoid-Präparate zur Verfügung. Patienten müssen diese zur Zeit allerdings selbst bezahlen. „Angesichts des gut belegten Nutzens sollten diese Substanzen möglichst vielen Patienten, die davon profitieren könnten, zugänglich gemacht werden, forderte Univ.-Prof. Prim. Dr. Rudolf Likar, Generalsekretär der Österreichischen Schmerzgesellschaft, anlässlich der 14. Österreichischen Schmerzwochen. Und weiter: „Dazu müssen nicht nur gelegentlich noch vorhandene Vorurteile gegenüber Cannabinoid-Medikamenten abgebaut werden, sondern auch bürokratische Hürden“, so Likar.

 

Dr. Thomas Hartl
März 2015


 Foto: shutterstock

Zuletzt aktualisiert am 13. November 2020