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Geschwister schauen sich an

Diabetes lebenslang

Der Typ-1-Diabetes bedeutet ein völliges Fehlen von Insulin. Grund ist der weitgehend unerklärliche Untergang jener Zellen in der Bauchspeicheldrüse, die das lebenswichtige Hormon produzieren. Im Gegensatz dazu ist Diabetes Typ 2 eine Insulinmangelkrankheit als Folge von Überernährung, Übergewicht und Bewegungsmangel.

 

Die Bauchspeicheldrüse (Pankreas) ist ein etwa 15 cm langes, fingerdickes, zungenförmiges Organ und liegt hinter dem Magen im Oberbauch. Fast ihre gesamte Zellmasse produziert Verdauungssäfte, die über den Pankreasgang in den Zwölffingerdarm fließen. Zwischen dem Pankreasgewebe sind inselartig aber auch rund eine Million kleine Zellhaufen eingelagert – nach ihrem Entdecker, dem deutschen Pathologen Paul Langerhans, als Langerhans’sche Inseln bezeichnet. Bis zu 80 Prozent bestehen diese Inseln aus den sogenannten Betazellen. Sie sind die Fabriken für das nach den Inselzellen benannte Hormon Insulin, das direkt ins Blut übergeht. Insulin ist unter anderem eine Art Türöffner an den Zellwänden, der die Zelle anregt, Zucker aus dem Blut aufzunehmen. So gewinnt die Zelle Brennstoff und Energie, während der Zuckergehalt des Blutes im Normalfall im Regelbereich pendelt, also zwischen 80 und maximal 140.

 

Fehlendes Insulin

Diabetes Typ 1 ist eine Autoimmunkrankheit. Der Körper bildet Antikörper gegen sich selber, welche die Betazellen vernichten. Man spricht vom insulinabhängigen Diabetes – der Patient muss das fehlende Insulin laufend ersetzen. Eine spezielle Ernährungsempfehlung gilt für den Typ-1-Diabetiker in der Regel nicht, erklärt Univ.-Prof. Dr. Martin Clodi, der Leiter der internen Abteilung am Konventhospital der Barmherzigen Brüder in Linz. Die zerstörerischen Antikörper sind übrigens auch bei bis zu 15 Prozent der Typ-2-Diabetiker nachweisbar. Diese Diabetesmischform heißt LADA-Diabetes (Late Autoimmune Diabetes in the Adult = später Autoimmundiabetes des Erwachsenen). Genetische Störungen sind schuld an einer weiteren Diabetesform: MODY (Maturity Onset Diabetes of the Young = spät einsetzender Jugenddiabetes), mit diversen Unterarten, wo erst bei höheren Blutzuckerwerten Insulin aktiviert wird.

 

Beim Diabetes Typ 2 peitscht der Nahrungs- und Kalorienüberschuss den Insulinpegel hoch, bis die Insulinrezeptoren an den Zellwänden kaum mehr reagieren beziehungsweise bis die Betazellen erschöpft den Nachschub einstellen. Nicht selten kann der Typ 2 aber ohne Insulingaben, nur mit einer Änderung des Lebensstils beherrscht werden. Früher hat er als Alterserscheinung gegolten, heute ist er auch vermehrt bei Kindern und Jugendlichen zu beobachten – wegen schädlicher Essgewohnheiten und zu wenig Bewegung.

 

Warnsymptome

Mann mit Smartphone und Gemüse am TischEin Ansteigen der Erkrankungsfälle wird auch beim Jugenddiabetes verzeichnet, der häufigsten Stoffwechselkrankheit bei Kindern. Sie kann schon im Säuglingsalter, jedenfalls schon vor dem 30. Lebensjahr und seltener auch erst später im Leben entstehen. Umwelteinflüsse stehen im Verdacht, das Immunsystem in die Irre zu führen und so den Angriff auf die insulinproduzierenden Zellen zu starten. Virale Darminfektionen, Mumps und bestimmte Herpes-Viren dürften bei der Entstehung von Jugenddiabetes ebenfalls eine Rolle spielen. Anders als beim Typ-2-Diabetes, wo die familiäre Veranlagung einen gewichtigen Einfluss hat, haben genetische Faktoren beim Jugenddiabetes kaum eine Bedeutung. Von allen Typ-1-Diabetikern stammen nur drei Prozent von diabeteskranken Eltern.

 

Insulin immer dabei

Die Alarmzeichen eines Typ-1-Diabetes sind ähnlich wie beim Typ 2: vermehrter Durst und gesteigerter Appetit, häufiges Urinieren, Gewichtsverlust, Müdigkeit, Wundheilungsstörungen, wiederholte Pilzinfektionen, Pigmentstörungen der Haut, mitunter Übelkeit, Zittern, Stimmungsschwankungen. Gefürchtet ist der Zwischenfall der Unterzuckerung mit Verwirrung, Bewusstlosigkeit bis zum lebensbedrohenden Koma, wenn die Insulingabe nicht exakt genug auf die Nahrungszufuhr abgestimmt wird.

 

Ohne konsequente Behandlung verursacht der Diabetes Schäden vor allem an Augen, Nieren, Nerven und an den Gefäßen des Herz-Kreislauf-Systems. Der kugelschreiberähnliche Insulin-Pen gibt die Insulindosis mit einem kleinen, schmerzarmen Einstich in die Haut ab. Insulinpumpen sind fix am Körper fixiert und setzen Insulin kontinuierlich frei. Zur zusätzlichen Insulinabgabe etwa vor den Mahlzeiten genügt ein Fingerdruck. Blutwerte, Kohlehydratmengen und Insulindosis können auch schon per App am Smartphone verwaltet werden.

 

Die Transplantation von Spender-Betazellen (Inselzelltransplantation), die in die Leber gespritzt werden, wird bereits heute experimentell angewandt und könnte sich zu einem echten Heilverfahren entwickeln. Eine Transplantation der ganzen Bauchspeicheldrüse wird bei Diabetes wegen der aufwändigen Bekämpfung der Abstoßung und der Nebenwirkungen der dazu nötigen Medikamente nicht durchgeführt.

 

 Pipette und LaborschalenComputergesteuerte Insulinpumpen nach dem sogenannten Closed-Loop-System, die mittels implantierten Sensors sogar im Schlaf permanent messen und vollautomatisch fein abgestimmte Insulinmengen freigeben, sind nicht mehr fern, die routinemäßige Anwendung ist derzeit noch im Entwicklungsstadium. Primar Martin Clodi erscheint derzeit die Stammzellenforschung am erfolgversprechendsten. Die zielt darauf ab, aus diesen menschlichen „Urzellen“ neue, insulinproduzierende Zellen zu schaffen. Die Hoffnung auf neue und heilende Therapien ist jedenfalls nicht unberechtigt.

 

Im Laufe des Heranwachsens und der damit einhergehenden Identitätskrisen gehen die jungen Patienten immer wieder auch durch Phasen der Krankheitsverweigerung. Sie vergessen zwar nicht ihre Insulinspritzen, werden aber nachlässig beim Messen des Blutzuckers und riskieren damit nicht selten über Wochen und Monate gefährlich hohe Werte oder Unterzuckerung. Blutzuckernormwerte sind aber entscheidend für die langfristige Prognose und zur Senkung des Komplikationsrisikos. Das einst starre Regime der Insulingaben zu bestimmten Tageszeiten ist einer den individuellen Bedürfnissen angepassten Insulintherapie gewichen – Insulin wird der Ernährung angepasst. Es werden aber jährlich mehrere Diabetes-Camps durchgeführt. Den jungen Gästen wird Freizeitgestaltung geboten samt altersgerechter Diabetikerschulung – einschließlich Ernährung, Insulinanpassung beim Sport, Kohlehydratberechnung.

 

Falscher Rat – gut gemeint

„Iss weniger, beweg dich mehr“ – der Typ-1-Diabetiker leidet unter dieser verdeckten Schuldzuweisung. Sehr wichtig ist, dass die Krankheit auch von Familie, schulischer oder beruflicher Umgebung und Freundeskreis verstanden, akzeptiert und der Betroffene unterstützt wird. Diabetische Zentren, in denen jeder junge Diabetiker begleitet werden soll, bieten auch psychologische Hilfe an, damit man den Typ-1-Diabetes im Griff hat und nicht umgekehrt das Leben ganz im Bann der Krankheit steht.

 

Diabetes in Österreich

In Österreich leben einschließlich Dunkelziffer insgesamt 573.000 bis 645.000 Diabetiker, schätzt der Diabetesbericht 2013 der Österreichischen Diabetesgesellschaft. Der Typ 2 dürfte etwa sechsmal häufiger vorkommen als der Jugenddiabetes. Unter den 0- bis 14-Jährigen ist ein Anteil von bis zu 1.500 Betroffenen anzunehmen

 

Klaus Stecher

September 2015

 

Foto: shutterstock, privat

  

Kommentar

Kommentarbild von Univ.-Prof. Dr. Martin Clodi zum FG-Printartikel "Diabetes lebenslang", Ausgabe 1/2015„Wer Diabetes mellitus Typ1 altersgemäß versteht und damit umzugehen lernt, der kann ein ganz normales Leben leben.“
Univ.-Prof. Dr. Martin Clodi
Leiter der Abteilung für Innere Medizin, Konventhospital der Barmherzigen Brüder, Linz

Zuletzt aktualisiert am 13. November 2020