Es klingt paradox: Ein Übergebrauch von Medikamenten gegen Kopfschmerzen verursacht chronische Kopfschmerzen. Nach Absetzen der Schmerzmittel klingen diese Schmerzen wieder ab. Das ursprüngliche Übel (meist Migräne oder Spannungskopfschmerzen) muss effektiv behandelt werden, sonst droht ein Rückfall in einen Schmerzmittelübergebrauch.
Es gibt viele Arten von Kopfschmerzen. Die häufigste Art ist der Spannungskopfschmerz, gefolgt von Migräne. Bereits an dritter Stelle liegen die so genannten „Medikamentenübergebrauchskopfschmerzen“. Die entstehen, wenn der Griff zur Schmerztablette zur Gewohnheit geworden ist. Sie werden häufig als solche nicht erkannt, das Wissen um diese Schmerzen ist in der Bevölkerung gering.
Dauergebrauch von Tabletten gefährlich
Bei kurzfristiger Einnahme von Kopfschmerzmitteln droht kein medikamenteninduzierter Kopfschmerz. Nur wenn die Tabletten im Übermaß eingenommen werden, können sich daraus chronische (d.h. mindestens 15 Tage pro Monat anhaltende) Kopfschmerzen durch Schmerzmittelübergebrauch entwickeln. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um ein „starkes oder leichtes“ Schmerzmittel handelt, oder ob es rezeptpflichtig ist oder nicht. „Jedes Schmerzmittel kann bei Übergebrauch gefährlich werden, man sollte daher auch mit vermeintlich leichten Medikamenten nicht sorglos umgehen“, appelliert OA Dr. Franz Hofbauer vom Institut für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Salzkammergut-Klinikum Gmunden.
Konkret liegt der Verdacht auf medikamenteninduzierte Kopfschmerzen nahe, wenn an mindestens 15 Tagen pro Monat Kopfschmerzen auftreten und über wenigstens drei Monate an mehr als 10 Tagen pro Monat schmerzstillende Medikamente eingenommen wurden.
Teufelskreis von Schmerzen und Tabletten
Viele Patienten leiden oft Jahrzehnte lang unter Kopfschmerzen und nehmen ebenso lang Schmerzmittel. Angst vor Kopfschmerzen oder zum Beispiel Angst vor der Arbeitsunfähigkeit durch die Kopfschmerzen führt dazu, dass die Patienten schon bei geringem Schmerz frühzeitig Tabletten einnehmen. „Das führt dazu, dass die körperliche Schmerzabwehr nicht mehr funktioniert und die Schmerzempfindlichkeit weiter zunimmt. Die ursprünglichen Schmerzen werden durch neue, medikamentenbedingte Kopfschmerzen überlagert, die dann das Empfinden dominieren. Diese neuen Schmerzen bereiten dem Patienten oft noch mehr Probleme als die alten Schmerzen“, erklärt Hofbauer.
Ein Teufelskreis: Hat jemand ständig Kopfschmerzen und nimmt er dagegen zu häufig Schmerzmittel, dann erzeugen diese Schmerzmittel neue, chronische Kopfschmerzen. Und diese versucht man dann wieder mit Schmerzmitteln zu beseitigen, was die Schmerzen aber nur mehr kurzfristig lindert.
Dieser Mechanismus bezieht sich hauptsächlich auf Kopfschmerzen. Wer wegen anderer Beschwerden, etwa Rheuma oder einem Bandscheibenvorfall, längere Zeit Schmerzmittel nehmen muss, ist kaum gefährdet.
Symptome
„Medikamentenübergebrauchskopfschmerzen“ sind mittelstark bis stark. Sie werden meist als dumpf bohrend oder drückend, seltener stechend oder pulsierend beschrieben und treten beidseitig, selten auch einseitig auf. Diese neuen Schmerzen verdrängen im Empfinden die ursprünglichen Schmerzen und der Patient merkt, dass sie sich „anders“ anfühlen. „Meist ist es so: Mit dem Aufstehen ist der Kopfschmerz da, man nimmt ein Schmerzmittel, er vergeht und kommt frühzeitig wieder. Das zieht sich den ganzen Tag so dahin. Schmerzfreie Tage sind zwar durchaus möglich, in den meisten Fällen sind die Schmerzen aber an fast allen Tagen mehr oder weniger da.“, erklärt Hofbauer.
Entzug
Ob chronische Kopfschmerzen tatsächlich von zu vielen Tabletten verursacht werden, kann nur durch Absetzen der Schmerzmittel herausgefunden und dann behandelt werden. Bei Schmerzmittelentzug, nachdem über lange Zeit hinweg Schmerzmittel eingenommen wurden, muss mit Entzugssymptomen wie verstärkte Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen, Schlafstörungen, Unruhe und Schweißausbrüchen gerechnet werden. Nach einer Woche beginnt eine Phase der Normalisierung. Nach 10 bis 14 Tagen bemerken die meisten Patienten, dass die Kopfschmerzen deutlich nachlassen oder auch ganz verschwinden. Nach 14 Tagen ist in der Regel alles überstanden und die Patienten wachen morgens ohne Kopfschmerzen auf.
Ein Entzug kann je nach Zustand des Patienten von zu Hause aus ambulant oder stationär durchgeführt werden. „Patienten müssen aufgeklärt und motiviert werden, die Tabletten abzusetzen, vor allem wenn sie Angst vor dem Entzug haben. Die Zeit der Entwöhnung ist zwar unangenehm, aber dafür hat man nachher meist weniger Schmerzen. Ein stationärer Entzug ist in schwierigen Fällen ratsam, etwa wenn Patienten an Depressionen oder Angststörungen leiden, das soziale Umfeld nicht passt, oder bereits ein erfolgloser Entzug stattgefunden hat“, sagt der Schmerzmediziner. Auch eine professionelle ärztliche Nachsorge ist wichtig. „Damit ein Patient nicht Gefahr läuft, bei Wiederauftreten von Kopfschmerzen sofort wieder in einen Übergebrauch von Schmerzmitteln zurückzufallen, ist eine ärztliche und oft auch psychotherapeutische Begleitung wichtig“, sagt Hofbauer.
Aufzeichnungen machen
Kopfschmerzpatienten sollten sich Aufzeichnungen machen, welche Schmerzmittel sie tatsächlich einnehmen, wie es ihnen ergeht und wie sich die Schmerzen anfühlen. Dazu eignet sich ein Kopfschmerzkalender über maximal drei Monate. Diese Aufzeichnungen dienen dazu, einen Überblick zu bekommen, wie sich die eigenen Schmerzen in Stärke und Art entwickeln und sie helfen dem Arzt, die richtige Diagnose stellen zu können.
Therapie der ursprünglichen Schmerzen nötig
Ein Entzug alleine löst das Kopfschmerzproblem nicht, es müssen auch die ursprünglichen Kopfschmerzen medizinisch korrekt behandelt werden, denn die Ursachen für den übermäßigen Tablettengebrauch – die häufigen Migräne- und Kopfschmerzattacken – sind mit einem Entzug noch nicht aus der Welt. Geschieht dies nicht, droht ein Rückfall in alte Verhaltensmuster und der Patient greift wieder ständig zu Tabletten. Nach einer Medikamentenpause (Entzug) ist die Einnahme eines Schmerzmittels bei Kopfschmerzen zwar wieder möglich, man sollte aber unbedingt lernen, mit den Schmerzmitteln sparsam umzugehen und sie nur an maximal zehn Tagen pro Monat zu verwenden. Im Fall von chronischer Migräne oder chronischem Spannungskopfschmerz wird versucht, mit einer medikamentösen Prophylaxe die Kopfschmerzattacken gering zu halten, damit insgesamt weniger Kopfschmerzmittel eingenommen werden müssen.
Eine Therapie gegen die ursprünglichen Migräne- oder Spannungskopfschmerzen besteht nicht nur aus der Einnahme von Medikamenten, sondern auch in Entspannungstechniken, wenn möglich in Ausdauersport und Methoden der Stressbewältigung. In vielen Fällen ist auch eine Verhaltenstherapie sinnvoll, in der der Patient erlernt, wie er auf Schmerzen gut reagieren kann und sein Leiden damit reduziert.
Dr. Thomas Hartl
Juli 2015
Foto: shutterstock