Schwere Krankheiten heilen, kaputte Organe reparieren: Um diesen alten Menschheitstraum zu verwirklichen, setzt die Medizin auf Stammzellen. Es gibt Erfolge, doch in der Forschung ist noch ein weiter Weg zu gehen.
Es klingt wie eine verheißungsvolle Vision: Blinde können eines Tages wieder sehen. Gelähmte können gehen, Ärzte vermögen kaputte Herzen ohne großen Aufwand zu heilen – wenn man nur das passende Wundermittel dafür hätte. Dann müsste man schwer Erkrankten keine Organe mehr transplantieren.
Es scheint dieses Mittel zu geben, der Mensch trägt es sogar selbst in sich: Stammzellen. Das sind jene Bausteine, die menschliches Leben erst möglich machen und an denen weltweit seit Jahrzehnten geforscht wird. Wissenschaftler versuchen, diese Zellen zu nützen, um bestimmte Zelltypen zu züchten und dann im menschlichen Körper einzusetzen. Ein Meilenstein der Forschung war im Jahr 1981 zu verzeichnen. Damals wurden embryonale Stammzellen aus Mäusen isoliert. 1988 gelang es dem US-Forscher James Thomson von der Universität Wisconsin, die ersten Zell-Linien aus menschlichen Embryonen zu züchten.
Seither ist es gelungen, Vorläuferzellen von Nervenzellen, Herzmuskel- und Blutgefäßzellen, Blutzellen, Zellen der Bauchspeicheldrüse und der Leber zu erzeugen. Und weil die Stammzellen ein so großer Hoffnungsmarkt sind, werden damit bereits Geschäfte gemacht. In vielen Ländern, häufig jenen mit nicht so hohen Standards, werben private Kliniken mit Stammzellentherapien. Da sollen – gegen hohe Bezahlung – Parkinson, multiple Sklerose oder Alzheimer geheilt werden.
Doch Experten warnen vor diesen Angeboten. So erklärt die Internationale Gesellschaft für Stammzellenforschung (ISSCR) in einer Stellungnahme, sie sei „tief beunruhigt darüber, dass überall auf der Welt Stammzellentherapien angeboten werden, bevor ihre Sicherheit und Wirksamkeit nachgewiesen worden sind”. Auch Prof. Dr. Tobias Cantz, Leiter der REBIRTH-Arbeitsgruppe Stammzellbiologie an der Medizinischen Hochschule Hannover, sagt: „Es gibt nur einen Bereich, in dem die Stammzellentherapie bereits erfolgreich angewandt wird. Für alle anderen liegen noch keine randomisierten Studien und somit auch keine verlässliche Therapie vor“.
Vieles noch offen
Die blutbildenden Stammzellen des Knochenmarks werden seit rund 40 Jahren in der Behandlung von Leukämie eingesetzt. Sie kommen entweder von einem Spender oder vom Patienten selber. „Wenn man sich diesen Zeithorizont ansieht, ahnt man, welche Geduld in der Stammzellenforschung noch nötig ist“, sagt Cantz. In vielen Bereichen sei man über Versuche mit Kleintieren noch gar nicht hinausgekommen. Die entscheidenden Fragen sind laut Cantz: „Wie können wir die benötigten Zellen am besten vermehren, spezialisieren und schließlich einsetzen?“ Da sei „sehr vieles noch offen“.
Hoffnung machen Berichte aus den USA, wonach es dort Forschern gelungen ist, Menschen, die an der altersbedingten Makuladegeneration (AMD) litten, ihr Augenlicht wiederzugeben. Sie verwendeten dafür embryonale Stammzellen. Ein herber Rückschlag wurde hingegen 2011 verzeichnet. Im November stoppte die US-Firma Geron Corporation eine zentrale Studie zur Therapie von Querschnittsgelähmten mit embryonalen Stammzellen. Das Unternehmen gab damals wirtschaftliche Gründe für das Scheitern an. Es wurde aber gemutmaßt, dass auch die wissenschaftlichen Erfolge ausblieben.
Nabelschnurblut
Das bremst einen neuen Trend kaum. Früher schlossen Eltern bei der Geburt ihres Kindes eine Ausbildungsversicherung ab oder legten ein Sparbuch an. Mittlerweile jedoch gibt es eine Investition, die immer stärker genützt wird. Man entnimmt dem Neugeborenen kurz nach der Geburt Nabelschnurblut und lässt es für einen möglichen späteren Eigengebrauch gegen eine nicht geringe Gebühr auf einer privaten Nabelschnur-Bank einfrieren. Die Überlegung dahinter: Eines Tages könnten die darin enthaltenen Stammzellen zur Heilung diverser Krankheiten verwendet werden.
Embryonale und adulte Stammzellen
Menschliches Leben entsteht, wenn Eizelle und Spermium verschmelzen. Die befruchtete Eizelle beginnt sich danach sofort zu teilen und Stammzellen zu bilden. Diese Stammzellen sind so etwas wie die Ursprungszellen des menschlichen Körpers und haben mindestens diese zwei Eigenschaften: Sie sind Vorläufer von hoch differenzierten Zellen und nach ihrer Teilung können die Tochterzellen entweder wieder zu Stammzellen oder zu verschiedenen Zellen (Muskeln, Herz, Nerven …) werden. Bis zum Acht-Zell-Stadium, also einige Tage lang nach der Befruchtung, sind die Zellen totipotent (aus dem lateinischen totus = ganz). Aus ihnen kann sich jede Art von Zellen bilden: Blutzellen, Nervenzellen, Haut- oder Muskelzellen – theoretisch sogar ein eigenständiger Organismus. Das macht sie für die Forschung interessant, denn nur an embryonalen Stammzellen kann man die Entstehung von unterschiedlichen Gewebearten untersuchen.
Adulte (erwachsene) Stammzellen findet man in verschiedenen Geweben des erwachsenen Körpers, sie sind dort für die Erneuerung und Heilung zuständig – etwa bei der Haut. Forscher haben sie auch im Hirn, Knochenmark, Blut und in den Muskeln lokalisiert. Adulte Stammzellen sind nur noch multipotent. Sie können nur noch verschiedene Zelltypen innerhalb ihres Gewebes ausbilden. Beispielsweise bildet eine Blutstammzelle im Knochenmark rote und weiße Blutkörperchen, aber keine Nervenzellen. Eine Hautstammzelle ist nur noch in der Lage, Hautzellen herzustellen, aber keine Muskelzellen. Adulte Stammzellen sind die Reserve für die körpereigene Reparatur des Menschen.
Die Gewinnung von adulten Stammzellen ist ethisch unbedenklich. Wenn Erwachsene freiwillig Gewebe spenden, so stört sich niemand daran. Zu heftigen Debatten hat jedoch die Gewinnung von embryonalen Stammzellen geführt, da dafür der Embryo zerstört werden muss. In Österreich ist die Herstellung von embryonalen Stammzellen für Forschungszwecke verboten. Künstlich befruchtete Eizellen dürfen nur für die Fortpflanzung verwendet werden. Die Forschung an aus dem Ausland importierten embryonalen Stammzellenlinien ist hingegen erlaubt. Hoffnungen setzen Wissenschaftler in die sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen (IPS-Zellen). Diese haben die wichtigsten Eigenschaften embryonaler Stammzellen, können aber aus adulten Körperzellen gewonnen werden.
Birgit Baumann
Februar 2016
Foto: mauritius, shutterstock, privat
Kommentar
Dr. Christiane Druml
Vorsitzende der Bioethikkommission im Bundeskanzleramt, Vizerektorin der Medizinischen Universität Wien