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Bub geht auf einer Bahnschiene

Asperger-Syndrom: Rätselhafte Kommunikation

Das Asperger-Syndrom ist Teil des Autismus-Spektrums. Kennzeichnend ist, dass Betroffene trotz normaler Intelligenz Probleme bei der sozialen Interaktion und Kommunikation haben. Sie können sich weder in andere hineinversetzen noch deren Gefühle, Mimik oder Gestik deuten. Bei bestimmten Interessen hingegen weisen sie oft erstaunliche Kenntnisse auf.

 

Der österreichische Kinderarzt Dr. Hans Asperger hat das Syndrom 1944 erstmals beschrieben. Dabei handelt es sich um eine neurobiologische Entwicklungsstörung, die durch folgende Merkmale gekennzeichnet ist: Betroffene sind normal bis überdurchschnittlich intelligent, haben aber Defizite bei der sozialen Kompetenz und Kommunikation. Das zeigt sich unter anderem dadurch, dass sie kaum eine Beziehung zu Gleichaltrigen aufbauen können. Freude, Interessen oder Erfolge zu teilen, fällt ihnen schwer. Grund dafür ist, dass sie sich nur schwer in andere hineinversetzen und deren Gefühle nachzuvollziehen können. „Menschen mit Asperger-Syndrom fehlt es an Strategien, wie sie mit anderen in Kontakt treten können. Das hat nichts mit Schüchternheit zu tun. Vielmehr können sie nicht intuitiv erfassen, welche sozialen Regeln – wie etwa beim Grüßen die Hand zu geben und in die Augen zu sehen – man wann anwendet. Sie wirken dadurch oft unabsichtlich unhöflich oder besserwisserisch, weil sie wenig Gespür für soziale Signale haben“, fasst Dr. Kathrin Hippler, Klinische Psychologin und Gesundheitspsychologin in Wien, zusammen.

 

Rätselhafte Mimik und Gestik

Betroffene können daher auch kaum Mimik oder Gestik ihres Gegenübers ablesen. Ebenso wenig verstehen sie Ironie oder Sarkasmus. Vielmehr nehmen sie alles – beispielsweise Redewendungen – wörtlich. „Obwohl sie einen guten Wortschatz haben, ist die Art und Weise, wie sie kommunizieren, oft andersartig“, ergänzt Hippler. Charakteristisch ist zudem, dass Menschen mit Asperger an Gewohnheiten und Ritualen starr festhalten. Änderungen, das kann zum Beispiel ein neuer Lehrer in der Schule sein, können starke Ängste hervorrufen. Betroffenen gelingt es nämlich nicht, flexibel darauf zu reagieren.

 

Kleine Spezialisten mit viel Faktenwissen

Diese ritualisierten Verhaltensweisen wirken sich auch auf das Interesse für ganz bestimmte Dinge aus. Man spricht dabei von einer sogenannten Inselbegabung. Menschen mit Asperger weisen bei gewissen Interessensgebieten erstaunliche Kenntnisse auf und sammeln dabei viel Faktenwissen an. „Sie sind quasi kleine Spezialisten auf bestimmten Gebieten. Das kann beispielsweise eine Faszination für Busfahrpläne sein. Ich kannte einen Buben, der bereits mit vier Jahren das Wiener Liniennetz auswendig konnte“, sagt Hippler.

 

Ursache ist keine „ungünstige“ Erziehung

Wie es überhaupt zum Asperger-Syndrom kommt, ist noch nicht gänzlich geklärt. Ebenso wenig weiß man, warum mehr Jungen als Mädchen betroffen sind. Eine Rolle bei der Entstehung spielen jedoch genetische Faktoren, weil das Syndrom familiär gehäuft auftritt. Die Ausprägung des Zustandsbildes kann dabei unterschiedlich stark sein. Während einige Betroffene gut im Alltag zurechtkommen, brauchen andere lebenslang Unterstützung. „Einige Menschen haben alle Symptome, andere nur ein paar wenige“, erklärt die Psychologin und räumt mit einem Vorurteil auf: „Asperger ist nichts, was durch eine ungünstige Erziehung hervorgerufen wird. Es geht vielmehr um eine Beeinträchtigung der frühen Hirnentwicklung.“

 

Diagnose häufig erst im Vorschulalter

Doch was unterscheidet das Asperger-Syndrom vom frühkindlichen Autismus? Anders als bei autistischen Kindern fallen die Symptome bei Kindern mit dem Asperger-Syndrom in den ersten drei Lebensjahren kaum auf. Sie haben beispielsweise keine Entwicklungsverzögerung der Sprache, wie dies bei autistischen Kindern der Fall ist. Wie bereits erwähnt sind sie durchschnittlich bis überdurchschnittlich intelligent. Daher wird das Asperger-Syndrom häufig erst im Vorschul- oder Schulalter diagnostiziert. Erst dann macht sich das beeinträchtigte soziale Verhalten bemerkbar: Kinder mit Asperger zeigen wenig Interesse am gemeinsamen Spiel mit anderen. Oder aber sie wollen nur nach ganz bestimmten Regeln spielen. Zudem fallen oft ritualisierte Verhaltensweisen und Spezialinteressen auf.

 

Bei Verdacht zum Spezialisten

Haben Eltern den Verdacht, dass ihr Kind Probleme bei der sozialen Interaktion und Kommunikation hat, sollten sie einen Spezialisten aufsuchen. „Ich rate allen, nicht lange zu zögern und sofort zu einer Spezialstelle zu gehen“, so Hippler. In Oberösterreich ist dies etwa das Autismuskompetenzzentrum im Krankenhaus Barmherzige Brüder in Linz. Die Diagnose wird dort anhand von standardisierten Verfahren, Fragebögen und Tests durchgeführt. Welches Leben Betroffene schließlich führen, hängt von verschiedenen Faktoren ab: „Kinder können oft normal zur Schule gehen und viele Erwachsene leben ein selbstständiges Leben, haben einen Beruf und eine Beziehung. Wichtig aber ist eine frühe Diagnose und Unterstützung. Dabei lernen Kinder, wie man sich sozial verhält. Gleichzeitig muss die Umgebung tolerant und so gestaltet sein, dass sie gute Lernmöglichkeiten bietet. Kinder mit guter Intelligenz haben die Möglichkeit, über ihren Intellekt viel zu kompensieren, was sie intuitiv an sozialem Verhalten nicht erkennen“, sagt die Expertin abschließend.

 

MMag. Birgit Koxeder-Hessenberger

November 2015

 

Foto: shutterstock

Zuletzt aktualisiert am 13. November 2020