Menschen mit mehreren Erkrankungen nehmen oft mehr als fünf Medikamente ein. Diese müssen aufeinander abgestimmt und auf ein vernünftiges Maß reduziert werden, ansonsten drohen unerwünschte Wechselwirkungen.
Laut Statistik des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger haben in Österreich in einem Quartal rund 700.000 Menschen mehr als fünf Wirkstoffe verschrieben bekommen. Etwa 158.000 Menschen bekommen sogar mehr als zehn Wirkstoffe. Die Gefahr dabei: Jedes Medikament kann nicht nur unerwünschte Nebenwirkungen hervorrufen, sondern jeder in einem Medikament enthaltene Wirkstoff kann mit einem anderen Wirkstoff Wechselwirkungen eingehen. Das bedeutet, dass sich die Wirkungen gegenseitig beeinflussen können.
Medikamentencocktail birgt Gefahr von Wechselwirkungen
Je mehr Wirkstoffe aufgenommen werden, desto größer ist die Gefahr, dass sich die daraus ergebenden Wechselwirkungen schädlich auf den Patienten auswirken. In der Praxis kommt es häufig vor, dass ein Patient etwa Medikamente gegen Herz-Kreislauf- Probleme, Bluthochdruck und Schmerzen bekommt, zudem Cholesterinsenker, Schlaf- und Beruhigungsmittel und möglicherweise noch Antidepressiva einnimmt. „Manche Patienten nehmen sogar viel mehr als zehn verschiedene Medikamente ein. In der Regel sollte man sich aber bemühen, nur so viele Medikamente wie notwendig zu nehmen, weil Wechselwirkungen sonst häufiger und schwer abschätzbar werden“, sagt Mag. Alexandra Pointinger, Apothekerin und Klinische Pharmazeutin am Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Linz.
Medikamente sind beliebt
Wenn jemand krank ist, möchte er in den meisten Fällen auch Medikamente einnehmen. Zum einen vertrauen die meisten Menschen auf deren Wirksamkeit. Zum anderen stehen vor allem Schüler, Berufstätige und Elternteile, die sich um kleine Kinder kümmern, unter dem Druck, möglichst schnell wieder „funktionstüchtig“ und leistungsfähig zu sein. „Oft fordern Patienten von Ärzten auch bestimmte Medikamente ein, weil sie glauben, dadurch schnellst möglich gesund zu werden. Dieser dringende Patientenwunsch führt manchmal zu Verschreibungen, die nicht wirklich nötig wären“, so Pointinger.
Alte Menschen mit vielen Krankheiten
Die Bevölkerungsgruppe, die die meisten Medikamente einnimmt, sind Senioren. Alte Menschen leiden zumeist an mehreren Erkrankungen und nehmen daher auch mehrere Medikamente ein. Medikamente wirken bei alten Menschen manchmal stärker und auch länger (die Funktion von Leber und Nieren verringert sich im Laufe des Lebens). Auch das Risiko von Nebenwirkungen ist erhöht. Über die Risiken von Wechselwirkungen bei alten Menschen ist oft nichts bekannt, da es diesbezüglich nur wenige Studien gibt.
Keine Transparenz
Ursache für ein Zuviel an Medikamenten ist auch das „Doctor Shopping“. Das heißt, Patienten suchen häufig nicht nur den Hausarzt, sondern auch viele verschiedene Fachärzte auf. Das Problem dabei: In Österreich gibt es derzeit noch keine Transparenz bei der Verschreibung von Medikamenten. Das heißt, dass der eine Arzt nicht weiß, welche Medikamente ein anderer Arzt bereits verschrieben hat. Teilt der Patient einem Arzt nicht mit, welche Medikamente er schon verordnet hat und einnimmt, kann der Arzt auch nicht vor möglichen Wechselwirkungen warnen. Durch den mangelnden Informationsfluss kann es auch zu Doppelverschreibungen des gleichen Wirkstoffes und damit zu Überdosierungen kommen.
Rezeptfreie Medikamente nicht harmlos
Auch rezeptfreie Medikamente, rein pflanzliche Präparate und sogar bestimmte Lebensmittel können neben erwünschten Wirkungen auch unerwünschte Neben- und Wechselwirkungen verursachen. „Das betrifft zum Beispiel Johanniskraut, Ginko und selbst Grapefruitsaft“, so Pointinger.
Gefahr Verschreibungs-Kreislauf
Werden Neben- oder Wechselwirkungen nicht als solche erkannt, können die Beschwerden als neues Krankheitsbild interpretiert werden. Dagegen wird ein weiteres Medikament verordnet und es entsteht ein Kreislauf, in dem die unerwünschten Wirkungen wiederum mit Medikamenten behandelt werden. Und die rufen möglicherweise wiederum unerwünschte Wirkungen hervor. „Man nennt das eine Verschreibungskaskade, die aber unbedingt vermieden werden sollte. Patienten sollten daher, wenn sie ein Medikament neu verschrieben bekommen haben, sofort beim Arzt oder Apotheker Bescheid geben, wenn das Medikament unangenehm für sie ist, weil sie unerwünschte Wirkungen spüren“, rät Pointinger. Der Arzt hat dann die Möglichkeit, das Medikament durch ein anderes, besser verträgliches zu ersetzen.
Medikamentenkonsum kritisch hinterfragen
Menschen, die ständig mehrere Medikamente einnehmen, sollten diese kennen und eine Medikamentenliste erstellen. Sie sollten dabei ihren Medikamentenkonsum auch kritisch hinterfragen. „Patienten sollten Bescheid wissen, warum sie welches Medikament einnehmen, wie oft und wie lange sie ein Medikament einnehmen sollen. Oft ist es leider so, dass ein Patient ein Medikament zum Beispiel für 14 Tage verschrieben bekommt, das Medikament aber aus Informationsmangel dann dauerhaft eingenommen wird“, sagt die Apothekerin.
Sich mit Arzt oder Apotheker absprechen
Bei Unklarheiten über die Einnahme oder Dosierung sollte man einen Arzt oder Apotheker fragen, statt auf eigene Faust Medikamente einzunehmen und dabei Fehler zu machen. Hat man das Gefühl, zu viele Medikamente einzunehmen, sollte man diese keinesfalls eigenständig reduzieren oder absetzen. Unbedingt mit dem Hausarzt besprechen, ob und welche Medikamente verzichtbar sind.
Gesunder Lebensstil erspart viele Medikamente
Generell ist Vorsorge durch gesunden Lebensstil natürlich wesentlich besser als Symptombehandlung mit Medikamenten. Ein gesunder Lebensstil bedeutet vor allem: Viel Bewegung, gesunde Ernährung (wenig Fette und Zucker), wenig Alkohol und keine Zigaretten. „Medikamente können einen gesunden Lebensstil nicht ersetzen. Er ist wesentlich wirksamer als viele Medikamente und die Basis einer jeden Therapie. Wer etwa einen zu hohen Cholesterinwert hat, sollte unbedingt versuchen, diesen mit Lebensstilmaßnahmen zu senken. Medikamente sollten hier erst dann zum Einsatz kommen, wenn alle diese Maßnahmen das Cholesterin nicht senken konnten“, sagt Pointinger.
Tipps zur Medikamenteneinnahme
- Erstellen Sie eine Medikamentenliste mit allen Mitteln, die Sie einnehmen (auch rezeptfreie).
- Informieren Sie Ihren Hausarzt über alle Befunde und Verschreibungen (z. B. nach Krankenhausaufenthalt oder dem Besuch bei einem Facharzt).
- Fragen Sie in der Apotheke beim Kauf von pflanzlichen Wirkstoffen, Nahrungsergänzungsmitteln und rezeptfreien Medikamenten nach, ob diese zu Ihren anderen Medikamenten passen.
- Achten Sie darauf, die Medikamente so einzunehmen, wie Ihr Arzt sie verordnet hat (Tageszeit, Abstand zu den Mahlzeiten etc.).
Dr. Thomas Hartl
November 2015
Foto: shutterstock