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Frau spritzt sich Insulin in den Bauch

Unterzucker: Für Diabetiker häufig ein Problem

Diabetes ist bei mangelnder Behandlung durch zu hohe Blutzuckerwerte charakterisiert – das ist weithin bekannt. Gefährlich kann allerdings auch das Gegenteil sein – Hypoglykämie, also Unterzuckerung. Dies erklärten Fachleute am 1. Oktober 2015 bei einer Pressekonferenz in Wien, berichtet die Austria Presse Agentur (APA). Mit einer umfangreichen Aufklärungskampagne soll die Aufmerksamkeit von Betroffenen und Angehörigen geweckt werden, damit sie die Anzeichen rechtzeitig erkennen und Risiken minimieren können.

 

Kommt es durch das Auslassen von Mahlzeiten, ungeplante körperliche Belastung oder nicht optimal verwendete Medikamente bei Diabetikern zu einem zu starken Absinken des Blutzuckerspiegels, drohen Kopfschmerzen, Schwindel, Bewusstlosigkeit etc. Dieser Unterzucker – Hypoglykämie (oder kurz „Hypo“) – kann sogar lebensbedrohlich sein. Unter dem Titel „Unterzucker muss nicht sein“ werden im Oktober Informationsmaterialien an Ärzte und Apotheken geliefert.

 

Bereits sechs Prozent hatten „Hypo“

Eine Befragung von Ärzten in Österreich hat gezeigt, dass bei zehn Prozent der Diabetes-Patienten von zumindest einer Hypoglykämie-Episode pro Jahr ausgegangen werden kann. „Sechs von zehn Diabetikern können sich an eine oder mehrere Hypoglykämien erinnern“, so Dr. Walter Wintersberger vom Spectra-Marktforschungsinstitut, das die Befragung durchgeführt hat.

 

Zu wenig Zucker fürs Gehirn

Während Typ-1-Diabetiker, die sofort nach Ausbruch der Erkrankung auf Insulin angewiesen sind, durch ihre Schulung mit solchen Episoden gut zurechtkommen sollten, ist die Situation bei Typ-2-Zuckerkranken oft komplizierter. Mag. Martin Schaffenrath, stv. Vorsitzender des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger, stellt die Daten dar: „Wir haben in Österreich rund 570.000 Typ-2-Diabetiker und rund 30.000 Typ-1-Diabetiker. (...) Bei etwa sechs Prozent der Österreicher ist die Krankheit diagnostiziert, zwei bis drei Prozent (143.000 bis 215.000) Betroffene sind nicht diagnostiziert.“ Die Diabetes-Prävalenz in Österreich wird auf etwa 6 Prozent geschätzt.

Fällt der Blutzuckerspiegel unter einen bestimmten Wert, kann das Gehirn nicht mehr ausreichend mit dem Energielieferanten Zucker versorgt werden. „Hypoglykämien bedeuten für die Betroffenen eine Einschränkung der Handlungsfähigkeit. Vor allem Schwindel und eingeschränkte Wahrnehmungsfähigkeit bis hin zur Ohnmacht haben in Abhängigkeit von der jeweiligen Situation ein erhebliches Potenzial für eine Selbst-und Fremdgefährdung“, betont der Wiener Sozialmediziner Dr. Bernhard Schwarz, Ao. Univ.-Prof. am Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien. Besonders im Straßenverkehr aber auch im Berufsleben sind kontinuierliche Konzentrationsfähigkeit und Körperbeherrschung notwendig.

Für den Straßenverkehr, Führerschein etc. gibt es in Österreich klare Richtlinien, wie in Problemfällen im Einklang von Amtsärzten, Fachärzten und Patienten vorzugehen ist. Unfälle, bei denen Hypoglykämien von diabeteskranken Lenkern verantwortlich waren, sind laut Kuratorium für Verkehrssicherheit in der jüngeren Vergangenheit nicht registriert worden.

 

Blutzuckersenkende Medikamente lassen Stoffwechsel entgleisen

„Von Hypoglykämien sind besonders jene Diabetiker betroffen, die blutzuckersenkende Medikamente zu sich nehmen – allen voran Typ-1-Diabetiker, die mit Insulin behandelt werden. Zudem haben Patienten mit Typ-2-Diabetes, die einer medikamentösen Behandlung mit Insulin oder mit Sulfonylharnstoffen unterliegen, ein erhöhtes Hypoglykämie-Risiko“, so Univ.-Prof. Dr. Hermann Toplak, stv. Vorsitzender der Österreichischen Diabetesgesellschaft (ÖDG) die Unterzuckerung.

Die Häufigkeit von Hypoglykämien bei Typ-2-Diabetikern kann auch durch die verwendeten Arzneimittel bedingt sein. Univ.-Prof. Dr. Thomas Wascher, Vorsitzender der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG), erläutert: „Unter allen Medikamenten, die wir zur Behandlung des Diabetes zur Verfügung haben, sind es die Sulfonylharnstoffe (orale Antidiabetika; Anm.) und Insulin, die Hypoglykämien hervorrufen können.“ Darüber hinaus weist Wascher darauf hin, dass bei der Therapiewahl auf die jeweilige Patientensituation eingegangen werden muss. „So bedarf es bei der Wahl antidiabetischer Medikamente etwa bei Menschen mit eingeschränkter Nierenfunktion ebenso erhöhter Aufmerksamkeit, da die Rate an schweren Hypoglykämien bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz zunimmt.“

Der Anteil der Sulfonylharnstoffe von 23 Prozent an den verschriebenen oralen Diabetes-Medikamenten sei im europäischen Vergleich sehr hoch, so Wascher. Das Problem liegt darin, dass Sulfonylharnstoffe und Insulin die sonst vor Hypoglykämien schützenden Regelsysteme des Körpers außer Kraft setzen können. Während es bei wirklichem Bedarf für Zuckerkranke zu Insulin keine Alternative gibt, existieren viele verschreibbare orale Antidiabetika, die kein erhöhtes Unterzuckerungsrisiko bewirken.

 

Selbsthilfe bei einer Hypoglykämie

Ein sorgfältiges Selbstmanagement bei Diabetes Patienten ist essentiell, vor allem auch um Akutkomplikationen wie etwa die Hypoglykämie und Langzeitschäden zu vermeiden. Hypoglykämie kann durch geeignete Medikation und Bewusstseinsbildung vermieden werden: Dafür bedarf es umfassender Aufklärungsarbeit und engmaschige Betreuungsprojekte, etwa Disease-Management-Programmen (DMP) wie „Therapie Aktiv – Diabetes im Griff“. Das Programm soll eine optimale Versorgung gewährleisten, indem Patienten umfassend und engmaschig betreut sowie fundiert geschult werden, erklärt Schaffenrath. Damit kann auch die Gefahr einer Unterzuckerung verringert werden.

 

Verhaltensregeln für Fremdhilfe

Neben dem eigenverantwortlichen Umgang der Betroffenen gibt es auch für beteiligte Dritte klare Verhaltensweisen in Situationen plötzlicher Unterzuckerung. Richtiges Handeln ist dann unerlässlich. „Für nicht routinierte Personen ist es oft schwierig, Hypoglykämien zu erkennen, da viele Krankheitsbilder dem einer Hypoglykämie ähnlich sind. Es ist am besten sich Unterstützung durch die Rettung zu holen“, regt Toplak an. Diabetiker sollten schnell resorbierbare Kohlenhydrate wie zum Beispiel Traubenzucker bei sich haben. Ebenso wirkungsvoll sind Fruchtsäfte oder Cola. Nicht geeignet hingegen sind Kekse, Schnitten oder Schokolade etc., da sie viel zu lange brauchen, um den Blutzucker anzuheben. Auch Leichtgetränke sind völlig ungeeignet.

 

Mag. Christian Boukal / APA

November 2015

 

Foto: APA (dpa/gms/Franziska Gabbert)

Zuletzt aktualisiert am 13. November 2020