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Frau bei der Massage

Bindegewebe: Unterschätzt

In jüngster Zeit rückt ein Körperbestandteil in den Fokus der medizinischen Betrachtung, den vor zehn Jahren kaum jemand kannte: die Faszien. Dieses faserige Bindegewebsnetz hält den Körper in Form – hat aber auch das Potenzial zur Schmerzquelle. 

Faszien sind ein Teil des Bindegewebes – 0,3 bis 3 Millimeter dick. Die faserig-weiße Struktur zieht sich wie ein Netz durch den gesamten Körper. Alle inneren Organe, jeder Muskel, jedes Gelenk, alles ist von Faszien eingeschlossen. Der renommierte deutsche Faszienforscher Dr. Robert Schleip von der Neurophysiologie der Universität Ulm fasst zusammen: „Faszien wurden bisher unterschätzt. Sie geben dem Körper Form, er würde sonst auseinanderfallen. Faszien halten alles zusammen. Ob ein Oberarm straff oder wie ein Wackelpudding aussieht, hängt wesentlich von der Spannung dieser Hülle ab.“ 

Stoßdämpfer

Das Faszien-Geflecht stützt und schützt den Körper. Es stellt so etwas wie einen Stoßdämpfer dar und verhindert, dass die inneren Organe im Körper hin und her rutschen. Die Einbettung der Muskelfasern sorgt etwa dafür, dass die Muskeln nicht aneinander reiben. Die enorme Flexibilität der Fasern lässt auch größere Veränderungen des Körpers zu, ohne dass er seine Stabilität verliert – etwa in der Schwangerschaft. Die Experten unterscheiden drei Arten von Faszien. Die oberflächlichen Faszien durchdringen hauptsächlich das Gewebe der Unterhaut. Sie verbinden Organe und füllen als Puffer die Zwischenräume im Körper aus. Die tiefer liegenden Faszien überziehen Knochen, Gelenke und Muskeln. Sie enthalten viele Nervenenden und sind deshalb schmerzempfindlich. Schließlich gibt es die sogenannten viszeralen Faszien, welche vor allem die inneren Organe schützen. Faszien sind wahrscheinlich deutlich mehr für das menschliche Wohlbefinden verantwortlich als bisher angenommen. Denn ohne entsprechende Wartung und Zuwendung kann aus dem geschmeidigen und dehnbaren Netz eine filzig-verdickte Masse werden, die bei jeder Bewegung Schmerzen verursacht.

Ein beträchtlicher Teil der Rückenschmerzen könnte auf das Konto von beleidigten Faszien gehen. Dr. Robert Schleip: „Man weiß, dass nur rund 20 Prozent der Rückenschmerzen von den Bandscheiben herrühren. Dafür ist die Lendenfaszie stark unter Verdacht geraten. Sie ummantelt die unteren Rückenmuskeln und ist dicht mit Nervenendigungen versehen.“ Für die Faszien ist Bewegungsmangel genauso schädlich wie Überlastung. Deshalb ist spezielles Faszientraining weder spektakulär noch besonders herausfordernd. Faszien-Experte Schleip: „Ein- bis zweimal pro Woche reicht völlig aus, um Verhärtungen zu vermeiden. Man muss sie nur einmal ordentlich stimulieren und es wird gleich frisches, elastisches Kollagen produziert.“ Mit speziellen Massagen lassen sich verhärtete und verklebte Faszien lösen. Besser ist es natürlich allemal, es nicht so weit kommen zu lassen.  

Leichte Übung

Eine Übung, die vor allem die Faszien des Schultergürtels wieder geschmeidig machen soll, zeigt, wie einfach das gehen kann. Man stellt sich etwa einen halben bis drei viertel Meter vor eine Wand, so dass man sie mit den Handflächen etwa in Schulterhöhe berühren kann. Dann lässt man sich nach vorne gegen die Wand kippen und stößt sich mit beiden Händen wieder ab. Das wiederholt man einige Male. Dann variiert man die Stellung der Handflächen, mal die eine höher, mal die andere, so dass dadurch eine schräge Körperhaltung entsteht. Insgesamt sollte man sich etwa 30-mal von der Wand abstoßen.

 

Heinz Macher

Juli 2016

 

Foto: shutterstock

Zuletzt aktualisiert am 13. November 2020