Immuntherapien gelten als Hoffnungsträger für viele Krebspatienten. Auch wenn noch viele Fragen offen sind, zeigen sich vor allem bei Melanomen, Nierenzellkarzinomen und bei Lungenkrebs bereits beachtliche Behandlungserfolge.
Operation, Chemotherapie und Bestrahlung sind die drei Pfeiler der schulmedizinischen Krebsbehandlung. Daneben gibt es aber weitere Therapiemöglichkeiten. Vor allem die moderne Immuntherapie etabliert sich bei bestimmten Krebsarten zunehmend als Alternative zur Chemotherapie. Vorteil der Immuntherapie: Sie greift die Tumore deutlich gezielter an als eine Chemotherapie und wird von den Patienten meist gut vertragen.
Wirkungsweise
Das Immunsystem ist in pausenlosem Einsatz, um Krankheitserreger in Schach zu halten. Immunzellen wie etwa bestimmte T-Zellen durchkämmen den ganzen Körper auf der Suche nach schädlichen Eindringlingen (Viren, Bakterien etc.). Sie identifizieren körpereigene und körperfremde Zellen nach dem Motto „kenne ich, kenne ich nicht“ und zerstören was sie nicht kennen. Sie suchen aber auch nach körpereigenen, schädlichen (bösartig veränderten) Zellen wie etwa Krebszellen. Für diese Aufgabe sind sie mit speziellen Sensoren (Rezeptoren) ausgerüstet. Schädlinge besitzen auf ihrer Zelloberfläche häufig andere Moleküle als gesunde Körperzellen. Spüren die patrouillierenden Immunzellen fremde Moleküle auf und identifizieren sie diese Zellen als gefährlich, versuchen sie diese zu zerstören. „Diese Vorgänge finden ständig und von uns Menschen unbemerkt in uns allen statt“, sagt Priv.-Doz. Dr. Holger Rumpold, Leiter des Zentrums für Tumorerkrankungen im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Linz.
Krebszellen blockieren Immunsystem
Unser Immunsystem kann Tumorzellen also erkennen und vernichten. Doch Krebszellen entwickeln Abwehrstrategien, um selbst nicht zerstört zu werden. So versuchen sie sich zu tarnen und können angreifende Immunzellen effektiv bremsen und blockieren. Die Immunzellen kommen dann nicht mehr voran und werden ausgeschaltet.
Gelangen Immunzellen in den Bereich eines Tumors, kann dieser die angriffsbereiten Zellen so verwandeln, dass sie ihn nicht mehr attackieren.
Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass Krebszellen genetisch instabil sein können. Sie mutieren: Im Verlauf einer Krebserkrankung verändern sie ihr Aussehen und entkommen so den Abwehrzellen.
Medikamente lösen Blockade
Tumore haben die Fähigkeit, immunsupressiv zu wirken. Sie drosseln und blockieren dann die Immunabwehr. Und hier setzen die Medikamente der Immuntherapie an: Die vom Tumor errichtete Blockade wird mit bestimmten Antikörpern wieder beseitigt. „Man könnte sagen, die Therapie aktiviert das blockierte Immunsystem, indem es die Bremse wieder löst“, veranschaulicht Rumpold. Gelingt das, werden die Killerzellen des Immunsystems also wieder scharf gemacht und können die Krebszellen erneut vernichten oder zumindest ihr Wachstum stoppen.
Erfolgreich bei Lungenkrebs und Melanomen
Bei bestimmten Krebsformen werden die neuen Substanzen der Immuntherapie bereits in der Praxis eingesetzt, und zwar bei Melanomen (schwarzer Hautkrebs), bei Lungenkarzinomen (Lungenkrebs) und bei Nierenzellkarzinomen. „Bei diesen Krebsarten hat man Tumoren mit meist vielen Mutationen, ein Umstand, der für die Erfolgsaussichten der Therapie positiv ist“, sagt der Onkologe. Forscher hoffen, dass die Therapie auch in absehbarerer Zeit bei Blasen- und Lymphdrüsenkrebs eingesetzt werden kann. Wenig Hoffnung besteht bei Bauchspeicheldrüsenkrebs, hier dürfte die Immuntherapie nicht ansprechen. Warum die Therapie bei einigen Krebsarten gut, bei anderen weniger gut und bei manchen überhaupt nicht anspricht, ist bislang nicht bekannt.
Bisher wird die Therapie zudem nur in Fällen fortgeschrittener Erkrankung eingesetzt. Ob ihr Einsatz auch in einem Frühstadium sinnvoll sein kann, ist Gegenstand der Forschung.
Risiko von Autoimmunerkrankungen
Die Immuntherapie wird über Infusionen ambulant verabreicht. Sie ist im Allgemeinen gut verträglich, vor allem wenn man es mit den Nebenwirkungen der klassischen Chemotherapie vergleicht. Häufige Nebenwirkungen sind Durchfall und Hautausschläge.
Das größte Problem stellt das Risiko von Autoimmunerkrankungen (wie z.B. Multiple Sklerose, Diabetes Typ 1, Rheumatische Arthritis) dar. Denn indem die Immunabwehr vermehrt aktiviert wird, steigt auch das Risiko, dass das Immunsystem irrtümlicherweise eigene (gesunde) Strukturen angreift, schädigt oder sogar ganz vernichtet.
Hohe Ansprechrate
Das Prinzip der Therapie – die Aktivierung des Immunsystems bei der Bekämpfung von Krebs – ist durchaus ein medizinischer Durchbruch. „Nun müssen wir lernen, damit besser umzugehen, also ihren Einsatz besser zu steuern und noch effektiver zu machen“, sagt der Onkologe.
Die Immuntherapie zeigt in der Praxis bereits Wirkung. Bei vielen Patienten konnte das Wachstum der Tumoren gebremst werden. „Wir sehen auch ausgeprägte Langzeiterfolge. Patienten, die früher binnen kurzer Zeit verstorben wären, überleben nun mehrere Jahre. Die Ansprechrate liegt bei 20 bis 25 Prozent. Dieser Prozentsatz an schwer kranken Patienten, die mit dieser Therapie behandelt wird, lebt auch nach fünf Jahren noch. Und das bei besserer Lebensqualität, weil es eben weniger Nebenwirkungen gibt. Das ist ein großer Erfolg“, sagt Rumpold. Ob mit der Immuntherapie Krebs auch geheilt werden kann – also den Tumor völlig beseitigt ist und auch nicht wiederkehrt – ist ungewiss.
Zukunftshoffnungen
Auf dem Gebiet der Immuntherapie werden für die nächsten Jahre weitere Fortschritte und neue, noch effektivere Medikamente erwartet. Vor allem die Kombination der Immun- mit anderen Therapien sollte künftig noch größere Erfolge möglich machen. In Studien arbeitet man bereits daran, zuerst den Tumor zu zerstören um dann in einem zweiten Schritt die „Tumor-Abfallprodukte“, zu nützen. Das Immunsystem soll dann diese „aufgesplitterten“ Teile des Tumors leichter als krankhafte Wucherung erkennen können als den Tumor an sich. Dann kann das Immunsystem seine Arbeit (die Zerstörung von Krebszellen) besser erledigen.
Ein weiterer Ansatzpunkt der Forschung: Zurzeit ist es noch nicht möglich zu bestimmen, bei welchen Patienten eine Immuntherapie wirken wird und bei welchen nicht. Da diese Therapie noch sehr teuer ist (80.000 Euro pro Jahr und Patient), wird auch daran geforscht, wer von dieser Therapie profitieren kann und wer nicht. „Auch sucht man nach Biomarkern. Diese würden uns einen großen Schritt weiterbringen“, sagt Rumpold.
Wenn sich das Immunsystem besser an die Krebszellen erinnern könnte, mit denen es bereits einmal zu tun gehabt hatte, wäre es auch besser imstande, immer wieder auftauchende Krebszellen für lange Zeit (über viele Jahre hinweg) unter Kontrolle zu halten. Genau darauf zielen momentan laufende Forschungen: Dem Erinnerungsvermögen des Immunsystems auf dem Grund zu gehen und es in Zukunft vielleicht stärken zu können. „Wenn das gelingt, wäre ein großer Schritt in Richtung Langzeitremission getan“, so Rumpold.
Dr. Thomas Hartl
März 2016
Foto: shutterstock