Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule können viele verschiedene Ursachen haben. Als Patient mit Selbstverantwortung kann man gemeinsam mit einem erfahrenen Schmerzmediziner viel dafür tun, um selbst chronische Schmerzen wieder loszuwerden.
Menschen mit chronischen Schmerzen in der Halswirbelsäule (HWS) leiden oft viele Jahre an ihren Schmerzen. Je länger sie andauern, umso mehr Probleme entstehen: Die Schlafqualität verschlechtert sich ebenso wie die Fähigkeit sich zu entspannen, man fühlt sich rasch gestresst und überfordert. Manche Betroffene verlieren die Lust am Leben und schlittern in Depressionen. Das Leiden ist oft enorm. „Das müsste aber nicht sein. Jeder sollte sich frühzeitig helfen lassen und auch selbst das Problem in die Hand nehmen“, sagt Dr. Martin Pinsger, Facharzt für Orthopädie und orthopädische Chirurgie in Wien.
Ursachen klären
Eine genaue Diagnose ist Voraussetzung, um eine geeignete Therapie zu wählen. Ein erfahrener Schmerzmediziner wird Bildgebung (vor allem eine MRT liefert brauchbare Bilder) einsetzen, eine Laboruntersuchung des Blutes veranlassen (um Entzündungen zu erkennen) und mit dem Patienten ausführlich über dessen Probleme sprechen. Es gilt den Lebensstil (sitzender Beruf, Körperhaltung, körperliche und psychische Belastungen etc.) abzuklären und in welchen Situationen die Schmerzen auftreten.
Am Ende der Untersuchungen sollte feststehen, welche Ursache(n) zu den Schmerzen führen. Häufige Ursachen sind:
- Abnützungserscheinungen der HWS bzw. einzelner Wirbel
- Bandscheibenvorwölbung- oder Vorfall
- zu enger Wirbelkanal
- Wirbelgleiten
Ist ein Nerv eingeklemmt, kann das zurückzuführen sein auf:
- Eine Reizung und/oder Entzündung eines Nervs
- Eine Reizung der umliegenden Muskulatur
- Muskelverhärtungen: Verkrampftes Gewebe wird hart und drückt auf die Nervenbahnen. Verhärtungen werden ausgelöst durch langfristige Fehlhaltungen und einseitige Belastungen; durch Funktionsstörungen und Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule; aber auch durch psychische Belastungen.
- Unfälle: Nach Unfällen kommt es häufig zu einer Instabilität der mittleren HWS-Segmente und zu Blockaden darüber und darunter. Vor allem Atlasblockaden (erster Halswirbel) können hartnäckige Funktionsstörungen bewirken.
Psyche mischt mit
Auch die Psyche spielt im Schmerzgeschehen oft eine bedeutende Rolle: „Wer seine großen Lebensprobleme nicht löst, sei es, dass er in einer schlechten Partnerschaft oder einer verhassten Arbeit verharrt und mit negativen Gefühlen durch sein Leben geht, der ist auch ständig angespannt und verkrampft. Das wiederum erhöht den Muskeltonus und kann Nerven bedrängen und einklemmen. Kurzfristig können medizinische Maßnahmen wie Medikamenteneinnahme oder Physiotherapie Abhilfe schaffen, doch langfristig ist es nötig, sein Leben zu entlasten, damit man entspannter und weniger halsstarrig und hartnäckig leben kann, sich weniger aufhalst und nicht so viele Probleme schultern muss“, sagt Schmerzmediziner Pinsger.
Selbstverantwortung übernehmen
Auch wenn die Schmerzen im Augenblick groß sein mögen, dieser Zustand muss nicht dauerhaft bleiben. „Wer an sich arbeitet, der findet aus der Schmerzspirale auch wieder heraus. Jeder Schmerzpatient sollte sowohl den Körper als auch die Psyche verbessern, denn die Schmerzen entstehen in den seltensten Fällen alleine aufgrund der körperlichen Abnutzung der Wirbel. Der Weg zur Selbstwirksamkeit aktiviert den Patienten, macht die Therapie nachhaltig und hilft somit Kosten zu senken“, sagt der Schmerzmediziner.
Therapiemaßnahmen
In vielen Fällen führt eine verspannte Muskulatur in Nacken und Schultern zu Schmerzen. Folgende Maßnahmen können helfen, dies zu verhindern bzw. die Muskulatur zu lösen:
Fehlhaltung korrigieren: „90 Prozent der Bevölkerung hat eine zum Teil massive Fehlhaltung, die die Hauptschuld an chronischen Verspannungen und Schmerzen trägt“, sagt Pinsger. Die Schultern sind zu weit vorne und zu weit hochgezogen, der Rücken gekrümmt. Auch der Kopf ist oft viel zu weit vorn, das führt dazu, dass er nicht auf dem Körper thront, sondern sein Gewicht stets gehalten werden muss, was anstrengend ist und Schmerzen auslöst. „Die korrekte Haltung sieht ein wenig arrogant aus. Das Kreuz ist durchgedrückt, der Kopf hoch oben, die Schultern weit unten. Man sollte die korrekte Haltung immer und immer wieder üben. Man kann sich dabei vorstellen, man sei ein Turm oder man balanciere einen Gegenstand am Kopf“, so der Pinsger.
Physiotherapie: Man lernt die richtige Haltung und Bewegung. Blockaden werden gelöst, die Muskulatur aufgelockert. Auch die korrekte Sitzposition kann man sich hier aneignen.
Bewegung: Bewegung ist das Um und Auf einer gesunden Wirbelsäule. Wer täglich stundenlang sitzt und dies nicht mit viel Bewegung ausgleicht, bekommt früher oder später Probleme mit der HWS. Ideal ist Ausdauersport, wenn möglich, vier bis fünfmal pro Woche.
Entspannung: Autogenes Training, Muskelentspannung, Yoga, Tai Chi etc. Es gibt viele Möglichkeiten der Entspannung. Jeder Schmerzpatient muss selbst herausfinden, was zu ihm passt.
Psychische Probleme bearbeiten: Ängste, Überlastung, ungelöste Probleme: Um verspannungsbedingte Schmerzen langfristig aufzulösen, bedarf es einer Lösung oder zumindest einer Aufarbeitung der großen Lebensprobleme. Schmerzmittel sind kein geeignetes Mittel, durch die Psyche (mit)verursachte Schmerzen längerfristig zu behandeln.
Keine Schonhaltung: Schmerzpatienten gewöhnen es sich an, jene Bewegungen zu vermeiden, die Schmerzen auslösen könnten. Das führt zu Passivität und manchmal zu einem regelrechten Erstarren. „Man sollte den Schmerz nicht um jeden Preis vermeiden, sondern beweglich bleiben und moderates Bewegungstraining, Sport, Gymnastik etc. betreiben. Bewegung zu vermeiden, ist das Schlimmste für die HWS“, sagt Dr. Pinsger.
Weitere Maßnahmen: Es gibt eine breite Palette von weiteren Maßnahmen, die helfen können, wie etwa: Akupunktur, Osteopathie, Manuelle Medizin, Neuraltherapie, physikalische Maßnahmen etc. „Bei vielen Patienten mit Problemen der HWS bessert sich ihr Zustand, wenn sie Vitamin D einnehmen“, sagt Pinsger.
Medikamente
Welche Medikamente eingesetzt werden, sollte man mit einem erfahrenen Schmerzmediziner besprechen. Grundsatz: Soviel wie nötig, um Schmerzen hintanzuhalten, so wenig wie möglich, um das Risiko von Nebenwirkungen zu mindern. Pinsger: „Bei beträchtlichen, akuten Schmerzen sollte man eher klotzen denn kleckern, um das Entstehen von chronischen Schmerzen zu verhindern.“
Operation
Eine Operation an der HWS wird selten durchgeführt und bringt beträchtliche Risiken mit sich (bis hin zu einer Lähmung). Nur wenn ein eingeklemmter Nerv zu Lähmungserscheinungen führt, oder wenn das Rückenmark abgedrückt wird (Myelopathie) oder ein Nerv so lange gepresst wird, dass neuropathische Schmerzen entstehen, ist eine Operation eine mögliche Lösung der Probleme. „Eine Operation hat aber nur dann Sinn, wenn der Patient seine gewohnten Muster ablegt, also zum Beispiel die Fehlhaltung korrigiert, ansonsten werden die Probleme wiederkehren“, sagt der Schmerzmediziner.
Dr. Thomas Hartl
September 2016
Bild: shutterstock