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EKG

Stummer Herzinfarkt – weit verbreitet, wenig untersucht

Experten gehen davon aus, dass zumindest jeder vierte Herzinfarkt unbemerkt vor sich geht. Solche stummen Infarkte werden nur durch Zufall im Rahmen einer medizinischen Untersuchung entdeckt.  

Heftige Schmerzen in der Brust und im Oberbauch, die bis in die Arme und den Kiefer ausstrahlen können, zudem Schweißausbrüche und Übelkeit – diese typischen Symptome eines Herzinfarktes sind in der Bevölkerung meist bekannt. Weniger bekannt ist, dass Herzinfarkte sehr oft auch ohne diese Symptome auftreten. Bei einem sogenannten stummen (asymptomatischen) Infarkt bemerkt der Patient vom dramatischen Geschehen in seinem Körper nichts, da das ansonsten typische Hauptsymptom – die starken Schmerzen – entweder ausbleibt oder falsch interpretiert wird. „Ähnliche Schmerzen können nämlich auch von der Wirbelsäule, von der Speiseröhre, von der Lunge oder von den Rippen ausgehen und die Patienten suchen deshalb gar keinen Arzt auf. Besonders gefährdet, die Symptome nicht richtig einzuordnen, sind Frauen, denn bei ihnen verläuft ein Infarkt prinzipiell eher mit Übelkeit und Unwohlsein und sie denken dann oft zu spät ans Herz“, sagt OA Dr. Helmut Geiger vom Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern in Linz. 

Mindestens jeder vierte Infarkt ist stumm 

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum asymptomatischen Herzinfarkt sind noch gering. Es gibt kaum Studien und Daten über die Häufigkeit von stummen Infarkten. „Daten ergaben sich nur im Rahmen der berühmten Framingham-Studie. Bei dieser Studie wurden die ausgewählten Personen der Stadt Framingham in den USA über 30 Jahre in regelmäßigen Abständen alle zwei Jahre nach einem festgelegten Schema untersucht. Es zeigte sich, dass jeder vierte Herzinfarkt stumm ausfällt“, sagt Geiger. Manche Forscher gehen sogar davon aus, dass bis die Hälfte aller Infarkte stumm vor sich gehen.  

Hohe Schmerztoleranz als Gefahr? 

Ob ein Mensch körperliche Warnzeichen (wie Übelkeit und Schmerzen) als solche wahrnimmt, hängt von der individuellen Sensibilität ab und ist sehr unterschiedlich ausgeprägt. Laut einer neueren Studie norwegischer Forscher laufen Menschen mit einer hohen Schmerztoleranz Gefahr, einen Herzinfarkt zu erleiden, ohne ihn zu bemerken. Ihre Untersuchungen haben ergeben, dass Menschen, die laut EKG-Aufzeichnungen einen stummen Infarkt hinter sich haben, Schmerzen länger aushalten können als diejenigen, die die Symptome ihres Infarkts spürten.

Grundlage dieser norwegischen Studie war ein Eiswasser-Test. Dabei legten die Probanden ihre Hände so lange wie ihnen möglich in eiskaltes Wasser. Probanden, die einen stummen Infarkt hinter sich hatten, hielten den Eiswasser-Test länger aus, als jene, die Brustschmerz und andere Symptome ihres Infarkts bemerkt hatten. Dieser Zusammenhang war bei Frauen ausgeprägter als bei den männlichen Teilnehmern.

Nicht geklärt ist, ob beim stummen Infarkt nur die heftigen Schmerzen ausbleiben oder sämtliche Beschwerden. Da man nicht weiß, wann der stumme Infarkt aufgetreten ist (der Vorfall kann mehrere Jahre zurückliegen), bleibt es unklar, ob die Beschwerden einfach fehlinterpretiert worden sind, oder gar keine oder nur untypische Beschwerden vorhanden waren. 

Risikofaktoren beachten 

Menschen werden ohne konkreten Verdacht nicht gezielt daraufhin untersucht, ob sie möglicherweise einen stummen Infarkt hinter sich haben. „Bei gewissen Gruppen mit einem hohen Infarktrisiko sollte man jedoch an diese Möglichkeit denken und immer zumindest ein EKG anfertigen“, sagt Geiger. Risikogruppen sind Zuckerkranke, Raucher, Menschen mit hohem Blutdruck und Angehörige von Infarktpatienten. Vor allem Menschen, die alle diese Eigenschaften in sich vereinen sind gefährdet.

„Diabetiker sind deshalb gefährdet, unbemerkt einen Infarkt zu erleiden, da der hohe Blutzucker nicht nur die Blutgefäße, sondern auch die schmerzleitenden Nervenbahnen schädigt. Somit spüren diese Patienten aufgrund geschädigter Nerven den Infarkt in vielen Fällen nicht“, sagt der Kardiologe.  

Ein stummer Infarkt sollte auch in Betracht gezogen werden, wenn ein Patient Symptome einer Herzinsuffizienz, wie etwa plötzliche Atemnot hat, weil eine Herzschwäche häufig nach einem erlittenen Infarkt auftritt, oder wenn kurze Schwindel- oder Bewusstlosigkeitszustände auftreten. 

Diagnose 

Werden stumme Infarkte entdeckt, dann geschieht das immer zufällig. Entweder beim Besuch in einer Arztpraxis oder im Krankenhaus, wenn zum Beispiel ein EKG geschrieben wird, oder anhand einer Echountersuchung, einer Magnetresonanztomographie (MR) oder einer Computertomographie (CT).

Ein EKG kann Hinweise auf einen erlittenen stummen Infarkt liefern, es ist aber nicht zu hundert Prozent aussagekräftig. Denn einerseits werden im EKG nicht alle stummen Infarkte erkannt, andererseits sind nicht alle Ausschläge im EKG, die wie Infarkte aussehen, auch tatsächlich welche gewesen. „Aber mit einer Herzultraschalluntersuchung kann man fast immer Klarheit schaffen“, sagt der Kardiologe. 

Keine rasche Hilfe möglich 

Herzkranke sollten sich bei Verdacht eines bevorstehenden oder akuten Herzinfarktes (bei Schwächegefühl, Schwindel, Atemnot oder Ohnmacht) sofort ins Krankenhaus bringen lassen. Jede Minute zählt, wenn tatsächlich ein Infarkt eintritt, denn in den ersten Stunden eines Herzinfarktes sterben unbehandelt zirka 20 Prozent der Patienten an Rhythmusstörungen. 

Im Gegensatz zu einem stummen Infarkt wird ein „normaler“ Infarkt (symptomatischer Infarkt) wegen der starken Schmerzen sofort bemerkt, der Notarzt gerufen und der Patient bekommt eine rasche Behandlung. Geiger „Das verschlossene Gefäß kann im Krankenhaus im Katheterlabor schnell eröffnet und damit das Absterben von Herzmuskelgewebe weitgehend verhindert werden. Bei einem stummen Infarkt erfolgt dies nicht. Das macht ihn so gefährlich. Denn auch an einem stummen Infarkt kann man sterben, außer, der Infarkt fällt sehr klein aus.“

Die hohe Zahl der stummen Infarkte bedeutet ein verstecktes Gesundheitsproblem, da die überlebenden Patienten keine akute Notfallbehandlung erhalten, weil sie von den Infarkten nichts bemerken. 

Wiederholung vermeiden 

Ein Kardiologensprichwort lautet: Der erste Infarkt ist ein Pudel, der zweite ein Schäferhund, der dritte ein Rottweiler. Es ist daher sehr wichtig, weitere Infarkte zu vermeiden. Weil Betroffene nicht wissen, dass sie einen stummen Herzinfarkt erlitten haben, bekommen sie jedoch keine „sekundär-prophylaktische“ Behandlung, die nötig wäre, um einen weiteren Infarkt oder eine daraus resultierende Herzerkrankung zu vermeiden.

 Geiger: „Wir wissen heute, dass nach einem Infarktgeschehen nicht nur im ersten Jahr das Risiko eines erneuten Infarktes von zirka 30 Prozent besteht, sondern dass dieses Risiko viel länger andauert, als man bisher gedacht hat. Im zweiten und dritten Jahr beträgt es immer noch etwa 20 Prozent und geht nie ganz zurück.“

Die gute Nachricht: Wird der stumme Infarkt zu einem späteren Zeitpunkt doch noch diagnostiziert, können immer noch therapeutische Maßnahmen gesetzt werden, um die Gefahr eines neuerlichen Infarktes deutlich zu senken.

 

Dr. Thomas Hartl

Mai 2017


Bild: shutterstock


Zuletzt aktualisiert am 13. November 2020