Die gute Nachricht: Die Annahme, dass Demenz eine unvermeidliche Folge des Alters sei, ist zum Glück falsch. Dennoch leben heute rund 115.000 Demenzkranke in Österreich und man schätzt, dass sich ihre Zahl im Jahr 2050 verdoppelt haben wird.
Ihre Betreuung wird eine der größten Herausforderungen für Medizin und Gesellschaft. Wir gehen viel zu oft davon aus, dass Hinfälligkeit und Alzheimer-Demenz unvermeidliche Begleiterscheinungen des Alterns sind. Laut Experten hat die Hälfte der Menschen mit 90 Jahren keine Gedächtnisstörungen. Doch etwa jeder Dritte über 85 leidet an Morbus Alzheimer, der häufigsten Demenzform.
Wie bei den Muskeln gilt auch für das Gehirn das Motto: „Use it or lose it.“ („Benütze es, oder verliere es.“) „Es ist wichtig, dafür zu sorgen, dass möglichst viele Menschen ihre kognitiven Fähigkeiten bis ins hohe Alter behalten. Das Gehirn ist auch mit 80 noch trainierbar. In einer aktuellen kalifornischen Studie zeigte sich, dass Demenzkranke von einem multimodalen Therapiekonzept profitieren und sich Gedächtnisleistungen auch wieder verbessern können. Auch bestimmte Maßnahmen des Lebensstils wirken vorbeugend“, sagt Primar Elmar Kainz, Vorstand der Klinik für neurologisch-psychiatrische Gerontologie im Neuromed Campus des Kepler Universitätsklinikums in Linz. Er fasst die Ergebnisse zusammen: „Wer sich kohlenhydratreduziert, ausgewogen und reich an Omega-3-Fettsäuren ernährt, ausreichend schläft, sich regelmäßig entspannt, Körper und Geist trainiert sowie kontaktfreudig bleibt, hat deutlich bessere Chancen, auch jenseits der 80 geistig gesund zu bleiben.“ Fünfmal 30 bis 60 Minuten Ausdauerbewegung pro Woche sind anzustreben – möglichst im Freien „Es geht um die Aktivierung aller Sinne. Jede Therapie ist gut, aber jedes mit Freude und Interaktion verknüpfte Hobby in der Natur ist besser“, sagt der Psychiater.
Anfangs steht bei der Demenz oft der Verlust des Kurzzeitgedächtnisses und der Merkfähigkeit im Vordergrund, im Verlauf verschwinden eingeprägte Inhalte des Langzeitgedächtnisses, so dass sukzessive erworbene Fertigkeiten und Fähigkeiten verloren gehen. Eine sich steigernde Vergesslichkeit gepaart mit Desorientierung, Unkonzentriertheit, depressiven Symptomen kann Alzheimer anzeigen und gehört beim Neurologen abgeklärt. Studien zeigen, dass im alternden Gehirn eine komplexe Interaktion zwischen gefäßbedingten und degenerativen Prozessen stattfindet.
Negativer Stress, Einsamkeit und Depression wirken sich genauso schlecht auf die Erhaltung beziehungsweise Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten aus wie Bluthochdruck oder hohe Blutfett-und Blutzuckerwerte. Das ist auch bei der Betreuung Dementer zu berücksichtigen. Der Umgang kann schwierig und überfordernd erscheinen. „Höchste Zeit, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist es, wenn die Kommunikation nicht mehr funktioniert. Gereiztheit, angespannte Stimmung, seelischer Stress sind Alarmzeichen. Der Verlauf der Erkrankung ist sehr individuell“, sagt Primar Kainz.
Gespür und Information
Es bedarf eines guten Gespürs und umfassender Information über die Erkrankung, um wahrzunehmen, was den Kranken glücklich macht, wo und wie er sich wohl fühlt. Die Umgebung soll stimulierend, aber nicht konfrontierend sein. Manche Demente verlieren ihr Zeitgefühl und stehen in der Nacht auf, wieder andere wollen stundenlang herumlaufen, wieder andere beschimpfen Angehörige oder verdächtigen sie, sie bestohlen zu haben.
Pflegende dürfen ihre eigenen Bedürfnisse, Entspannung und Auszeiten nie aus den Augen verlieren. „Für Menschen mit fortgeschrittenem Demenzstadium kann eine gut geführte Pflegeeinrichtung sinnvoller sein als die Betreuung zu Hause“, sagt der Psychiater. Es ist anzustreben, die Lebensqualität aller Beteiligten so hoch als möglich zu halten.
Praxis-Tipps
Aspekte, die den Umgang mit Demenzkranken erleichtern sollen:
❍ Respekt zollen: Je nach Phase der Erkrankung, wie die äußeren Umstände aussehen und über welche Fähigkeiten und Fertigkeiten der Betroffene verfügt, gestaltet sich das Zusammenleben unterschiedlich. Man muss den Kranken so annehmen, wie er ist, denn er kann sich nicht ändern.
❍ Emotionale Zuwendung: Alzheimerkranke reagieren meist sehr positiv auf gefühlsmäßige Zuwendung. Auch wenn es nicht immer leichtfällt, sollte man freundlich bleiben. Die Persönlichkeitsveränderung, die die Erkrankung mit sich bringen kann, darf nicht als Absicht ausgelegt werden.
❍ Eigenständigkeit erhalten: Alle gesunden Ressourcen fördern. Sie sind Basis für Selbstachtung, Selbstwert und Sicherheit. Alles, was der Hilfsbedürftige noch alleine tun kann, sollte man ihm nicht abnehmen, auch wenn es Geduld erfordert.
❍ Erleichterung des Alltags: Der Tagesablauf soll immer gleich strukturiert, Handlungsabläufe ritualisiert sein. Das gibt zeitliche und örtliche Orientierung. Gefahren- und Unfallquellen so gut es geht ausschalten.
❍ Einfache Gespräche: Einfache und klare Redeweise ist wichtig. Wenig offene Fragen wie „Was möchtest du trinken?“, sondern „Willst du Tee oder Kaffee trinken?“ stellen. Kommunikation, die eine vollständige Erinnerung erfordert, ist nicht sinnvoll. Sich auch nicht auf Diskussionen oder Anschuldigungen einlassen. Wer an Alzheimer leidet, kann Fehler nicht einsehen.
❍ Erkrankte fordern: Entsprechend den Vorlieben und Fähigkeiten den Kranken geistig und körperlich fordern und fördern. Hobbys wie Singen, Musizieren, gemeinsames Basteln oder Spazierengehen pflegen. Ihn bei täglichen Abläufen mithelfen oder ihn Geschichten aus der Vergangenheit erzählen lassen.
Mag. Christine Radmayr
August 2017
Fotos: shutterstock; privat
Kommentar
Prim. Dr. Elmar Kainz
Vorstand der Klinik für neurologisch-psychiatrische Gerontologie am Neuromed Campus, Linz